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Deutschlandweit gibt es rund 60.000 anhängige Klagen gegen VW.

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Hannover/Wien – Im Streit um mögliche Entschädigungen für Hunderttausende Dieselkunden von Volkswagen in Deutschland rechnet Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer mit einem Vergleich im Frühjahr. "Es wird sicher noch zwei oder drei Monate dauern, bis der Vergleich in allen Facetten durch ist, aber die Zeit ist überschaubar", sagte der Professor der Universität Duisburg-Essen der Deutschen Presse-Agentur in Hannover.

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass VW jetzt noch einen Rückzieher macht, also kommt die Vereinbarung." Der Ministerpräsident des deutschen Bundeslandes Niedersachsen, Stephan Weil, der seit 2013 auch im VW-Aufsichtsrat sitzt, hatte sich zuvor zurückhaltender zum Zeitplan geäußert. "Die Gespräche beginnen gerade erst, noch ist völlig offen, wie lange sie dauern werden und zu welchem Ergebnis sie kommen", sagte der SPD-Politiker am Freitag.

Hoffen auf Schadenersatz

VW war einem Vergleich lange skeptisch gegenüber gestanden. Das Oberlandesgericht Braunschweig forderte den Konzern aber auf, die Gespräche in Betracht zu ziehen. Am Donnerstag teilten VW und der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) dann mit, dass sie in dem Musterverfahren über einen Vergleich sprechen. Die Kläger hoffen nach dem VW-Abgasskandal vor allem wegen eines Wertverlusts ihrer Autos auf Schadenersatz. Auch 1.100 Österreicher haben sich den Vergleichsverhandlungen zwischen Volkswagen und dem deutschen Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) angeschlossen.

Die genaue Zahl der für die Klage registrierten Verbraucher ist allerdings strittig. Laut VW gab es neben rund 470.000 Anmeldungen auch 77.000 Abmeldungen, die das Bundesamt für Justiz noch nicht vollständig verarbeitet habe. Zudem könnte es Doppeleinträge und Anmeldungen geben, hinter denen mehrere Dieselfahrer stehen.

Nachträgliche Meldung nicht möglich

Nachträgliche Anmeldungen als Kläger im Musterprozess sind nicht mehr möglich. Der FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Michael Theurer, hatte VW allerdings aufgefordert, alle betroffenen VW-Besitzer zu entschädigen – unabhängig davon, ob sie an dem Musterprozess teilnehmen oder nicht.

Dudenhöffer bezeichnete das als wenig realistisch. "VW braucht eine Berechenbarkeit, sonst könnten viele zweifelhafte Fälle die Abgrenzung schwermachen", sagte er. Der Autokonzern werde sich daher seiner Einschätzung nach auf die Beteiligten der Musterklage konzentrieren.

Darin stecke für die Wolfsburger zudem auch eine Chance für einen Neubeginn. "Jetzt, wo VW den ID.3 in den Verkauf bringt, eine völlig neue Ära bei VW beginnt, sollte man den dunklen Schatten der Vergangenheit endlich "abarbeiten" und Frieden zwischen Verbrauchern und dem Unternehmen schließen", so Dudenhöffer. Mit dem Elektroauto ID.3 als Flaggschiff will sich Volkswagen umweltfreundlicher präsentieren als bisher. Bis 2050 soll die gesamte Fahrzeugflotte des Konzerns CO2-neutral sein.

60.000 anhängige Klagen

Der Dieselskandal dürfte VW trotzdem noch länger begleiten, auch vor Gericht. Neben dem Musterprozess in Braunschweig gab es zum Jahreswechsel deutschlandweit rund 60.000 anhängige Klagen, auch im Ausland laufen noch Verfahren. Zudem kommt ein milliardenschwerer Anlegerprozess in Braunschweig nur schleppend voran. Dabei geht es um die Frage, ob VW die Märkte rechtzeitig über die Abgasmanipulationen informiert hat.

Verglichen mit den Aktionärsklagen sieht Dudenhöffer den Frieden mit den Autofahrern jedoch als das "deutlich wichtigere Gut". "Nach meiner Einschätzung würde die "neue" VW mit diesem Vergleich aus dem Schatten der Vergangenheit treten", erklärte er und ergänzte: "Folgerichtig wäre, das alte Management – also Herrn Winterkorn – auch von VW-Seite stärker zur Rechenschaft zu ziehen." Ex-VW-Chef Martin Winterkorn ist unter anderem wegen Betrugs angeklagt. Ein Termin für den Prozessbeginn war zuletzt aber noch nicht in Sicht. (APA, 4.1.2020)