Wenn ich nicht mehr weiterweiß, gründ’ ich einen Arbeitskreis: Der Spruch ist abgedroschen, drängt sich aber bei Lektüre des Regierungsprogramms auf. Laut Suchfunktion taucht das Wort "Prüfung" im türkis-grünen Pakt 268-mal auf, "Evaluierung" bringt es auf 125 Treffer. Da mag die eine oder andere Nennung in einem anderen Zusammenhang dabei sein, doch unterm Strich gilt: Auf den 326 Seiten finden sich zuhauf unkonkrete Ankündigungen, vage Formulierungen und daraus resultierende Unklarheiten.

Viele Punkte im vorgestellten Koalitionspakt sind noch unklar.
Foto: Matthias Cremer

Ökosteuer

Greenpeace und Co würden sich vor Lob über das Klimaschutzprogramm überschlagen, wenn da nicht der Haken mit der ökologischen Steuerreform wäre. ÖVP und Grüne haben zwar die Absicht dazu festgeschrieben, sich aber nicht geeinigt, wie klimaschädliche Emissionen verteuert werden sollen. Zur Debatte stehen eine Art nationaler Emissionshandel oder eine CO2-"Bepreisung" über bestehende Abgaben. Eine von der Regierung eingerichtete Taskforce soll die Frage bis 2022 lösen.

Mindestsicherung

Monatelang galt die Streitfrage als einer der großen Brocken bei den Koalitionsverhandlungen, doch im Regierungspakt steht zu dem Thema plötzlich kein Wort. Schuld daran ist der Verfassungsgerichtshof, der vor Weihnachten zentrale Verschärfungen der türkis-blauen Sozialhilfereform – sinkende Kinderleistungen, weniger Geld für Ausländer mit schlechtem Deutsch – aufgehoben hat. Eigentlich müssten die Länder nun umsetzen, was vom Grundsatzgesetz nach dem Urteil übrig geblieben ist, und auch da sind noch Verschlechterungen dabei. Doch Sebastian Kurz hat verbal einen Freibrief erteilt. Er finde das Urteil falsch, respektiere es aber, sagte der ÖVP-Chef und künftige Kanzler: Die Länder dürften die Sozialhilfe wieder nach Gutdünken gestalten.

Arbeitslosengeld

Im türkis-blauen Programm sahen Kritiker eine Reform nach dem Vorbild von Hartz IV in Deutschland – Ende der Notstandshilfe, weniger Geld bei längerem Bezug – verpackt, nun retten sich ÖVP und Grüne mit einer vagen Formulierung über die Kluft in dieser Frage. Die Schreibe ist von einer "Weiterentwicklung des Arbeitslosengeldes mit Anreizen, damit arbeitslose Menschen wieder schneller ins Erwerbsleben zurückkehren können". Das kann vieles heißen – oder nichts, wenn sich die Koalitionäre nicht einigen.

Ähnliches gilt für den anvisierten "One-Stop-Shop für Erwerbsfähige". Dahinter kann sich die Idee verbergen, dass das Arbeitsmarktservice (AMS) künftig auch die Sozialhilfe ausbezahlt, was – wie Sozialrechtsexperte Walter Pfeil von der Uni Salzburg sagt – zu besserer Vermittlung und einheitlicher Sanktionierung führen kann. Oder aber manche Arbeitslose sollen zum Sozialamt verschoben werden – dahinter könnte doch wieder das Ziel stecken, die Notstandshilfe abzuschaffen.

Pflegeversicherung

Bei der Präsentation des Pakts klang Kurz unmissverständlich: Eine Pflegeversicherung werde kommen, und das Wort findet sich auch im Programm. Doch in der folgenden Passage steht kurioserweise nichts, was dieses Vorhaben belegt, die Rede ist vielmehr von "Bündelung und Ausbau der bestehenden Finanzierungsströme aus dem Bundesbudget". Das ist etwas anderes als eine klassische Versicherung analog zum Pensions- oder Gesundheitssystem, wo Arbeitnehmer und Arbeitgeber Beiträge einzahlen. Weil eine Pflegeversicherung die Arbeitskosten weiter erhöht, halten viele Experten wenig von der Idee.

Luftraumüberwachung

In zwei dürren Halbsätzen bekennen sich ÖVP und Grüne zur Luftraumüberwachung . Doch mit keinem Wort wird klargestellt, wie sie das künftig bestreiten wollen. Angesichts der kaputten Saab 105, deren Bolzen Risse aufweisen, forderte Expertenminister Thomas Starlinger von der künftigen Koalition eine Grundsatzentscheidung ein, wie viel Souveränität sie der Republik im Luftraum garantieren wolle: 24 Stunden am Tag? Oder reichen einige Stunden? Im Regierungspakt ist nur von der "kosteneffizientesten Lösung" die Schreibe. Unter Militärs gilt als unumstritten, dass es zumindest rasch Ersatz für die Saab 105 als Trainingsflugzeuge brauchte, weil die Eurofighter allein, die noch dazu ein Update benötigen, enorm viel Geld verschlingen – doch Letztere werden im Regierungspakt nicht einmal erwähnt. Kurz dazu: Experten im Verteidigungsressort sollen einen Vorschlag machen, dann werde über die Abfangjäger entschieden.

Medienpolitik

In diesem Kapitel bleibt das meiste offen. Überprüft werden sollen etwa "alle medienrelevanten Gesetze mit dem Ziele einer Harmonisierung und Vereinfachung", Vergabe- und Förderkriterien oder die Kriterien der Inseratenvergabe der öffentlichen Verwaltung und staatsnaher Unternehmen. Unverbindlich ausgerufen wird der "Kampf gegen Hass im Netz" und der "Schutz vor Desinformation".

·Wohnen Die "Attraktivierung des Mietrechts, um die Ökologisierung voranzutreiben", kann viel heißen, aber eben auch gar nichts. Das komplette Wohnrecht soll im Rahmen mehrerer Konvents und Enqueten mit Bürgerbeteiligung reformiert werden. Funktioniert hat das bisher bloß leider nie.

Außenpolitik

Die EU soll sich "in den kommenden fünf Jahren verstärkt großen Leuchtturmprojekten widmen", schreibt die Koalition, verrät aber nicht, welche das sein sollen. Außerdem soll eine "grüne Diplomatie" für eine lebenswerte Zukunft lanciert werden, deren Konzept sei aber "noch zu erarbeiten". Etwas schwammig: Türkis-Grün will die Beträge für Entwicklungszusammenarbeit "schrittweise" auf den internationalen Standard von 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts anheben. Konkreten Zeitrahmen gibt es jedoch nicht.

Pensionen

Eindeutig ist vor allem die Absage an eine grundlegende Reform des Systems, konkret ist auch noch die Idee des Pensionssplittings. Ansonsten gibt es viele Vorschläge, um die Menschen länger im Job zu halten, denen vor allem eines fehlt: die konkrete Ausformung.

Behinderte

Experten lesen zwar gute Absichten, aber zu wenige konkrete Schritte aus dem Regierungsprogramm heraus. Konkret gibt es etwa Kritik daran, dass die Schaffung eines Inklusionsfonds "geprüft" werden soll, obwohl dessen Notwendigkeit von Fachkreisen längst bestätigt wird.

Pflege

In diesem Kapitel gilt Ähnliches wie beim Thema Behinderte. Die Stoßrichtung stößt in der Expertenschaft auf Zuspruch, doch vielfach bleibt die "grundlegende Reform der Pflege", die im Programm versprochen wird, schemenhaft. So lassen die Autoren völlig offen, worin die Entwicklung des Pflegegeldes, die – wie es ungelenk heißt – "alle Bedarfe berücksichtigt", bestehen soll. Unklar ist auch, wie der verheißene Ausbau der mobilen Pflege und Betreuung bezahlt werden soll – die "Bündelung" der Finanzierungsströme allein ist keine Antwort.

Diese Feststellung gilt für viele Passagen quer durch das Programm: Die türkis-grüne Koalition hat die Frage der Finanzierung auf das nächste Budget verschoben, das im März vorliegen soll. (red, 4.1.2020)