Wien – Die Republik ist inzwischen routiniert in diesem staatstragenden Zeremoniell – und doch war in dem so turbulenten vergangenen Jahr fast immer eine Premiere dabei. So auch am Dienstag: Wieder einmal drängten sich Journalisten und Angehörige der künftigen Minister im früheren Schlafzimmer von Kaiserin Maria Theresia in der Wiener Hofburg, um der Angelobung einer neuen Regierung beizuwohnen.

Wieder richtete Bundespräsident Alexander Van der Bellen ernste Worte über Politik und Verantwortung an die Anzugelobenden, wieder gelobten sie getreuliche Beachtung von Verfassung und Gesetzen. Nur war es am Dienstag die erste Bundesregierung mit Beteiligung der Grünen, während es bei der letzten Regierungsangelobung im Jahr 2019 noch die erste Expertenregierung Österreichs gewesen war, die ernannt wurde.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen wünschte sich von Sebastian Kurz und Werner Kogler eine Regierung in Rot-Weiß-Rot.
Foto: heribert corn

Die Selbstreinigung der Demokratie

"Nach den hinlänglich bekannten Ereignissen seit dem Mai des Vorjahrs, von Ibiza über die Regierung Bierlein bis hin zur Neuwahl des Nationalrats im Herbst, schließt sich jetzt der Kreis", sagte Van der Bellen. Bösartig ausgelegt bedeutet das so viel wie: Der Präsident hat vorerst einmal genug von der Angeloberei. Normalerweise übernimmt eine Bundesregierung ja auch nach ausgerufenen Neuwahlen weiterhin die Amtsgeschäfte und übergibt sie dann direkt an die Folgeregierung – Österreich hat nun aber wegen der erstmaligen Abwahl eines Bundeskanzlers durch das Parlament ein 218-tägiges Intermezzo hinter sich.

Nach 218 Tagen ist die Amtszeit von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein vorbei.
DER STANDARD/APA

"Unsere Demokratie ist lebendig. Das hat sich im letzten Jahr gezeigt", erklärte Van der Bellen. "Sie hat die Kraft zur Selbstreinigung und die Kraft zur Erneuerung." Er wünsche sich eine rot-weiß-rote Regierung. Das bedeute, Grund- und Freiheitsrechte zu stärken, "die großen Fragen unserer Zeit mutig und zuversichtlich anzugehen" und an die kommenden Generationen zu denken.

Keine türkis-grüne Message-Control

Damit ist Sebastian Kurz wieder Bundeskanzler. Der Chef der Volkspartei steht nun aber einer ganz anderen Regierung vor als jener mit den Freiheitlichen. Denn die ersten kritischen Töne eines Ministers folgten direkt auf die Angelobung: Da erklärte der grüne Sozialminister Rudolf Anschober laut Austria Presse Agentur, dass das Regieren mit den Türkisen herausfordernder sein würde als jenes mit den Schwarzen.

Anschober hatte zuvor jahrelang mit der schwarzen Volkspartei in Oberösterreich zusammengearbeitet. "Zwischen Türkis und Schwarz gibt es Unterschiede. Es wird schwieriger werden", sagte Anschober, noch bevor er sich auf den Weg zur offiziellen Amtsübergabe ins Sozialministerium begab.

Zwar biete die türkis-grüne Regierung auch die Chance, Gräben in der Gesellschaft zu überwinden, und darauf wolle er auch hinarbeiten. Im Koalitionspakt gebe es aber Themen, "die mir nicht gefallen". Er werde seine Haltung "sicher nicht an der Regierungsgarderobe abgeben", versicherte Anschober – und erteilte damit so etwas wie einer türkis-grünen Message-Control eine frühe Absage.

Ernste Töne bei Justiz und Heer

Im Anschluss rauschten die frisch angelobten Minister zur Amtsübergabe in ihre Ressorts – mit Ausnahme von Außenminister Alexander Schallenberg, der einen fliegenden Wechsel vom Experten- zum ÖVP-Minister vollzieht. Kanzler Kurz und Brigitte Bierlein erledigten das Prozedere mit Dank, Glückwünschen und Blumenstrauß (für Bierlein). Die freute sich nicht nur darüber, ihr Übergangsamt wieder abgeben zu dürfen – sondern auch darüber, "dass sie sehr weiblich geprägt ist, diese Bundesregierung".

Leonore Gewessler nahm das Fahrrad zur Amtsübergabe.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler schwang sich symbolträchtig auf ihr Fahrrad, um sich auf den Weg ins Verkehrsministerium zu machen. Dort sprach sie von einer "zentralen Aufgabe" jenes Ministeriums, das erst durch eine Änderung des Bundesministeriengesetzes zu ihrem "Superministerium" für Verkehr und Klimaschutz gemacht werden muss. Die von der Koalition gesetzten Ziele dafür seien jedenfalls "herausfordernd, spannend und zukunftsträchtig".

Währenddessen wurde Neovizekanzler Werner Kogler vom SPÖ-Bürgermeister seiner Heimatgemeinde St. Johann in der Haide samt regionalem Geschenkkorb und Blasmusikkapelle begrüßt.

Jabloner spricht von "Niedertracht" gegen Zadić

Werner Kogler wurde von der Blasmusik begrüßt.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Ernstere Töne wurden bei der Übergabe im Justizministerium angeschlagen – ist die neue Ministerin Alma Zadić doch seit Tagen Ziel einer rassistischen Kampagne. Die falsche Darstellung, sagte ihr Vorgänger Clemens Jabloner, sie sei strafrechtlich verurteilt worden, hätte zu Reaktionen geführt, "die auch nach den derzeit geltenden tiefen Maßstäben einen Tiefpunkt darstellen". "Niedertracht" sei laut Jabloner "das gute deutsche Wort dafür".

Zadić freute sich über die große Ehre, "dieses Haus leiten zu dürfen". Die Justizpolitik sei auch Gesellschaftspolitik, im Zentrum würden die Grund- und Menschenrechte wie auch die Verfassungsrechte stehen.

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner übernimmt ein marodes Verteidigungsressort.
Foto: apa / pfarrhofer

"Steiler Weg" für das Bundesheer

Eine wichtige Premiere fand dann noch in der Rossauer Kaserne in Wien statt: Dort übernahm die erste Frau die Führung des Verteidigungsministeriums. Klaudia Tanner (ÖVP) erklärte, es sei kein Geheimnis, "dass ein schwieriger und steiler Weg vor uns liegt". Um dem permanenten finanziellen Engpass zu begegnen, kündigte die Ministerin die Einführung der "Teiltauglichkeit" für Grundwehrdiener ein. Das Heer brauche zukunftsfähige Strukturen und eine moderne Ausrüstung, sagte Tanner. Es gehe um den Schutz des Staates Österreich, der Bevölkerung und der Neutralität. (Sebastian Fellner, 8.1.2020)