Unter dem friedlichen Idyll von Mayotte haben sich gewaltige geologische Umwälzungen abgespielt – und noch sind sie nicht ausgestanden.
Foto: APA/AFP/ALI AL-DAHER

Im Gebiet der Komoren, zwischen Madagaskar und dem afrikanischen Festland, ist 2018 ein neuer Unterwasservulkan entstanden. Der riesige Vulkan, der vor der Insel Mayotte liegt, wurde bei einer ozeanographischen Expedition im Mai 2019 identifiziert. Nun hat ein internationales Forscherteam die geologischen Prozesse vor und während der Bildung des neuen Vulkans rekonstruiert, wie das Deutsche GeoForschungsZentrum (GFZ) berichtet.

Mit eigens dafür entwickelten seismologischen Methoden rekonstruierten die Forscher um Simone Cesca vom GFZ die Teilentleerung eines der tiefsten und größten aktiven Magma-Reservoirs im oberen Erdmantel, die jemals entdeckt wurden. Die Studie wurde in der Zeitschrift "Nature Geoscience" veröffentlicht.

Neue Form von Erdbebensignalen

Ab Mai 2018 wurde vor Mayotte eine ungewöhnliche Folge von Erdbeben registriert. Die seismische Aktivität begann mit einem Schwarm tausender scheinbar tektonischer Erdbeben, der mit einem Beben der Magnitude 5,9 im Mai 2018 seinen Höhepunkt erreichte. Insbesondere seit Juni 2018 war allerdings eine ganz neue Form von Erdbebensignalen aufgetreten, die so stark waren, dass sie in bis zu tausend Kilometern Entfernung aufgezeichnet werden konnten.

Diese 20 bis 30 Minuten langen Signale zeichneten sich laut GFZ durch besonders harmonische, tiefe Frequenzen ähnlich wie bei einer großen Glocke oder einem Kontrabass aus, die als VLP-Signale ("Very Long Period") bezeichnet werden. Obgleich das Zentrum der seismischen Aktivität fast 35 Kilometer vor der Küste im Osten der Insel lag, hatte zeitgleich mit dem Einsatz der massiven Schwärme von VLP-Ereignissen eine kontinuierliche Absenkung und Ostverschiebung des Erdbodens auf Mayotte begonnen, die sich bis heute auf fast 20 Zentimeter summiert hat.

Magma unter Verdacht

Obwohl sich im Epizentrum der seismischen Aktivität keine Hinweise auf früheren Vulkanismus ergaben, hatten die Wissenschaftler des GFZ von Anfang an magmatische Prozesse vermutet, da Bebenschwärme in der oberen Erdkruste oft als Reaktion auf den Aufstieg von Magma entstehen und VLPs in früheren Jahren im Zusammenhang mit dem Kollaps von großen Caldera-Vulkanen einhergingen.

Der spezielle Frequenzgehalt der VLP Signale entsteht dabei durch die Resonanzschwingung der vergrabenen Magmakammer. Je tiefer die Schwingungen sind, desto größer ist das Magmareservoir. Allerdings lagen die Bebenschwärme unter dem Ozeanboden viel tiefer als bei anderen Vulkanen und die Resonanztöne der VLPs waren ungewöhnlich tief und stark.

So sind die Magmamassen aus der Tiefe emporgestiegen.
Illustration: Nature Geoscience

Cescas Team identifizierte verschiedene Aktivitätsphasen von Mai 2018 bis heute. Die anfängliche Schwarmbebenphase signalisierte eine schnelle, nach oben gerichtete Bewegung von Magma aus einem tiefen Mantelreservoir mehr als 30 Kilometer unter der Erdoberfläche. Sobald sich ein offener Kanal vom Erdmantel bis zum Meeresboden gebildet hatte, begann das Magma, ungehindert auszufließen und einen neuen Unterwasservulkan zu bilden. Eine französische ozeanographische Kampagne bestätigte kürzlich die Geburt des submarinen Vulkans, dessen Standort mit dem rekonstruierten Magmaaufstieg übereinstimmt.

In dieser Phase nahm die scheinbar tektonische Erdbebenaktivität wieder ab, während jedoch die Absenkung des Erdbodens auf der Insel Mayotte einsetzte. Ebenso setzen jetzt die monofrequenten und langanhaltenden VLP Signale ein. "Wir interpretieren das als ein Zeichen des Zusammenbruchs der tiefen Magmakammer vor der Küste Mayottes", erklärt Koautorin Eleonora Rivalta. "Es handelt sich um das bis heute tiefste (rund dreißig Kilometer) und größte Magmareservoir im oberen Erdmantel (mehr als 3,4 Kubikkilometer), das sich abrupt zu entleeren beginnt".

"Da der Meeresboden etwa drei Kilometer unter der Wasseroberfläche liegt, hat von dem enormen Ausbruch fast niemand etwas mitbekommen", sagt Torsten Dahm, Leiter der Sektion Erdbeben und Vulkanphysik am GFZ. "Allerdings gibt es bis heute auch mögliche Gefahren für die Insel Mayotte, da die Erdkruste über dem tief liegenden Reservoir weiter einbrechen und dabei stärkere Erdbeben auslösen könnte." (red, 11. 1. 2020)