Noch plagen sich Fahrgäste mit Ticketautomaten, jeder Verkehrsträger hat eigene Tarife und Automaten.

Foto: Christian Fischer

Wien – Die als Wunderwaffe gefeierte 1-2-3-Öffi-Jahreskarte im türkis-grünen Koalitionspapier könnte sich bald als Schnellschuss herausstellen. Denn die Umsetzung eines Jahrestickets für alle öffentlichen Verkehrsmittel in Österreich um 365 Euro pro Bundesland und 730 Euro für zwei Bundesländer (die neue Österreichcard käme nach diesem Schlüssel auf 1.095 Euro, also drei Euro pro Tag) könnte für den Bund finanziell zu einem Fass ohne Boden werden.

Denn das 1-2-3-Österreichticket wäre damit deutlich billiger als die vergleichbare Fahrkarte in der Schweiz, wo das SBB-Generalabo umgerechnet 3.466 Euro kostet und damit deutlich teurer ist als die ÖBB-Österreichcard um 1964 Euro (entspricht 5,40 Euro pro Tag). Mit gutem Grund, denn im SBB-Generalabo sind sämtliche Öffis – vom Zug über den Bus bis zum Schiff – inkludiert, in Österreich sind es hingegen nur ÖBB-Züge zweiter Klasse.

Budgetäre Herausforderung

Da die Verkehrsträger von der ÖBB abwärts im staatlich finanzierten Nah- und Regionalverkehr verständlicherweise auf Erhaltung ihrer Einnahmen pochen, könnte sich die in Aussicht gestellte Billig-Österreichcard als budgetäre Herkulesaufgabe erweisen. Der Bund müsste die jeweiligen Einnahmenausfälle ersetzen. Das wären allein bei der ÖBB knapp 900 Euro Stütze pro Jahreskarte – die anderen Verkehrsträger wie diverse städtische Verkehrsbetriebe, Landesbahnen und Mikro-Öffis wie Anfrufsammeltaxis noch nicht eingerechnet.

Von den zwei Milliarden Euro an Nah- und Regionalverkehrsförderung, die im Regierungsprogramm angekündigt wurden, bliebe dann für den angestrebten Stundentakt in Ballungsräumen und Kleinstädten an sieben Tagen die Woche wohl nicht viel übrig.

Knackpunkt Finanzierung

Womit die in den Kapiteln Verkehr sowie Wirtschaft und Finanzen des Koalitionspaktes angekündigte Neuaufstellung der Finanzierung des Öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs (ÖPNRV) in Österreich zusätzliche Brisanz bekommt. Es sollen, wie berichtet, nicht weniger als die Finanzierungsregelungen von Finanzausgleich, Familienlastenausgleichsfonds und ÖPNRV-Gesetz geändert und zu einer zweckgebundenen Zuweisung an die Bundesländer weiterentwickelt werden. Diese Harmonisierung wäre wohl das Kernstück für eine Neuaufstellung des Öffi-Verkehrs. Widerstand von Ländern und Gemeinden ist garantiert.

Eine Jahresnetzkarte für alle Öffis in Österreich müsste an allen Fahrkartenautomaten aller Verkehrsträger erhältlich sein.
Foto: ÖBB / Marek Knopp

Hinzu kommt, dass Jahres-, Monats- und Wochennetzkarten vom und in den sogenannten Wiener Speckgürtel (etwa nach Perchtoldsdorf, Purkersdorf, Vösendorf) nach der Logik des neuen 1-2-3-Tickets teurer würden. Von Perchtoldsdorf nach Wien würde es 730 Euro kosten, das Verkehrsverbund-Ticket inklusive Kernzone Wien beläuft sich aber nur auf 620 Euro. Um die neue Öffi-Karte genau an der Grenze zwischen Wien und Niederösterreich zu einem Renner zu machen, braucht es daher nicht nur bessere Bus- und Schnellbahnangebote, sondern tarifliche Sonderregelungen für die niederösterreichischen Anwohnerbezirke an der Wiener Stadtgrenze. Das räumt man bei den Grünen informell auch bereits ein.

Niederösterreich und Wien haben Ein-Euro-Tickets

Es gibt freilich weitere Gründe, warum sich der 365-Euro-Schnellschuss als voreilig erweisen könnte. Denn in Niederösterreich gibt es, wie in Wien, längst 365-Euro-Netzkarten: Die erste Preisstufe in der Tarifgemeinschaft des Verkehrsverbunds Ostregion, der mit Abstand bevölkerungsreichsten Region Österreichs, kostet 365 Euro und umfasst jeweils ein Gemeindegebiet. Ob der Pendler mehr braucht, ist fraglich. Denn laut Pendlerstatistik pendelten 2017 von rund 800.000 Erwerbstätigen in Niederösterreich nur 230.000, also ein Viertel, in ein anderes Bundesland aus, der Großteil nach Wien. Der überwiegende Rest fährt in Nachbargemeinden zur Arbeit oder in einen anderen Bezirk.

Im Burgenland ist es umgekehrt, da arbeitet die Hälfte der 136.950 Erwerbstätigen nicht im eigenen Bundesland. Um nach Wien zu kommen, müsste hier wiederum der Niederösterreich-Teil der 1-2-3-Netzkarte mitgezahlt werden, was die Zeitkarten wohl nicht billiger macht.

Profiteure einer Jahresnetzkarte für alle Öffis in Österreich zum Preis von drei Euro pro Tag wären zweifellos die ÖBB-Jahreskartenbesitzer, sie bekämen um deutlich weniger Geld ein deutlich größeres Angebot.

Parkpickerl als Turbo

Ausgeblendet wird insbesondere in Bundesländern, in denen der Ruf nach Landes- und Österreich-Netzkarten nach Vorbild des Wiener 365-Euro-Tickets besonders laut wurde, häufig das wichtigste Erfolgskriterium: die Parkraumbewirtschaftung. Die Einführung der Parkpickerl in den Wiener Außenbezirken war für das 365-Euro-Ticket nämlich der Turbo schlechthin. Denn tausende Einpendler aus Niederösterreich konnten ihre Autos plötzlich nicht mehr kostenlos nahe ihrem Arbeitsplatz oder einer U- oder S-Bahn-Station abstellen, um weiter mit dem Zug ins Büro zu fahren. Sie mussten entweder gleich in der Nähe ihres Wohnorts in die Bahn steigen oder eine Park-and-ride-Anlage aufsuchen, um von dort in die Stadt zu fahren. Das brachte den Wiener Schnellverbindungen den entscheidenden Schub. Staus auf der Südautobahn zu Stoßzeiten trugen ebenfalls dazu bei.

Inzwischen fahren allein auf der Stammstrecke der Wiener Schnellbahn zwischen Meidling und Floridsdorf mehr als ein Viertel aller Fahrgäste der ÖBB – und tragen damit maßgeblich zum massiven Fahrgastzuwachs bei, auf den die ÖBB gern verweist. (ung, 7.1.2020)