In "The Outsider" wird in einer US-Kleinstadt ein Kind ermordet. Ein Verdächtiger ist gefunden, alles spricht gegen ihn – und dennoch kann er die Tat nicht begangen haben.

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Ben Mendelsohn spielt den in sich gekehrten Cop.

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Cynthia Erivo stößt als Private Eye Holly Gibney dazu.

Alle Indizien sprechen gegen Terry Maitland: Die Lehrerin sah, wie der Bub in Terrys Wagen stieg. Ein kleines Mädchen beobachtet Terry am Waldrand. Er schaut ihr in die Augen, an seinem Kinn klebt Blut. Es gibt weitere Augenzeugen, Fingerabdrücke, DNA. Für Detective Ralph Anderson ist der Fall klar: Terry Maitland war's. Noch im Polizeiauto wird der ansonsten stoische Cop seiner Wut Ausdruck verleihen. Er habe nur eine Frage an ihn, sagt Ralph zu Terry, dem Lehrer und Baseballcoach: "Hast du jemals mein Kind angerührt?"

Ungeheuerlicher Verdacht

Die ganze Ungeheuerlichkeit eines Verdachts steckt in dieser Frage am Beginn von The Outsider. Die zehnteilige Serie startet am kommenden Sonntag auf mobilen Plattformen von Sky und auf Sky Atlantic HD. Es geht nicht mehr nur darum, dass Terry ein elfjähriges Kind ermordet hat, sondern gleich um die Vermutung, dass es mehrere Opfer geben muss. Unschuldsvermutung? Wir haben alle unsere Schwächen.

Aber irgendetwas stimmt nicht. Achtung, dieser Absatz enthält Spoiler. Zum einen hat Terry falsch reagiert. Als er vor den Augen aller Dorfbewohner von Ralphs Polizisten verhaftet und vom Baseballplatz abgeführt wird, wirkt er ehrlich erschrocken. Als er mit den Vorwürfen konfrontiert wird, ist er schockiert. Reagiert so ein Kindermörder? Ebenfalls untypisch ist, dass Terry nach dem Mord mit Blut am Hemd zuerst zum nächsten Stripclub fährt – in einem Taxi, das offensichtlich mit Kameras ausgestattet ist. Dass er dort – wieder vor Kameras – seine Kleidung wechselt, sei "idiotisch", bemerkt auch Ralph. Vor allem aber: Terry behauptet, er war zum Zeitpunkt der Tat gar nicht in der Stadt. Und jetzt kommt’s: Er kann es beweisen. Gibt es zwei Terrys?

Die Bürger der Stadt haben sich ihr Bild längst gemacht. Diese Menschen brauchen keinen Richter, ihr Zorn ist ihre Gerechtigkeit. In der Untersuchungshaft wird es für Terry richtig spannend. Auch die schwersten Häfenbrüder finden Kindermord nicht lustig.

Selbstgerechte Wutbürger

Vorverurteilung, Schuld und Täuschung sind die zeitgemäßen Themen von The Outsider. Zu sehen sind selbstgerechte Wutbürger ebenso wie stille Überzeugungstäter. In ihrer Trauer schlagen sie zu und leiden mit. Das wahre Monster treffen sie nicht, weil es buchstäblich nicht von dieser Welt ist.

In zehn Folgen entspinnt sich dieser Albtraum nach Stephen King. The Outsider kam als Roman 2018 auf den Markt und gilt in seiner Sozialkritik als politischstes Statement des erklärten Trump-Gegners. Mit dem Präsidenten verbindet ihn langjährige Antipathie, die sogar so weit geht, dass Trump den ebenfalls regen Twitterer King geblockt hat, was maximale Verachtung ausdrückt. Und obwohl die Story nicht ohne Horrorwesen auskommt, bleibt The Outsider betont am Boden. Der Mob treibt die Geschichte voran, darin ähnelt die Serie M – Eine Stadt sucht einen Mörder von Fritz Lang und in neuerer Serienfassung von David Schalko. Die Normalität des Grauens erinnert an Friedrich Dürrenmatts Der Verdacht. Ein Kindermörder wird gesucht, im Blick auf den Schmerz droht der Verstand zu kollabieren. Also setzt er aus.

The Outsider kann sich auf weitere exzellente Referenzen berufen: Die Serie hat der US-Sender HBO produziert, der mit True Detective zumindest eine Staffel lang im Genre des Serienkrimis neue, dunkle Farbtöne eingeführt hat. Das Drehbuch zur Serie stammt von Richard Price. Der New Yorker Showrunner schrieb schon Folgen von The Wire und zuletzt für David Simons The Deuce.

Genialer Schuft

Die Hauptrollen spielen Ben Mendelsohn, genialer Schuft aus der Netflix-Serie Bloodline, und Jason Bateman, der im Krimihandwerk nicht zuletzt durch Ozark kriminell gut war. Bateman führte bei The Outsider auch Regie. Cynthia Erivo stößt als Private Eye Holly Gibney dazu. King-Versierte kennen die Figur aus Mr. Mercedes. Erivo verkörpert im Mai Aretha Franklin auf National Geographic.

Sie alle helfen mit, dass Freunde von sozialkritischem Krimi und Fantasyhorror gleichermaßen auf ihre Rechnung kommen – ein Spagat, der freilich nicht immer aufgeht. Das Dilemma, in dem die Zuschauer innerhalb kürzester Zeit verführt werden, funktioniert hingegen. Wir sollen Terry für unschuldig halten. Aber ist es auch wahr? (Doris Priesching, 9.1.2020)

Trailer

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