"Neue Zürcher Zeitung": Grünes Murren

"Das Murren an der Basis und aus der Grünen Jugend war in den vergangenen Tagen unüberhörbar gewesen; die Partei muss sich dieser Tage in atemberaubendem Tempo nicht nur an eine neue Rolle gewöhnen, sondern sich auch inhaltlich und organisatorisch neu erfinden. Die Grünen werden gerade schneller erwachsen, als dies manchen lieb ist. (...)

Die Grünen sind klar der schwächere Partner. Sie haben zwar viele ihrer Projekte im Koalitionsvertrag verankert. Doch die entscheidenden Ministerien, besonders die Finanzen, kontrolliert die ÖVP. Wollen sie nicht zur Seite gedrückt werden, brauchen die Grünen weiterhin Verhandlungsgeschick und eine gesunde Streitkultur – sowohl innerhalb der Partei als auch innerhalb der Koalition. Falsche Illusionen haben sie diesbezüglich keine."

"Dnevnik": Wie Schrödingers Katze

Eine Regierung, die "gleichzeitig links und rechts" ist.
Foto: APA / Hans Klaus Techt

"Die neue Koalition ist etwas Ähnliches wie die berühmte Katze des österreichischen Physikers Erwin Schrödinger. Wenn seine Katze gleichzeitig lebendig und tot sein konnte, dann ist die Kurz-Kogler-Regierung gleichzeitig links und rechts. Nicht links und nicht rechts, auch nicht etwas dazwischen, sondern beides gleichzeitig, eine Quantenregierung. (...)

Dass die Grünen erstmals in der Regierung sind, hat für sie, für Österreich und für Europa noch keine Bedeutung. Eigentlich haben sie mit ihrer größten Leistung, damit, dass sie mit dem Einzug in die Regierung die Rückkehr der Freiheitlichen an die Macht verhinderten, vor allem Kurz genützt. Die neue österreichische Koalition ist bis jetzt (...) ein Erfolg nur für den alten, neuen Kanzler."

"Spiegel": Versuchsstation Österreich

"Nun regieren in Wien erstmals die Konservativen von Sebastian Kurz mit den Grünen. Kann das gut gehen? Fundis und Basisdemokraten unter Österreichs Grünen müssen tapfer sein dieser Tage. Das Talent des konservativen Ex-Kanzlers, sich Koalitionspartner gefügig zu machen, ist unbestritten. Am Beispiel der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) hat Kurz eindrucksvoll demonstriert, worauf es ankommt bei der Kunst, sich Kernthemen des Juniorpartners einzuverleiben.

Bis zum Beginn der Ibiza-Affäre um FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und seinen Fraktionsvorsitzenden Johann Gudenus regierte der 33 Jahre junge Regierungschef Kurz weitgehend unbeeindruckt von den vielfältigen Ausrutschern seiner freiheitlichen Mehrheitsbeschaffer. Ob das Kabinett Kurz II zum Modell für künftige schwarz-grüne Koalitionen auch in anderen europäischen Ländern wird? Oder eher zum abschreckenden Beispiel dafür, was passiert, wenn ehemals fundamentaloppositionelle Parteien Verantwortung übernehmen? Österreich, laut Karl Kraus eine bewährte 'Versuchsstation des Weltuntergangs', wird Antworten liefern."

"New York Times": Beispielgebende Koalition

"Mit dem Schwenk scheint Herr Kurz fest entschlossen, seinen Willen zu ideologischen Kompromissen, die für eine stabile Regierung nötig sind, zu beweisen und seine Reputation im Ausland, wo seine Partnerschaft mit der Rechtsaußen für Stirnrunzeln gesorgt hatte, zu reparieren. Für Österreichs Grüne, die nie auf nationaler Ebene in der Regierung waren, bedeutet die Koalition eine Chance zu zeigen, dass ihre Partei mit einer etablierten konservativen Partei auf nationaler Ebene regieren kann. Wenn es gelingt, könnte das ein Beispiel werden für andere europäische Demokratien, wo grüne Parteien selbstsicher wirken, in Regierungskoalitionen einzutreten. (...) Die neue österreichische Koalition könnte sich vor allem für Deutschland als Vorläufer erweisen, wo eine ähnliche Koalition nach der nächsten für 2021 geplanten Wahl bereits im Gespräch ist."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": Ecken und Kanten

"Zwei programmatisch und kulturell so unterschiedliche Parteien in ein Regierungskorsett zu zwängen, kann auf zwei Wegen funktionieren. Entweder beide Seiten schleifen sich gegenseitig ihre Ecken und Kanten ab (das war das Prinzip der jahrzehntelangen großen Koalition). Der Preis ist Konturlosigkeit. Oder aber man erträgt die Unbequemlichkeit, die eine Kante beim Nebenmann verursacht, und tröstet sich damit, selbst auch sichtbar und erkennbar zu bleiben.

Das ist der Weg, den Kurz und Kogler erklärtermaßen gehen wollten. Allerdings drohen manche notwendige Reformen – etwa bei den Pensionen – eher nach schlechter großkoalitionärer Art auf die lange Bank geschoben zu werden. Kurz und Kogler müssen das Postulat noch mit Leben erfüllen, man habe in der neuen Koalition 'das Beste aus beiden Welten'." (8.1.2020)