Forscher arbeiten daran, die Wissenschaft durch den Einsatz neuer Technologien wie künstlicher Intelligenz und Robotik effizienter zu machen.
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Wie die Wissenschaft durch den Einsatz künstlicher Intelligenz effizienter werden könnte, damit beschäftigt sich der US-Informatiker Oren Etzioni. Die Menge an wissenschaftlichen Publikationen sei inzwischen dermaßen überbordend, dass es intelligente Algorithmen brauchte, damit Forscher jene Informationen finden könnten, die sie suchten. Er plädiert dafür, künstliche Intelligenz als Werkzeug zu sehen – vor dem wir uns nicht fürchten müssen.

Oren Etzioni ist CEO des Allen Institute for Artificial Intelligence in Seattle.
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STANDARD: Ihrer Meinung nach sollten wir uns nicht vor künstlicher Intelligenz fürchten – warum?

Etzioni: Es gibt einige Bedenken, die sehr berechtigt sind. Es gibt aber auch übertriebene Ängste. Die treten etwa zum Vorschein, wenn Elon Musk sagt, dass künstliche Intelligenz das Ende der Menschheit bedeutet. Das ist eine sehr alte Angst, die bis zu "Frankenstein" zurückreicht: Menschen fürchten sich schon sehr lange davor, von Maschinen ersetzt zu werden. Ich denke nicht, dass das begründet ist. Denn ich sehe die Maschinen als Werkzeuge. Auch selbstfahrende Autos haben großes Potenzial als Werkzeuge, denn sie können Unfälle reduzieren. Autonome Autos werden aber nicht selbstständig beschließen, wo sie hinfahren. Es wird nicht so sein, dass alle Autos in Österreich plötzlich kollektiv beschließen: "Jetzt verlassen wir die EU." Nicht einmal britische Autos könnten das tun. Ich denke, dass Ängste vor künstlicher Intelligenz, die das Kommando übernimmt, überschießend sind. Ich teile aber die Befürchtungen vieler Menschen in Bezug auf Fragen der Privatsphäre, von Arbeitsplätzen und Gerechtigkeit. Wir haben gesehen, dass Algorithmen manchmal Rassismen und Sexismus reproduzieren. Es ist also nicht so, dass alles, was mit künstlicher Intelligenz zu tun hat, auf einem guten Weg ist.

STANDARD: Woher kommt die Angst vieler Menschen, dass künstliche Intelligenz eine existenzielle Gefahr für uns bedeutet?

Etzioni: Das hat viele Gründe, aber eine wesentliche Rolle spiel Hollywood. Für die Filmindustrie ist eine Maschine, die das Kommando übernimmt, natürlich eine großartige Geschichte. Mir ist es wichtig, dass wir Wissenschaft und Science-Fiction auseinanderhalten. Die Daten zeigen uns, dass es sehr schwerwiegende Probleme gibt, wenn man auch nur sehr rudimentäre Fähigkeiten von künstlicher Intelligenz erreichen will. Weiters wird die Angst dadurch verstärkt, dass wir zuletzt große Erfolge mit künstlicher Intelligenz erzielen konnten – etwa im Schach oder bei Go. Das sind allerdings sehr eingeschränkte Systeme, solche Programme können nicht einmal die Straße überqueren, geschweige denn Sprache verstehen.

In einem TEDx-Talk sprach Oren Etzioni über die Gefahren und Chancen von künstlicher Intelligenz. (Video: TEDx)
TEDx Talks

STANDARD: Der zunehmende Einsatz künstlicher Intelligenz scheint unaufhaltbar – wie kann sich der Einzelne vorbereiten?

Etzioni: Ganz wichtig ist es, die Technologiekompetenz zu erweitern. Genauso wie Lesen und Schreiben sollte es dazugehören, dass jeder zumindest ein simples Computerprogramm schreiben kann. Das ist wichtig, um zu verstehen, wie Computer funktionieren. Weiters ist es wichtig, jene Fähigkeiten zu schulen, die Maschinen nicht besitzen: zum Beispiel Empathie, Zusammenarbeit und Kreativität. So können wir gut mit Computern zusammenarbeiten.

STANDARD: Welche Rolle spielen Regulierungen, um den Ängsten der Menschen vor künstlicher Intelligenz zu begegnen?

Etzioni: Wenn ich als Amerikaner nach Europa schaue, bin ich etwas besorgt. Denn mir kommt vor, dass die Europäer begeistert bei der Sache sind, wenn es um Regulierungen geht. Inzwischen ist es so, dass man bei fast jeder Website Nutzungsbedingungen zustimmen muss. Natürlich soll das dem Schutz meiner Privatsphäre dienen. Doch das tut es nicht, da ich jedes Mal zustimme, wenn ich eine Website besuchen will und nicht immer lange Nutzungsbestimmungen lese. Es gibt also einige Regulierungen, die bloß zu einer Erhöhung der Anzahl von Klicks in meinem Leben führen, aber durch die ich sonst keine Vorteile habe. Meine Meinung ist nicht, dass es gar keine Regulierungen geben sollte, aber dass wir vorsichtig dabei vorgehen sollten.

STANDARD: Woran arbeiten Sie aktuell mit Ihrer Gruppe am Allen Institute for Artificial Intelligence?

Etzioni: In einem Projekt geht es darum, künstliche Intelligenz zu nutzen, um Wissenschafter noch effektiver in ihrer Arbeit zu machen. Die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen wächst exponentiell. Um diesem Überangebot zu begegnen, haben wir eine Suchmaschine mit dem Namen Semantic Scholar entwickelt. Dabei wird künstliche Intelligenz dafür genutzt, gezielt Informationen in wissenschaftlichen Publikationen zu finden.

STANDARD: Wie wird das System angenommen?

Etzioni: Wir haben bereits mehrere Millionen Nutzer pro Monat. Zunächst waren Informatik, Biologie und Medizin verfügbar, inzwischen deckt es alle Fachrichtungen ab. Worum es uns geht, ist, künstliche Intelligenz für das Allgemeinwohl zu nutzen. Das ist auch ein Ziel dieses Projekts.

STANDARD: Wie wird sich die Wissenschaft generell durch künstliche Intelligenz verändern?

Etzioni: Künstliche Intelligenz wird den Wissenschaftern helfen, einen Überblick über die Publikationen in ihrem Fachbereich zu behalten. Künstliche Intelligenz kann aber auch dabei helfen, neue wissenschaftliche Ergebnisse zu erzielen. Wenn es etwa darum geht, wie bestimmte Moleküle im Körper wirken – das ist eine kombinatorische Struktur mit sehr vielen Möglichkeiten. Genau bei solchen Problemstellungen ist künstliche Intelligenz sehr gut darin, Lösungen zu finden. Ich hoffe daher, dass wir mit künstlicher Intelligenz die Geschwindigkeit erhöhen können, wissenschaftliche Entdeckungen zu machen. Dadurch werden die Wissenschafter nicht ersetzt, sondern bekommen zusätzliche Hilfsmittel und Werkzeuge. Künstliche Intelligenz und Roboter können auch dazu dienen, wissenschaftliche Hypothesen zu bilden oder zu prüfen.

STANDARD: Wenn eine künstliche Intelligenz eine wissenschaftliche These vorschlägt – werden wir Menschen die Wissenschaft dann überhaupt noch verstehen können?

Etzioni: Ich denke, es gibt bereits Bereiche in der Wissenschaft, beispielsweise in Teilen der Mathematik, in denen es selbst für die Menschen schwer ist, sich untereinander zu verständigen. Es ist denkbar, dass eine Maschine eines Tages eine wissenschaftliche Aussage trifft, die wir nicht verstehen. Doch wir können diese Aussage in Experimenten testen. Wenn eine Maschine behauptet, dass ein bestimmtes Molekül ein gutes Antibiotikum wäre, können wir diese Aussage empirisch überprüfen, auch wenn wir nicht vollständig verstehen, wie die Maschine zu dem Ergebnis gekommen ist. Oft ist es sehr viel einfacher, etwas zu überprüfen, als es zu verstehen. (Tanja Traxler, 13.1.2020)