Sebastian Kurz ist ein alter Regierungshase. Mit 24 Staatssekretär für Integration, mit 25 Außenminister und mit 31 Bundeskanzler. Das war er dann anderthalb Jahre lang.

Nur geringfügig zugespitzt kann man sagen, dass Kurz nun mit dieser Regierung die Chance hat, ein guter, "echter" Kanzler zu werden. Bisher war er ein (auf machttechnischer Ebene) beeindruckendes Talent, das einige (rechts-)populistische Duftmarken setzte. Er hatte sich aber zuletzt an einen Partner gebunden, dem die politische Schlechtigkeit aus allen Poren quillt.

Seine bisherigen Leistungen sind nicht unerheblich, aber unvollständig. Als Staatssekretär für Integration zeigte er zumindest, dass er die gesellschaftliche Sprengkraft erkennt. Als Außenminister setzte er das Islamgesetz durch, das zumindest versucht, ausländische Beeinflussung (über die Finanzierung von Imamen und Moscheevereinen) der 700.000 Muslime abzublocken. Sein großer Coup war 2016 die sogenannte "Schließung der Balkanroute". Aber: Nur durch das wenige Wochen später von Angela Merkel erzielte Abkommen mit Recep Tayyip Erdogan hörte der "Nachschub" von der Türkei nach Griechenland auf. Ohne dieses Abkommen wären weitere Hunderttausende nach Griechenland gekommen und hätten einen unaushaltbaren Druck auch an der "geschlossenen" Balkanroute erzeugt.

Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Foto: Heribert CORN

Kurz übernahm dann die Macht in der ÖVP, bootete den Koalitionspartner SPÖ aus und gewann die Wahl. Sein bedeutsamstes politisches Markenzeichen bisher war, dass er die rechtsextreme und strukturell völlig regierungsunfähige FPÖ in die Regierung holte. Mit der Folge, dass statt einer vernünftigen, sinnvollen Migrations- und Integrationspolitik bloße populistische Schikanen für "Auslända" kamen; und in der Sozialversicherung "Rot raus" und "Türkis-Blau" und einige wirtschaftsfreundliche Maßnahmen durchgesetzt wurden. Die generelle Drift der Politik von Kurz war, den kruden autoritären Neigungen der FPÖ zu viel Raum zu lassen und selbst eine Art sanfter Kontrollwut zu betreiben. Wirklich gestaltende Maßnahmen auf den großen Politikfeldern – Zuwanderung, Bildungssystem, Umwelt – wurden keine gesetzt. Daraus hat ihn Ibiza gerettet. Kurz weiß inzwischen wohl, dass man auch mit einem Höchstmaß an Zynismus mit der FPÖ keinen Staat machen kann (wenn er es nicht weiß, umso schlimmer für ihn und für uns).

Jetzt ist die Gelegenheit, ein bedeutender Kanzler zu werden. Er muss zwar auf die insgesamt 600.000 rechten Wähler Rücksicht nehmen, die er 2017 und 2019 von der FPÖ (und Stronach) geerbt hat, aber man kann konservative Wähler auch mit einer Politik gewinnen, die nicht extremistisch, aber doch wirkungsvoll ist. Und die Österreichs Realität zur Kenntnis nimmt. Auf das warten wir vor allem in der Migrationsfrage seit jeher.

Österreich ist ein wunderbares Land, steht lyrisch im Regierungsprogramm. Okay, aber es wird noch viel wunderbarer, wenn man eine ernsthafte Klimapolitik, eine vernünftige Integrationspolitik und eine Wirtschaftspolitik macht, die die Massenkaufkraft stärkt. Im Grunde muss Kurz jetzt mit einer ernsthaften Politik erst anfangen. (Hans Rauscher, 8.1.2020)