Nicht immer betteln Menschen freiwillig, wie ein Strafprozess in Wien zeigt.

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Wien – Ungewöhnlicher als der Erstangeklagte Iliyan Z. kann man sich vor Gericht kaum verantworten. "Obwohl ich die Taten nicht begangen habe, bekenne ich mich schuldig", erklärt der 38-jährige Bulgare Richterin Magdalena Krausam-Klestil im Brustton der Überzeugung. Der Zweitangeklagte, der 66 Jahre alte Vater von Iliyan Z., folgt diesem Beispiel: "So wie mein Sohn sage ich das auch", wird übersetzt.

Das Duo soll Menschenhandel betrieben haben. Genauer, sie sollen Landsleute unter Vorspiegelung falscher Tatsachen angeworben, nach Österreich gebracht und hier zum Betteln gezwungen haben. Insgesamt fünf Opfer gibt es laut Staatsanwältin Ursula Schral-Kropiunig: einen Lungenkrebskranken, der mittlerweile verstorben ist, einen fast vollständig Erblindeten, einen auf den Rollstuhl angewiesenen 68-Jährigen, einen Dementen und eine Frau, die in einem Waisenheim groß wurde und an intellektuellen Beeinträchtigungen leidet.

Mit Opfer in demselben Auto

Iliyan Z. will praktisch niemanden der Betroffenen kennen. Beispielsweise den Karzinom-Patienten: "Ich habe ihn noch nie gesehen in meinem Leben." – "Haben Sie eine Erklärung, warum er bei einer Ausreisekontrolle nachweislich im Auto gesessen ist, das Sie gelenkt haben?", will die Richterin wissen. "Vielleicht ist er mitgereist. Aber ich bin nicht gefahren." – "Warum hat er sich nachweislich in derselben Wohnung wie Sie aufgehalten?" – "Das stimmt nicht!" – "Warum erkennt er Sie auf einem Foto?" – "Es könnte sein, dass wir uns bei gemeinsamen Reisen gesehen haben. Es ist sehr lange her, ich weiß es nicht mehr."

Das ermittelnde Bundeskriminalamt hat zwischen 2018 und Juli 2019 insgesamt 16 Ein- und Ausreisen dokumentiert, bei denen die Angeklagten und insgesamt 65 andere Menschen – darunter die fünf Opfer – aus Bulgarien nach Österreich kamen. Die Z.s glauben an einen Zufall.

Ausweisdokumente und Geld abgenommen

Und da sie die Opfer großteils ja nicht kennen, können sie in der gemeinsamen Heimatstadt Russe auch keine Jobs in Wien versprochen haben, argumentieren sie, geschweige denn nach der Ankunft bedroht, geschlagen, die Pässe und das erbettelte Geld abgenommen haben. "Bei einer Polizeikontrolle hatten sie aber die Reisedokumente von mehreren Opfern bei sich", hält die Richterin dem Erstangeklagten vor. "Nein, ich habe die nicht genommen! Ich sage die Wahrheit!", beteuert Z., um sich plötzlich anders zu erinnern. "Einmalig habe ich die Ausweise genommen, um sie für den Straßenzeitungsverkauf anzumelden, da kam schon die Polizei."

"Was machen Sie überhaupt in Österreich?", fragt Krausam-Klestil Z., der zweifacher Vater ist und laut eigenen Angaben in Bulgarien rund 300 Euro verdient. "Ich war nur gelegentlich da. Zu Kontrolluntersuchungen im AKH. Und ein Meldeverfahren lief, da bin ich zu Aussagen erschienen." Wenn er die sechs, sieben Tage pro Monat im Land gewesen sei, habe er eine Obdachlosenzeitung verkauft, um sich den Schlafplatz in einem privaten Massenquartier um sieben Euro pro Nacht sowie Essen leisten zu können.

Zwei Stunden verschwendete Zeit

Fast zwei Stunden dauert die Einvernahme von Iliyan Z., ehe sich diese Zeit als vergeudet herausstellt. "Wie erklären Sie sich fünf Aussagen, die Sie und Ihren Vater belasten?", will die Richterin von ihm am Ende wissen. "Ich gestehe meine Schuld, das habe ich schon gesagt", weicht der Erstangeklagte aus. "Das ist kein Geständnis und wirkt auch nicht mildernd. Ich denke, da brauche ich kein Geheimnis daraus zu machen", stellt Krausam-Klestil klar. "Es ist so gewesen, wie es in der Anklage steht", gibt Z. plötzlich zu. "Das heißt, Sie haben hier bisher gelogen? Der Strafantrag ist richtig?" – "Ja."

Das vorangegangene Lavieren bei drückender Beweislast überrascht ein wenig, denn der Erstangeklagte hat schon Erfahrungen mit der Justiz. Er wurde bereits in Griechenland verurteilt – wegen Menschenhandels, da er einen bulgarischen Bettler ausgebeutet hat.

Einschlägige Vorstrafen in Griechenland

In dem von Nichtschengenstaaten umgebenen Griechenland sind die Strafandrohungen dafür hart: bis zu zehn Jahre Haft plus eine Geldstrafe von 10.000 bis 50.000 Euro bei erwachsenen Opfern. Sind die Opfer minderjährig, liegt die Mindeststrafe bei zehn Jahren und 50.000 Euro. Das dürfte bei Z. der Fall gewesen sein: Er bekam zwölf Jahre und 50.000 Euro, wurde aber nach drei Jahren entlassen. Sein Vater hat ebenso eine hellenische Vorstrafe vorzuweisen: 30 Monate plus 5.000 Euro wegen Schlepperei.

Diese unterschiedlich hohen Vorstrafen sind es, die die Richterin auch in ihrem Fall zu unterschiedlichen Strafhöhen greifen lässt. Der Erstangeklagte wird zu drei Jahren Haft verurteilt, sein Vater kommt mit drei Monaten weniger davon. Den Opfern müssen sie insgesamt 22.400 Euro an Schadenersatz und Schmerzensgeld zahlen. Beide akzeptieren die Strafe, bei Iliyan Z. beruft die Staatsanwältin allerdings gegen die Strafhöhe, diese Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 7.1.2019)