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Ausführlich und wild gestikulierend berichtete Ex-Nissan-Chef Carlos Ghosn seine Sicht der Dinge. Zu seiner filmreifen Flucht äußerte sich der Ex-Manager jedoch nicht.

Foto: Reuters / Mohamed Azakir

Der Justizflüchtling, der sich angeblich in einer Kiste außer Landes schmuggeln ließ, um der Polizei entwischen, wurde in seiner Heimatstadt Beirut wie ein Staatspräsident empfangen: Verdunkelte Limousinen, Leibwächter und TV-Kameras aus der ganzen Welt umrahmten am Mittwoch die Pressekonferenz von Carlos Ghosn "nach 130 Tagen Haft in Japan", wie er selber sagte.

Der tief gestürzte Konzernchef enttäuschte allerdings die aus allen Kontinenten zugereisten Journalisten gleich zu Beginn mit der Erklärung, er werde sich nicht dazu äußern, wie er Japan "verlassen" habe. Meldungen, er habe den Hausarrest allein und mit einer Schutzmaske verlassen, um im Zug nach Osaka zu fahren und dort in einem Instrumentenkasten durch den Zoll und in einen Privatjet via Istanbul nach Beirut zu gelangen – all dies wollte Ghosn nicht bestätigen.

"Albtraum"

Umso wortreicher und gebärdenfreudiger schilderte er den "Albtraum" seit seiner Verhaftung in Tokyo Ende 2018 mit zeitweiser Isolierhaft. Als Grund dafür gab er Differenzen zwischen den zwei von ihm geleiteten Automarken an: "Die einzige Art, Renault loszuwerden, war für Nissan, mich loszuwerden." Deshalb habe die japanische Staatsanwaltschaft "haltlose Vorwürfe" gegen ihn erhoben und ihn "wie einen Terroristen behandelt". Dieser Verschwörung habe er sich entziehen müssen. "Ich hatte das Gefühl, dass ich in Japan sterben würde, wenn ich das Land nicht verlassen würde."

Laut den japanischen Behörden hat der 65-jährige Ex-Autoboss seine Villen in vier Kontinenten auf Kosten seines Arbeitgebers Nissan renoviert; er soll dem Autohersteller private Börsenverluste angehängt und Steuern hinterzogen haben; und natürlich war laut dem japanischen Justizministerium auch seine Flucht kurz vor Neujahr "illegal".

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Um seine Unschuld zu belegen, projizierte Ghosn sogar interne Dokumente an die Wand des Beiruter Pressklubs.
Foto: Reuters / Mohamed Azakir

Da er in Tokyo keinen fairen Prozess hätte erwarten können, sei er gezwungen, seine Argumente hier vorzubringen, meinte Ghosn. Und sein Verdikt lautete: nicht schuldig.

Aussage gegen Aussage

So leidenschaftlich sie vorgetragen war, wirkte die "Beweisführung" allerdings auf die Dauer nur wie eine Kommunikationsoperation. Sowie als die öffentliche Selbstrechtfertigung eines von sich selbst eingenommenen Konzernchefs, der seine Entmachtung nicht verwinden kann. Was die Finanzdelikte selbst betrifft, steht Aussage gegen Aussage: Die Einseitigkeit, die Ghosn der japanischen Staatsanwaltschaft vorwirft, trifft auf ihn selber zu. Ohne die andere Seite zu hören, war es unmöglich, Ghosns Argumente zu verifizieren oder auch nur einzuschätzen.

Die Frage, ob und wie weit Ghosn Opfer oder Täter ist, fand daher keine Antwort. Dabei war die Pressekonferenz zweifellos ebenso sorgfältig geplant worden wie Ghosns Flucht aus Japan. Seine französische Anwälte erklärten seit Tagen, die japanische Justiz habe Ghosn "vernichten" wollen, und auch die Regierung in Paris begegne Ghosn "konstant feindlich", um die Allianz von Renault und Nissan zu retten. Die Betonung der Opferrolle wurde in Paris so oft wiederholt, bis ein Chronist den Ex-Konzernchef voller Ironie als den "Mandela der Milliardäre" bezeichnete.

Den zweiten Medienakt eröffnete Ghosns Gattin Carole am Dienstag mit einem Interview in der Zeitung "Le Parisien". Die 55-jährige Libanesin, die den Autoboss 2016 auf Schloss Versailles geheiratet hatte, will von der Flucht erst erfahren haben, als ihr Mann bereits in Beirut war. Das ist doch schwer zu glauben von einer Frau, die alle Hebel in Bewegung gesetzt und sogar US-Präsident Donald Trump eingeschaltet hatte, um ihren Gatten aus dem Gefängnis zu holen.

Keine Angaben zur Flucht

Ghosn wollte sich aber partout nicht zu den Umständen seiner Flucht äußern. Sicher ist nur, dass der bei Renault als "Costkiller" bekannte Manager für seine Flucht keine Kosten scheute. Die "Financial Times" beziffert sie auf 20 Millionen Euro, wovon 12,4 Millionen auf die in Tokyo hinterlegte Kaution entfallen. Ghosn muss sich aber über den Verlust nicht grämen. Seine Ersparnisse dürften im dreistelligen Millionenbereich liegen. Im vergangenen Herbst war jedenfalls bekannt geworden, dass der Topmanager der US-Börsenaufsicht SEC eine Million Dollar überwies, um einem Prozess wegen Hinterziehung von 140 Millionen Dollar zu entgehen.

Seine Gläubiger könnten allerdings an die Justiz in Beirut gelangen und die Sperrung von Ghosns Konten verlangen. Der japanische Botschafter in Libanon soll bereits politischen Druck aufbauen. Auch Nissan verlangt von Ghosn Schadenersatz für sein "Fehlverhalten" und dürfte die internationale Justiz einschalten; und in Paris beginnen ebenfalls Justizermittlungen.

Zwischen Japan und Libanon gibt es kein Auslieferungsabkommen; Ghosn erklärte indessen, er verfüge diesbezüglich über keine Garantien. Er selber wolle aber seine Salär- und Rentenansprüche gegenüber Renault und Nissan gerichtlich geltend machen. Schließlich sei er nie von seinem Posten als Konzernchef zurückgetreten.

In Ehre gekränkt

Alles in allem vermittelte Ghosns Auftritt den Eindruck eines in seiner Ehre gekränkten Konzernbosses, dem Schuldbewusstsein oder Selbstkritik fremd sind. Ungewollt bestätigte sein Auftritt etwas von jenem Allmachtanspruch, mit dem Ghosn auf Kosten seiner Autokonzerne gelebt und sich über die Justiz einer großen Demokratie gestellt hatte. (Stefan Brändle aus Paris, 8.1.2020)