Carl von Rokitansky, der im 19. Jahrhundert gemeinsam mit dem Internisten Joseph von Škoda und dem Dermatologen Ferdinand von Hebra eine neue Schule der Wiener Medizin begründete, wurde am 19. Februar 1804 in Königgrätz als Sohn des Beamten Prokop Rokitansky (1771–1813) und der Beamtentochter Theresia (1772–1827) geboren, und im römisch-katholischen Glauben erzogen. Ab 1821 studierte er Medizin an der Universität Prag, wechselte 1824 nach Wien, wo er 1828 promovierte. Geprägt von der Obduktion Ludwig van Beethovens, leitete er einen Wandel von der spekulativen naturphilosophischen Medizin hin zur systematisch-wissenschaftlichen Medizin ein, mit dem Ziel, den Ursprung von Krankheiten anatomisch zu beweisen.

Durch die musikalischen Salons in Wien lernte Rokitansky seine Gattin, die international anerkannte Konzertsängerin Marie Weis (1806–1888), kennen. Sie musizierte gemeinsam mit Franz Schubert und Franz Liszt und unterrichtete ihre beiden ältesten Söhne, den späteren Hofopernsänger Hans (1835–1909) und den Konzertsänger Victor (1836–1896). Die beiden jüngeren Söhne Karl (1839–1898) und Prokop (1842–1922) setzten die Familientradition als Mediziner fort. Auch im künstlerischen Umfeld der Familie spielte Beethoven indirekt eine Rolle.

Rokitansky und Beethoven – von Symptomen zu Diagnosen

Rokitansky begann seine Karriere 1827 als unbesoldeter Praktikant an der pathologisch-anatomischen Prosektur im Wiener Allgemeinen Krankenhaus. 1844 erhielt er das erste Ordinariat für pathologische Anatomie im deutschsprachigen Raum, zugleich wurde dieses Fach im Medizinstudium obligat. Im Laufe seines Lebens führte er rund 60.000 Obduktionen durch, verglich die Krankengeschichte mit dem späteren Obduktionsprotokoll des Patienten und erkannte, dass die sogenannten Symptomata (übersetzt Zufälle), keine Zufälle waren, sondern sichtbare Zeichen einer Organerkrankung. In Zusammenarbeit mit Škoda war es nun erstmalig möglich, Krankheitsverläufe zu beschreiben und Diagnosen zu erstellen.

1827 obduzierte Rokitansky gemeinsam mit seinem Chef Johann Wagner die Leiche Beethovens. Der damals noch junge Mediziner wollte unbedingt die Ursache der Taubheit des Künstlers ergründen. Im Obduktionsbefund beschrieb er Beethovens Hörnerven als zusammengeschrumpft und marklos. Da zudem das Schädelgewölbe des Komponisten eine durchgehende Verdickung von zwölf Millimeter aufwies (physiologisch sind es beim Erwachsenen um die sechs Millimeter), wurde später als Ursache der Ertaubung eine Knochenerkrankung, ein sogenannter Morbus Paget, vermutet. Rokitansky, der den britischen Pathologen James Paget auch persönlich kannte, wird wohl Beethovens Befund mit diesem diskutiert haben.

Kopie des Obduktionsprotokolls Ludwig van Beethovens 27. März 1827.
Foto: Familienarchiv Rokitansky

Diese Suche nach neuen naturwissenschaftlichen Erklärungen von Erkrankungen veränderte auch die Protokollführung von Obduktionsberichten. Bis dahin wurden meist nur die klinischen Beobachtungen sowie die Diagnose vom behandelnden Arzt angegeben und vom Pathologen durch die Beschreibung des Krankheitsbilds ergänzt – pathologische Diagnosen fehlten. Nun entwickelte sich die Pathologie von einer beschreibenden zu einer erklärenden Wissenschaft, die oft im Vergleich zur klinischen Diagnose unterschiedliche Erkenntnisse erbrachte, jedoch die Todesursache erklärte.

Visionäre Dimensionen

Aus diesen Forschungen entstand zwischen 1842 und 1846 Rokitanskys dreibändiges Handbuch der pathologischen Anatomie, das nicht nur internationale Verbreitung fand, sondern auch zu einer verpflichtenden Lektüre für alle Medizinstudenten der Habsburgermonarchie wurde.

Seine darin enthaltene "Krasenlehre", nach der eine bestehende Entzündung von den verschiedenen Formen von Protein und Fibrin im Blut bestimmt wird und erkrankte Blutbestandteile Einfluss auf das Gewebe im zellulären und interzellulären Raum haben, wurde allerdings stark kritisiert, zumal Rokitansky sie damals chemisch nicht beweisen konnte. Er strich dieses Kapitel, setzte sich aber für die Schaffung des Instituts für Medizinische Chemie und des Instituts für allgemeine und experimentelle Pathologie ein, um Untersuchungen auf diesen Gebieten zu forcieren. Erst die Forschungen der letzten 30 Jahre konnten die visionäre Dimension der Humoralpathologie Rokitanskys bestätigen.

Als Pathologe und Philosoph betrachtete Rokitansky Patienten aus ganzheitlicher Perspektive und forderte vehement, dass psychisch Kranke ebenso ein Recht auf Diagnostik, Behandlung und Heilung haben. Daher beantragte er die Schaffung der ersten Klinik für Psychiatrie in Österreich, deren Leitung Theodor Meynert übernahm.

Als universitärer Funktionsträger (mehrmals Dekan, 1852/53 erster frei gewählter Rektor der Universität Wien) setzte er sich für die Lehr- und Lernfreiheit ein, trat für die Öffnung der Universität Wien in Bezug auf die zunehmende Migration von Studenten aus östlichen Kronländern ein und bemühte sich, dem einsetzenden Nationalismus entgegenzuwirken, um nur einige seiner Verdienste zu nennen.

Vielfach geehrt, sind hier zudem nur seine wichtigen Funktionen als Präsident der Gesellschaft der Ärzte in Wien ab 1850, als Vizepräsident ab 1866 sowie als Präsident der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien ab 1869 erwähnt. 1874 wurde er in den Freiherrenstand erhoben.

Beethovens künstlerische Verbindungen zur Familie Rokitansky

Beethovens Tod revolutionierte nicht nur Rokitanskys medizinische Sichtweisen, sondern war gleichzeitig Ausgangspunkt für künftige freundschaftliche, aber auch verwandtschaftliche Verbindungen der Familie Rokitansky zur damaligen Kulturlandschaft Österreichs.

Franz Schubert besuchte gemeinsam mit dem Grazer Komponisten Anselm Hüttenbrenner, dessen Bruder Joseph Hüttenbrenner sowie dem Maler Joseph Eduard Teltscher den schwerkranken Beethoven; Teltscher zeichnete Beethoven am Totenbett. Bei der Totenmesse in der Augustinerkirche wurde das Mozart-Requiem unter anderem von dem Opernsänger Luigi Lablache aufgeführt. Die Grabrede auf Beethoven verfasste Franz Grillparzer.

Damals ahnte noch niemand, dass die Familien Rokitansky, Teltscher, Hüttenbrenner und Lablache einige Jahre später familiär verbunden waren. Hans Rokitansky heiratete die Enkeltochter Luigi Lablaches, Theres Lablache, Victor Rokitansky die Großnichte von Joseph Teltscher, Gabriele Edle von Lechner, und Prokop Rokitansky seine Cousine, die Großnichte von Anselm Hüttenbrenner, Maria Weis Edle von Ostborn.

Familienbild Rokitansky. Erste Reihe von links: Marie Rokitansky, geb. Weis, Carl Rokitansky, Schwiegertochter Theres Rokitansky (Enkeltochter Luigi Lablaches); zweite Reihe von links: Prokop, Karl, Hans Rokitansky.
Foto: Familienarchiv Rokitansky

Eine indirekte Verbindung bestand zwischen Beethoven und Rokitanskys späterer Ehefrau Marie Weis. Sie war wie Beethoven eine Schülerin Antonio Salieris, der die junge Künstlerin besonders förderte. Beinahe hätte Weis in der Uraufführung von Ludwig van Beethovens Symphonie Nr. 9 im Kärntnertortheater in Wien gesungen, doch sie verzichtete auf eine Bühnenkarriere und lehnte ein Engagement am Kärntnertortheater ab.

Zeugnis Antonio Salieris, das Marie Weis befähigte, Gesangsunterricht zu erteilen. Wien 5. September 1822.
Foto: Familienarchiv Rokitansky

Weis trat öffentlich nur in Musikvereinskonzerten, in Wohltätigkeitskonzerten, in Kirchen sowie in musikalischen Salons auf, unter anderem als eine der ersten Schubert-Interpretinnen in jenem des Juristen und Autors Ignatz Edler von Sonnleithner, wo auch dessen Neffe Franz Grillparzer verkehrte. Grillparzer wiederum unterzeichnete gemeinsam mit Carl von Rokitansky und über 90 Schriftstellern und Intellektuellen im März 1845 die sogenannte Schriftstellerpetition zur Lockerung des Zensurgesetzes. Darüber hinaus unterstützte er die liberalen Bestrebungen des Mediziners insbesondere in Hinblick auf dessen Forderungen nach den Konfessionsgesetzen. 1868 verlangte Rokitansky in seiner Herrenhausrede als Hauptredner der Liberalen, dass "jeder Kirche und Religionsgemeinschaft das Recht gegeben [werde], aus ihren Mitteln Schulen ausschließlich für den Unterricht der Jugend ihrer Confession zu errichten". Um die Verabschiedung der Konfessionsgesetze nicht zu versäumen, ließ sich der betagte Grillparzer auf einem Tragstuhl zu dieser Sitzung bringen. (Ursula Rokitansky-Tilscher, Daniela Angetter-Pfeiffer, 15.1.2020)