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Die Patchworkfamilie soll eigentlich jeden glücklich machen. Dennoch zerbrechen etwa die Hälfte davon wieder.
Foto: Getty Images/Sohl

STANDARD: In Österreich sind ungefähr acht bis neun Prozent der Paare mit Kindern unter 18 Jahren eine Stieffamilie. Das bedeutet, dass zumindest ein Kind aus einer früheren Beziehung in den Haushalt mitgebracht wurde. Theoretisch ist Patchwork eine prima Idee – in der Praxis scheitern jedoch viele. Woran liegt das?

Susi Pacher: Ich habe beobachtet, dass viele Eltern einen großen Fehler machen: Sie ziehen zu schnell zusammen – und zwar ohne sich vorher Gedanken zu machen, wie man mit ersten Krisen umgeht. Im Alltag treten bei den Kindern aber nach einiger Zeit essenzielle Fragen auf: Wo gehöre ich dazu, wem darf ich was sagen, werde ich fair behandelt? Das Paar hat sich vielleicht gerade erst kennengelernt, und plötzlich steht es vor so großen Herausforderungen. Das zu bewältigen ist nicht einfach und ohne Reflexion kaum zu schaffen. Das Paar ist deswegen gut beraten, wenn es sich zuerst einmal viel Zeit für die Beziehung nimmt, zusammenwächst und im Vorfeld abklärt, wie das neue Lebensmodell aussehen soll. Dann findet man schnell heraus, ob man wirklich bereit ist, Kompromisse einzugehen.

STANDARD: Um welche Kompromisse handelt es sich konkret?

Pacher: Eine Stieffamilie ist ein äußerst komplexes Beziehungsgeflecht, das aus mindestens zwei Familiensystemen besteht. Plötzlich leben Kinder und Eltern unter einem Dach, die vielleicht alle völlig unterschiedliche Regeln und Rituale kennen. Sich an den anderen und seine Vorstellungen anzupassen und gewohnte Abläufe oder Muster zu verlassen ist schwierig – für Kinder und für Erwachsene. Konkret geht es um Tagesabläufe, Erziehungsfragen oder die Familienhierarchie.

STANDARD: Das bedeutet, man braucht klare Regeln?

Pacher: Klare Regeln, die offen kommuniziert werden. Gemeinsam mit den Kindern. Je mehr man die Kinder einbezieht, desto höher sind die Chancen auf Harmonie innerhalb der Familie. Sobald sich jemand ausgeschlossen oder übergangen fühlt, kann es zu Konflikten kommen.

STANDARD: Am Ende bleibt dabei immer der Ex-Partner ausgeschlossen. Ist das für die Kinder nicht auch schwierig?

Pacher: Ja, das ist ein Riesenproblem. Kinder leiden unter der Trennung der leiblichen Eltern. Sie haben Angst, eine wichtige Bezugsperson zu verlieren. Selbst wenn alles gut läuft in der neuen Familie, wenn sich die Kinder mit den neuen Stiefeltern gut verstehen – das schlechte Gewissen bliebt. Weil Mama oder Papa eben nicht dabei sind. Kinder brauchen deswegen die Gewissheit, dass sie keinen Verrat an der leiblichen Mutter oder dem leiblichen Vater begehen.

STANDARD: Und wie macht man das am besten?

Pacher: Die Ex-Partner müssen, so gut es geht, in das neue System integriert werden. Kinder sollten immer die Möglichkeit haben, über ihre leiblichen Eltern zu sprechen – ohne spitze Bemerkungen fürchten zu müssen. Selbst wenn man den Ex-Partner nicht ausstehen kann, die eigenen Verletzungen dürfen in diesem Fall keine vordergründige Rolle spielen.

STANDARD: Klingt, als bräuchte man da viel Pragmatismus ...

Pacher: Patchworkfamilien brauchen einen langen Atem, bis sie zu einem funktionierenden Familiengeflecht zusammenwachsen. Die amerikanische Familienforscherin Patricia Papernow sagt, dass es in der Regel sieben Jahre dauert, bis in der neuen Gemeinschaft jeder seine Rolle gefunden hat. Bis dahin gibt es also viele Krisen, und die Gefahr der Trennung ist groß.

STANDARD: Ist es wichtig, den Kindern die volle Wahrheit über die Trennung zu erzählen?

Pacher: Das kommt auf das Alter der Kinder an. Können sie überhaupt schon nachvollziehen, was abgelaufen ist? Wichtig ist für mich, dass man seinen Kindern gegenüber immer kongruent ist. Kinder spüren, wenn man ihnen etwas vormachen will. Da entsteht schnell Misstrauen. Das heißt aber nicht, dass man das Kind auf dieselbe emotionale Ebene holen muss, auf der man sich selbst erlebt. Eine klare Abgrenzung der Elternrolle und der Partnerrolle ist hier wichtig.

STANDARD: Was, wenn die Ex-Partner das neue Familiensystem gar nicht gern sehen und versuchen zu manipulieren?

Pacher: Auch hier ist es am besten, mit den Kindern in ein offenes Gespräch zu gehen. Auf keinen Fall sollte man schlecht über den Ex-Partner sprechen oder ihn abwerten, sondern das Kind stärken. Die Trennung – allein schon die örtliche – ist für das Kind immer eine Katastrophe. Umso wichtiger ist es, ihm zu vermitteln, dass es nichts dafür kann – weder für die Trennung noch für etwaige Konflikte. Natürlich kann es auch vorkommen, dass die Wut des verlassenen Ex-Partners so groß ist, dass dieser anfängt zu terrorisieren oder den Kindern einen Umgang mit dem neuen Stiefelternteil verbietet. Das erfordert Geduld. Oft kann der Ex-Partner nach einiger Zeit die Wut langsam verarbeiten, und es ist wieder ein Dialog möglich.

STANDARD: Was kann man als Bonusmama oder Bonuspapa tun, damit die Kinder einen gut akzeptieren?

Pacher: Viele Kinder reagieren erst einmal mit Ablehnung auf den neuen Partner der Mutter oder des Vater, denn viel lieber würden sie ihre leiblichen Eltern als Paar zusammen sehen. Das Vertrauen der Kinder zu gewinnen ist keine leichte Aufgabe. Am besten gelingt es, indem man ihnen zeigt, dass man nicht versucht, die Rolle der Mutter oder des Vaters einzunehmen. Klar, man übernimmt viele Aufgaben einer Mutter, aber man ist nicht die Mutter. Beim Stiefvater ist es gleich. Es sollte das Anliegen der Stiefeltern sein, dass sich die Bonuskinder mit ihren leiblichen Eltern gut verstehen. Das spüren die Kinder sofort und fassen Vertrauen.

Susi Pacher arbeitet als Familien-, Kinder- und Jugendcoach in eigener Praxis in Wien und Enzesfeld. Sie selbst lebt in einer Patchworkfamilie mit vier Kindern.
Foto: Christian Schörg

STANDARD: Welche Rolle spielen eigentlich die Großeltern?

Pacher: Es gibt genügend Großeltern, die das Thema am liebsten unter den Tisch kehren möchten, weil sie in einer ganz anderen Zeit aufgewachsen sind. Einer Zeit, in der eine Scheidung oder ein uneheliches Kind noch ein Skandal waren. Vielen fällt es demnach schwer, das Bonusenkerl anzunehmen und es genauso fair zu behandeln wie die anderen Enkelkinder. Hier sind die Eltern angehalten, Oma und Opa ganz klar zu kommunizieren, dass man Gleichberechtigung wünscht. Die Kinder können ja nichts dafür und haben es sich auch nicht ausgesucht.

STANDARD: Wie kann die Gesellschaft Patchworkfamilien unterstützen?

Pacher: Es sollte in erster Linie kein Tabu mehr sein, wenn man ein Scheidungskind ist oder wenn Eltern nach einer Scheidung eine neue Familie gründen. Es ist nämlich durchaus möglich, dass eine Patchworkfamilie super funktioniert und auch der extern lebende Elternteil gut integriert wird. Mehrere Familiensysteme, die zusammenkommen, können sogar eine riesige Bereicherung sein. Bei Promis, die in Patchworkfamilien leben, wird immer gejubelt. Hierzulande sind alle kritisch und sehen nur Opfer. Wenn sich das gesellschaftliche Bild verändert, fällt es Beteiligten auch nicht so schwer, um Hilfe zu bitten oder Hilfe anzunehmen.

STANDARD: Wann, würden Sie sagen, hat eine Patchworkfamilie gute Chancen auf ein Happy End?

Pacher: Wenn die Beteiligten aufmerksam sind und viel Offenheit und Bewusstsein für den anderen mitbringen. Und, wie schon so oft erwähnt: Geduld und keine Scheu davor professionelle Hilfe anzunehmen. (Nadja Kupsa, 10.1.2020)