Auch in seiner 23. Wettkampfsaison freut sich Simon Ammann über gute Sprünge.

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Innauer über Ammann: "Ein Riesensportler, er kombiniert ein Mordsherz mit strukturiertem Denken."

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Kobayashi, Geiger, Kubacki, Lindvik. Wer Jubelfotos von der 68. Vierschanzentournee sucht, der muss sich an diese vier Herren halten. Und das könnte gut und gerne über Innsbruck (Samstag, 14 Uhr) hinaus bis Bischofshofen (Montag, 17.15) so bleiben. Es wäre schon eine Sensation, würde keiner aus diesem Quartett am Ende ganz oben stehen.

Doch hoppla, eine Ausnahme gibt es, nicht punkto Gewinnen, aber punkto Jubeln. Selten hat sich einer so gefreut wie Simon Ammann beim Tourneestart. Im ersten Oberstdorf-Durchgang stand er die achtgrößte Weite (132 m), am Ende schaute immerhin Rang 16 heraus. In Garmisch lief es mit Platz 24 etwas schlechter für den Schweizer, aber: allerweil. Mit 38 Jahren ist Ammann, auch weil Japans Noriaki Kasai (47) fehlt, der Tournee-Methusalem. Mit 1,73 Metern zählt er nicht zu den Größten, doch schon allein seiner Erfolge wegen müssen alle anderen aufschauen zu ihm. Ammann war nicht nur einmal, sondern sogar zweimal doppelter Olympiasieger, 2002 in Salt Lake City wie 2010 in Vancouver triumphierte er auf der kleinen und auf der großen Schanze. Auch Weltmeister (2007) und Skiflug-Weltmeister (2010) kann er sich nennen.

Was fehlt

Allein die Vierschanzentournee fehlt in seiner Erfolgssammlung, zweimal war er Gesamtzweiter, zweimal Dritter. Die Bilanz wird sich kaum noch verändern. "An der Hantelstange, die er zu heben hat, verstecken sich immer mehr Scheiben", spricht Anton Innauer das Alter Ammanns an. Doch "mitreißende Leistungen, also Top-Ten-Plätze speziell auf größeren Schanzen", sind Ammann zuzutrauen, sagt Innauer dem STANDARD. Und für einen 38-Jährigen wären einstellige Resultate "schon sensationell".

Kaum einer hat Ammanns größte Erfolge so unmittelbar mitbekommen wie Innauer, der 2002 ÖSV-Cheftrainer und 2010 Nordischer Direktor war. Für den 61-Jährigen, 1980 Olympiasieger, ist Ammann "ein Riesensportler, der ein Mordsherz mit strukturiertem Denken kombiniert, und einer der wenigen originellen Typen im Sport".

Harry Potter

In Salt Lake City hatte Ammann während seiner Flüge von der Höhenlage profitiert. Als Leichtgewicht hätte es ihn im Anlauf bremsen müssen. "Aber er hat mit seinem Elan-Ski eine irre Geschwindigkeit erzielt", erinnert sich Innauer. Unvergessen die Siegerehrungen. Ammann, dem man seine 20 Jahre bei weitem nicht ansah, trug einen großen, langen Mantel und Brillen, fürderhin trug er dann auch den Spitznamen "Harry Potter". Es war nicht das letzte Mal, dass der Schweizer den Gegnern Rätsel aufgab. 2010 in Vancouver ging er als Erster mit einer neuen "Wunderbindung" in die Luft. Ein gekrümmter Bindungsstab ließ seine Ski flacher in der Luft liegen, Ammann erhielt mehr Auftrieb und flog weiter. Innauer: "Man hat gleich gesehen, da ist etwas faul."

Eine echte Revolution

Auch die Österreicher hatten mit der Bindung experimentiert, aber aus Sicherheitsgründen darauf verzichtet. Der Weltverband Fis winkte die Novität durch, obwohl der gekrümmte Bindungsstab bei der Landung ein Risiko darstellte, den Telemark erschwerte. Innauer: "Das war eine Überraschung für uns. Doch vor Ammann musste man den Hut ziehen, er hat alles richtig gemacht. Im Prinzip hat er uns überrollt." Die übrigen Nationen konnten nur nachziehen und taten es, laut Innauer hatte Ammann den Sprungsport revolutioniert. "Auch die Wind/Gate-Kompensation ist eine Folge davon." Ohne diese Regel könnten kaum noch Bewerbe stattfinden, weil es zu weit gehen würde, somit zu gefährlich wäre.

Mit der Landung hatte Ammann Zeit seiner Karriere Probleme. Innauer führt sie darauf zurück, dass es dem Eidgenossen von klein auf an interner Gegnerschaft mangelte. Die Weite reichte, die Landung war sekundär. Daraus sollten später viele gekacherlte Sprünge resultieren und etliche Stürze, manche davon schwer. Anfang 2015 erlitt Ammann in Bischofshofen Gesichtsverletzungen und eine Gehirnerschütterung, sein Karriereende stand im Raum.

Doch Simon Ammann, der seit 2010 verheiratet ist und zwei Kinder hat, Ammann, der ein Hotel gekauft hat und es wiedereröffnen will, Ammann, der an den Toggenburger Bergbahnen und an der Dachdeckerei seines Bruders beteiligt ist, Ammann, der in St. Gallen Betriebswirtschaft studiert, entschied sich zur Fortsetzung der Karriere. Er empfindet es als "riesiges Privileg, in meinem Alter noch Spitzensport betreiben zu können". Besonders freut er sich auf die Skiflug-WM im März in Planica. Anton Innauer kann sich vorstellen, dass die Winterspiele 2022 in Peking ein Thema werden für Ammann. "Da hilft es, dass er Schweizer ist und wenig Konkurrenz hat." Mit seiner siebenten Olympiateilnahme wäre der Zauberer allein auf weiter Flur. Und wer weiß, vielleicht fällt ihm sogar noch einmal etwas ein. (Fritz Neumann, 4.1.2019)