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Vor kurzem war es also so weit: Die "Perry Rhodan"-Serie hat ihren 3.000. Roman hervorgebracht. Und da sind Nebenserien und Taschenbücher nicht einmal mitgerechnet, nur das seit 1961 ohne Unterbrechung im Wochentakt erscheinende Fortsetzungsabenteuer der längst zum geflügelten Wort gewordenen "Erstauflage". Aus Anlass des Jubiläums hat sich das monumentalste SF-Franchise im Sektor Literatur etwas Besonderes gegönnt.

Perry – Jungenjahre eines Universalerben

Dass PR-Erzählungen außerhalb des Stammhauses Pabel-Moewig erscheinen, ist per se noch nichts Neues. So wird beispielsweise im April eine neue Taschenbuch-Trilogie bei Bastei Lübbe starten. Andreas Eschbachs ultrafetter – und doch höchst vergnüglich zu lesender – Wälzer "Perry Rhodan. Das größte Abenteuer" fällt jedoch aus dem Rahmen. Er ist keinem Handlungszyklus der Serie entsprungen, sondern gewissermaßen die Vorgeschichte zu allem. Eschbach, der selbst schon einige Gastbeiträge für die Serie geschrieben hat, liefert uns hier die Biographie Rhodans, ehe dieser zum "Erben des Universums" wurde – und schließt damit eine erstaunliche Lücke.

Dem einen oder anderen mag sich da vorab die Frage aufdrängen, wie kanonisch ein solches Werk sein kann. Nun, ich bin nicht der pferdeschwänzige Comicverkäufer der "Simpsons", kann also nicht sagen, ob nicht irgendwo auf Seite XX von Band XXYX eine Anmerkung stand, die sich mit einem Detail Eschbachs beißt. Und möglicherweise habe ich auch mal ein gut verstecktes Easter Egg übersehen. Doch soweit sich die Angaben auf der Perrypedia nachprüfen lassen, hat Eschbach einen äußerst sorgfältigen Job gemacht. Und Hand aufs Herz: Wer will schon der pferdeschwänzige Comicverkäufer der "Simpsons" sein?

Streifzug durch die Zeitgeschichte

Die Biographie geht bis zu Rhodans Geburt im Jahr 1936 in Connecticut zurück, oder genauer gesagt sogar bis zu den Vitae von dessen Großeltern. Wir lesen von Perrys frühem Interesse für Astronomie und Science Fiction – und vom allerersten Titel, den er lange vor solchen wie "Großadministrator" oder "Ritter der Tiefe" erwarb: Klassensprecher. Dass er sich in dieser Zeit mit dem schwarzen Jungen Leroy Washington anfreundet, wird das Thema Rassismus einläuten, das sich durch Eschbachs ganzen Roman zieht. Zwar bei weitem nicht so konsequent wie in Mary Robinette Kowals "The Calculating Stars", und doch finden sich hier bemerkenswerte Parallelen: Denn auch hier verbindet sich der Wunsch nach Gleichstellung aller mit dem Pioniergeist des frühen Weltraumzeitalters – und all das vor dem Hintergrund einer Alternativweltgeschichte, zu der ja auch die PR-Serie mit dem einst für 1971 antizipierten Mondflug Rhodans nachträglich geworden ist.

Da diese Gabelung aber erst relativ weit hinten in Eschbachs Buch auftritt, ist es für lange Zeit auch ein Streifzug durch die Zeitgeschichte. Wir sind – parallel zu Rhodans Karriere von der Militärschule über West Point bis hin zur Ausbildung zum Piloten und schließlich zum Raumfahrer – mit unserer Hauptfigur bei einer ganzen Reihe zentraler Ereignisse des 20. Jahrhunderts dabei. So nimmt Rhodan an Martin Luther Kings Marsch auf Washington teil, wird in den Vietnamkrieg geschickt und mischt sogar bei den Pariser Studentenunruhen von '68 mit. Eschbach rattert aber nicht einfach irgendwelche historischen Daten runter, er gibt uns auch ein Feeling für die Epoche: Sehr schön etwa die Episode, in der Rhodans Vater das erste Rundfunkgeschäft im heimatlichen Kaff aufmacht und sich vor dem Schaufenster flugs Menschentrauben zum "Public Viewing" ansammeln – so sensationell war ein Fernseher 1946 noch.

Der geheimnisvolle Biograph

Eingebettet wird die Erzählung in eine Rahmenhandlung, die noch einmal die Ereignisse schildert, mit denen die PR-Serie 1961 im Roman "Unternehmen Stardust" begann: Nämlich wie Rhodan 1971 zum Mond flog, dort ein Raumschiff von Außerirdischen entdeckte und mit deren Technologie den Atomkrieg verhinderte. Diesmal erleben wir das aber aus einer neuen Perspektive mit – nämlich aus der des launigen Biographen, der Rhodans Lebensweg hier immer wieder mit Gelegenheiten zum Schmunzeln sprenkelt (so lesen wir etwa, dass Rhodans erster Eindruck von seinem jahrtausendelangen Weggefährten Reginald "Bully" Bull der eines rothaarigen Giftzwergs mit Ehrgeizproblem war).

Es ist ein annähernd allwissender Erzähler, der Dialoge, bei denen er nicht dabei war, ebenso wiedergibt, wie er fließend in historische Exkurse überzuleiten versteht. Und natürlich drängt sich rasch die Frage auf, wer es denn sein mag, der da schon bei Rhodans erster Großtat live dabei war und offensichtlich auch Ereignisse, die erst Jahrtausende später stattfinden werden, aus persönlicher Erfahrung kennt. Ich spoilere nicht den Namen, doch jeder, der auch nur irgendwann PR gelesen hat, wird es zügig herausgefunden haben – und nach 200 Seiten offenbart er sich dann auch für die anderen.

Ein nettes Detail übrigens: Unser Erzähler verwendet altbackene Phrasen wie "Verfasser dieser Zeilen" oder "geneigte Leserschaft", die auch im Journalismus gelegentlich noch auftauchen und bei denen ich mich jedesmal vor Schmerzen krümme. Doch sie passen zur Person des Erzählers – sind also kein stilistischer Schwächeanfall Eschbachs, sondern vielmehr eine Bestätigung für dessen Liebe zum Detail.

Empfehlung, nicht nur für PR-Fans!

Stellvertretend für das über die Jahrzehnte stark schwankende Image der PR-Serie an sich, wird auch die Figur Rhodan thematisiert, die je nach Phase und Autorengeneration mal interstellarer Hippie, mal De-facto-Diktator war (aber immer Abenteurer). Eschbach hat dabei einen ziemlichen Seiltanz zu bewältigen. Auf der einen Seite lässt er seinen Erzähler Ansätze zur Entmystifizierung einbringen – etwa wenn er Klein-Perry ein ungewöhnlich gewöhnliches Baby nennt oder später kleine Spitzen in Richtung Rhodans Vaterqualitäten setzt (was Altfans als Nebeneffekt ganze Handlungszyklen vor dem geistigen Auge vorüberziehen lassen dürfte).

Auf der anderen Seite stehen aber auch klare Tendenzen zur Überhöhung: Sei es, dass sich schon früh in Rhodans Leben übernatürliche Wesen manifestieren, die seine spätere "Bestimmung" bereits kennen. Oder sei es seine legendäre Gabe als "Sofortumschalter", die ihm einen offenbar in der ganzen Mächtigkeitsballung von ES einzigartigen Blick hinter die Wirklichkeit ermöglicht. So reihen sich letztlich eine Ruhmestat und eine richtige Entscheidung an die andere – aber so ist das halt mit Helden. Selbst oder gerade mit denen wider Willen.

Als einzige Schwäche bleibt das Ende, das nicht wirklich einen spektakulären Schlusspunkt setzt, sondern eher ausplätschert. Eschbach streift noch überblicksmäßig diverse Geschehnisse aus den frühesten Heftromanen, ehe er ein Ereignis an den Schluss setzt, das epochal zu sein versucht, es aber nicht wirklich schafft. Aber naja, viele große Popsongs enden nicht mit einem Schlussakkord, sondern bloß mit einem Fade-out. Das sollte das Lesevergnügen aber nicht schmälern: Selbst 800+ Seiten können wie im Flug vergehen!