Am 11. März 2011 und den Tagen danach ereignete sich im japanischer Kernkraftwerk Fukushima Daiichi eine der schwersten Havarien in der Geschichte der friedlichen Nutzung der Atomenergie. Wie sich die Katastrophe, die durch ein extrem starkes Erdbeben und einen nachfolgenden Tsunami ausgelöst wurde, auf die Menschen auswirkte, war bereits Gegenstand zahlreicher Studien.
Unter dem Strich dürfte die Zahl der durch die Strahlung bedingten Krebs- und vorzeitigen Todesfälle vergleichsweise gering ausfallen und sich im unteren dreistelligen Bereich bewegen. Dramatischer waren die gesundheitlichen Folgen der Evakuierungen, von denen rund 100.000 Menschen betroffen waren: Hier ist von bis zu 600 vorzeitigen Todesfällen die Rede.
Sperrzonen mit Betretungsverbot
Um die Bevölkerung vor der Strahlung zu schützen, wurden die Bewohner zumindest im Umkreis von 20 Kilometern abgesiedelt. Dazu kam eine weit darüber hinausgehende strenge Sperrzone mit Betretungsverbot im Nordwesten des Kraftwerks, wo besonders hohe Strahlenwerte gemessen wurden (siehe Grafik). In bestimmen Bereichen wurde mittlerweile das Betretungsverbot wieder gelockert oder gänzlich aufgehoben.
Wie aber wirkten sich die Katastrophe und die Einrichtung der Sperrzonen im Laufe der letzten Jahre auf den Tierbestand aus?
Gewisse Erfahrungswerte gibt es hinsichtlich dieser Frage aus der Gegend rund um Tschernobyl. Wie Studien zeigten, hat sich der der Tierbestand dort gut entwickelt: Die positiven Effekte der Abwesenheit des Menschen scheinen deutlich größer zu sein als die negativen Effekte der erhöhten Radioaktivität. Die gesundheitlichen Auswirkungen auf die einzelnen Tiere sind freilich unter Experten weiterhin umstritten. Das liegt auch daran, dass Krebserkrankungen bei den meisten Tierarten eine vergleichsweise unwichtige Rolle spielen.
Fotos von 106 Kamerafallen
Für die bisher umfassendste Studie über Fukushima hat nun ein US-japanisches Forscherteam um Phillip Lyons (University of Georgia) durchgeführt. Die Wissenschafter stellten dafür an 106 Orten Kamerafallen auf – und zwar in drei Gebieten: dem besonders verstrahlten Sperrgebiet, das von Menschen im Normalfall nicht betreten werden darf, in Zonen mit beschränktem Zugang sowie in Bereichen, in denen Menschen trotz leicht erhöhter radioaktiver Belastung (wieder) wohnen dürfen.
Im Studienzeitraum, der 120 Tage betrug, nahmen die Kameras über 267.000 Fotos von mehr als 20 Tierarten auf. Mit Abstand am häufigsten gingen Wildschweine in die Falle (46.000 Aufnahmen). Auf den Fotos fanden sich aber auch Marderhunde, Sikahirsche, Schwarzbären, Hasen, Makaken, Füchse, Wiesel und Fasane. In den fast zehn Jahren nach dem Atomunfall haben zahlreiche Wildtiere nicht nur die von Menschen verlassenen Zonen zurückerobert. Einige Arten scheinen sich im menschenleeren Sperrgebiet ganz besonders wohlzufühlen.
Laut den Fotodaten kommen Wildschweine, Makaken und Marderhunde in der unbesiedelten und besonders stark verstrahlten Zone deutlich häufiger vor als in den beschränkt zugänglichen oder bewohnten Bereichen. Mithin wurden vor allem Spezies, die tendenziell in Konflikt mit Menschen geraten, in den menschenfreien Zonen gesichtet. Die Stärke der Radioaktivität hingegen beeinflusst die Zahl der Tiere und deren Verhalten allem Anschein nach nicht.
Nur beim Japanischen Serau beobachteten sie eine Verhaltensänderung, die eine indirekte Folge der Verstrahlung sein dürfte: Die ziegenartigen Tiere scheinen vor allem auf die von Menschen bewohnten Gebiete auszuweichen. Das freilich dürfte vor allem daran liegen, dass die Tiere den immer zahlreicheren Wildschweinen in der besonders strengen Sperrzone ausweichen – und nicht der Radioaktivität.
Das Resümee der Forscher: Mögliche schädliche Effekte durch die Strahlenbelastung für mittelgroße bis große Säugetiere lassen sich nicht am Populationsniveau der Tiere ablesen, sondern allenfalls auf individueller oder molekularer Ebene. Aber um die ging es in der Studie nicht. (tasch, 9.1.2020)