Das Camp auf der griechischen Insel ist überfüllt, behelfsmäßige Unterkünfte bieten den Menschen Unterschlupf.

Foto: Standard / Adelheid Wölfl

"Echt aus Wien? Ehrlich? Kennst du Arsenal, kennst du Volksoper?" Der 22-jährige Amit M., der vor dem Supermarkt in der Nähe des Lagers Moria auf Lesbos wartet, ist heute in der Früh aus Wien nach Lesbos geflogen, um seinen Vater, seine Mutter, seine elfjährige Schwester und seinen 14-jährigen Bruder im Flüchtlingscamp zu besuchen.

Amit M., der seinen echten Namen nicht nennen will, ist seit 2013 in Österreich. Er ist als 15-Jähriger allein aus dem Iran über die Insel Samos und die Balkanroute nach Österreich gereist. Auf dem Weg – irgendwo in Südserbien – hat er die Gruppe verloren. Er setzte sich in eine Moschee. Dort hat ihn der Schmuggler wiedergefunden. "Ich hab urviel Glück gehabt!", erzählt er.

Nun geht es ihm um das Glück seiner Eltern und Geschwister. Als diese kürzlich von der türkischen Küste nach Lesbos übersetzten, haben andere Migranten sie mit den Worten "Willkommen in der Hölle" empfangen.

Kälte im Zelt

Seit ein paar Wochen sitzen sie nun in einem Zelt, vielleicht zwei mal zwei Meter groß, das der Vater selbst aus Weidenzweigen gebaut hat. Drinnen hat er die Hütte mit Pappendeckeln ausgekleidet, doch es ist trotzdem bitterkalt, und die Plastikplane raschelt so laut wegen des Windes, der um die Olivenhaine pfeift, dass man sich kaum unterhalten kann.

Die Mutter erzählt, wie unbeschreiblich groß ihre Freude war, als sie ihren Sohn wiedersah. Amit M. kam 2014 in eine Wohngemeinschaft für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in Wien. "Alle waren urnett zu mir und haben mir geholfen", erzählt er. Er machte einen Schulabschluss und eine Tapeziererlehre. "Meine Mutter ist Schneiderin, sie hat mir, als ich ein Bub war, beigebracht, wie man näht. Das mochte ich immer", erklärt er seine Wahl. "Überhaupt ist Tapezierer ein Mangelberuf", fügt er hinzu.

Mittlerweile hat er einen fixen Job und eine eigene Wohnung im zehnten Bezirk. Was ihn in Österreich am meisten gewundert hat? "Alle waren lieb zu mir, obwohl ich nicht zu ihrer Volksgruppe gehöre", führt er aus. "Im Iran werden die Hazara schlecht behandelt, ich konnte nicht in eine iranische Schule gehen, weil ich andere Augen habe. Wir Hazara haben alle keine Papiere, mein Vater hat als Hilfsarbeiter gearbeitet", erzählt Amit M. "Aber in Österreich ist es egal, welche Augen du hast, es ist egal, zu welcher Gruppe du gehörst. In Österreich wird der Mensch als Mensch gesehen und als Mensch behandelt."

Ausbildung für Geschwister

Weil er Geld sparen wollte, um seiner Familie die Reise nach Griechenland zu ermöglichen, hat er jahrelang nach der Ausbildung als Billeteur gearbeitet. Ihm und seinen Eltern geht es nun darum, dass auch die Geschwister eine Chance bekommen, eine Ausbildung zu machen.

Wieder zurück in Wien kann Amit M. aber nicht mehr mit seinen Eltern über Whatsapp telefonieren, denn diese haben sich in Moria so verkühlt, dass sie ihre Stimme verloren haben. "Die sind urschwer krank", schrieb Amit M. nun an das UN-Flüchtlingshilfswerk, mit der Bitte, dass sie in eine Unterkunft kommen können.

Denn in Moria sind etwa 15.000 Migranten Kälte, Regen und Infektionsgefahr ausgesetzt, weil es viel zu wenige Container gibt. Es regnet und stürmt, Schlamm und Wasser dringen in die Zelte. Es gibt viel zu wenige Medikamente. Die Familie M. hat mittlerweile verstanden, weshalb das Camp Moria "Hölle" genannt wird. (Adelheid Wölfl aus dem Camp Moria, 9.1.2020)