Eva Blimlinger sieht sich mit der ÖVP einig, die republikeigene "Wiener Zeitung" "in welcher Form auch immer", aber auf Papier zu erhalten.

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Eva Blimlinger hat das Regierungsprogramm für Medien mit der ÖVP verhandelt. Für eine Medienabgabe für alle Haushalte statt der GIS-Gebühr sieht die Mediensprecherin der Grünen bei der Kanzlerpartei überraschend Verständnis. Bisher lehnte die ÖVP eine solche Abgabe wie in Deutschland rundweg als neue Steuer ab. Wenn auch private Medien einen Teil davon bekämen, könne man mit der ÖVP darüber reden, sagt Blimlinger.

Kein Verständnis indes zeigt die Volkspartei für ein neues, unabhängigeres Entscheidungsgremium für Österreichs größten Medienkonzern, den öffentlich-rechtlichen ORF. "Wer eine Mehrheit hat, will nichts ändern", sagt Blimlinger. Sie bestätigt, dass die ÖVP fünf statt bisher vier der neun Regierungsmandate im Stiftungsrat bekommen soll, die Grünen zwei, dazu kämen zwei gemeinsam bestimmte Unabhängige.

STANDARD: Was hat man sich unter türkis-grüner Medienpolitik vorzustellen?

Blimlinger: Meine Hoffnung war und ist, den ORF unabhängig zu finanzieren. Ob über Gebühren oder Haushaltsabgabe, darüber muss man noch reden – und über eine Neuordnung und damit Verbesserung der Medienförderung.

STANDARD: Kann man mit der ÖVP über eine Haushaltsabgabe reden? Bisher hieß es dazu immer: keine neuen Steuern.

Blimlinger: Man kann mit ihr darüber und vieles andere reden. Es ist klar, dass eine Haushaltsabgabe keine Steuer ist.

STANDARD: Das haben Sie dem früheren Medienminister und nunmehrigen Finanzminister Gernot Blümel klargemacht?

Blimlinger: Eine Haushaltsabgabe kann ja auch Geld bringen für öffentlich-rechtliche Inhalte in privaten Medien.

STANDARD: Und die liegen der ÖVP traditionell besonders am Herzen.

Blimlinger: Eine Haushaltsabgabe für Medien würde mehr Einnahmen insgesamt bedeuten, und ein geringer Prozentsatz könnte für öffentlich-rechtliche Inhalte an private Medien gehen, kommerzielle wie nichtkommerzielle, Letztere sind uns sehr wichtig. Das wäre ein Teil der schwarz/türkis-grünen Medienpolitik.

STANDARD: Haushaltsabgabe heißt: Alle Haushalte, die nicht wegen geringen Einkommens befreit sind, zahlen diese Abgabe, ob sie nun Rundfunkprogramme nutzen oder nur streamen. Warum soll jemand zahlen, der sagt: Ich nutze aber nur Netflix und Spotify, kein Radio, kein Fernsehen – und schon gar keinen ORF?

Blimlinger: Youtube, Netflix, Amazon führen dazu, dass österreichische Sender weniger Werbeeinnahmen haben. Wenn Österreich eigene Sender haben soll und will, dann müssen sie gemeinschaftlich finanziert werden.

STANDARD: Unabhängigkeit des ORF kommt wesentlich, aber nicht allein aus der Finanzierung. Die Grünen schlugen vor der Wahl einen Konvent vor, um unabhängige Aufsichtsräte für den ORF zu finden statt des Stiftungs- und Publikumsrats.

Blimlinger: Das hätten wir gerne, konnten wir aber nicht verhandeln.

STANDARD: Weil die ÖVP mit der derzeitigen Konstruktion die größte Fraktion im Stiftungsrat stellt und mit nahestehenden Mitgliedern eine Mehrheit hat.

Blimlinger: Wer eine Mehrheit hat, will nichts ändern. Das wird nahezu jeder politische Akteur und jede Akteurin so sehen. Aber wir wollen zumindest dafür sorgen, dass das Führungspersonal des ORF anders, öffentlicher und weniger parteipolitisch bestellt wird.

STANDARD: Öffentliches Hearing?

Blimlinger: Zum Beispiel, das könnte der ORF-Stiftungsrat machen. Und zwar nicht nur pro forma, damit die Grünen Ruhe geben und die Personalpakete schon vor den Hearings ausverhandelt sind. Wir wollen das zumindest ein bisschen besser machen.

STANDARD: Ich höre, von den neun Regierungsmandaten im ORF-Stiftungsrat sollen fünf statt bisher deklariert vier an die ÖVP gehen, zwei an die Grünen und zwei an gemeinsam ausgesuchte Unabhängige?

Blimlinger: Das ist der Plan, ja.

STANDARD: Sehen Sie unabhängige Kandidaten für die ORF-Führung, die können und wollen?

Blimlinger: Selbstverständlich. Es sollten aber jedenfalls Personen sein, die mit dem Wiener Parkett und dem ORF vertraut sind. Die verstehen, dass etwa die Antwort "Schau ma amal" bedeutet: "Du kannst es vergessen."

STANDARD: Wird es vor 2021 ein neues ORF-Gesetz geben?

Blimlinger: Das muss aus meiner Sicht in zwei Tranchen geschehen. Wir müssen rasch die digitalen Beschränkungen des ORF aufheben, die zum Beispiel dem ORF-Player im Weg stehen, oder etwa den Abruf von Sendungen nur sieben Tage nach Ausstrahlung. Sonst droht dem ORF wirklicher Schaden. Eine weitergehende strukturelle Novelle sehe ich erst 2021, im besten Fall vor der Bestellung der nächsten ORF-Führung.

STANDARD: Was ist denn ein "gemeinsamer ORF-Player zwischen ORF und Privaten", der im Regierungsprogramm steht? Entweder ORF-Player oder Player von ORF und Privaten – oder?

Blimlinger: Ein gemeinsamer Player. Von uns stammt der Begriff ORF-Player, von der ÖVP ein Player von ORF und Privaten – so sind Kompromisse. Will man wirklich eine Konkurrenz zu internationalen Medienkonzernen aufbauen, muss man jedenfalls ein europäisches Projekt daraus machen. Das müsste man sofort angehen, mit ZDF, ARD SRG, mit ProSiebenSat1. Wobei: Dass bei ProSieben Silvio Berlusconis Medienkonzern mehr und mehr Anteile hält, macht mich schon skeptisch, was die Beteiligung der Privaten betrifft.

STANDARD: Wer soll diesen Player nun betreiben?

Blimlinger: Da muss man eine Kooperation, zum Beispiel ein Konsortium, finden. Und die Rechte liegen bei den jeweiligen Anstalten.

STANDARD: Die ÖVP will dem ORF schon lange Mindestanteile für österreichische Inhalte vorschreiben. Im Regierungsprogramm findet sich davon nun nichts. Kommt da noch was?

Blimlinger: Die ÖVP hat das auch in den Verhandlungen aufs Tapet gebracht. Für die Grünen zählt hier Qualität vor Nationalität. Mir scheint, dass es der ÖVP da nicht in erster Linie um die österreichischen Musikschaffenden geht. Hier ist eher die Vorstellung, aber mehr der Glaube, dass eine Österreich-Quote von zum Beispiel 40 Prozent für Ö3 den Privatsendern mehr Werbeeinnahmen und Marktanteile bringt. Das ist mir nicht nachvollziehbar. Das würde höchstens den Streamingdiensten etwas bringen.

STANDARD: Werden ÖVP und Grüne den öffentlich-rechtlichen Auftrag des ORF neu formulieren?

Blimlinger: Das ist nicht vereinbart. Vereinbart ist eine Stärkung des Public-Value.

STANDARD: Die Privatsender, und mit ihnen wohl auch die ÖVP, hätten gerne Vorgaben für Programmanteile für jeden ORF-Kanal und nicht für alle Fernseh- und alle Radiokanäle zusammen.

Blimlinger: Viele dieser Themen sind nicht im Regierungsprogramm und werden auch nicht kommen.

STANDARD: Der Gesetzesentwurf der ÖVP für den ORF aus türkis-blauen Zeiten wollte nicht mehr festschreiben, wie viele Kanäle der ORF hat. Die Vorgabe, sinngemäß: Der ORF soll so viele Kanäle betreiben, wie er braucht, um den Auftrag zu erfüllen. Was halten Sie davon?

Blimlinger: Der ORF sollte seine bestehenden Kanäle jedenfalls erhalten. Und so viele Kanäle, wie sie brauchen, bedeutet immer mehr Geld – oder weitere Wiederholungskanäle. ORF 3 ist schon jetzt weitgehend ein Archivsender.

STANDARD: Das Regierungsprogramm will ORF 3 klarer als Kultursender positioniert sehen, ebenso Ö1 und FM4. Was bedeutet das?

Blimlinger: Alles aus dem Archiv zu senden ist vielleicht ein zu weiter Kulturbegriff. Man könnte etwa mehr Schwerpunkte zu regionaler und freier Kulturszene setzen und mehr Programme für innovative junge Kunst entwickeln – statt Opern oder Theateraufführungen zum x-ten Mal zu zeigen.

STANDARD: Wann beerdigt die neue Koalition das Amtsgeheimnis?

Blimlinger: Der Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz wird ziemlich schnell kommen. Ich würde sagen, das ist eine Frage von Wochen. Das ist bereits ziemlich detailliert ausverhandelt, wie man im Regierungsprogramm lesen kann. Natürlich bleiben Ausnahmen, etwa nationale Sicherheit und Landesverteidigung. Aber Journalisten und natürlich auch alle anderen interessierten Bürger und Bürgerinnen bekommen dann Informationen, ohne zwischen Amtsgeheimnis und Auskunftspflicht hin- und hergeschoben zu werden. Dann werden hoffentlich nicht mehr zwei Drittel der Akten für einen Untersuchungsausschuss geschwärzt sein.

STANDARD: Kommen weitere Maßnahmen so rasch?

Blimlinger: Die Änderungen des Parteiengesetzes und die Prüfzuständigkeit des Rechnungshofs für Unternehmen ab 25 Prozent öffentlicher Beteiligung.

STANDARD: Zu Medienförderungen steht im Regierungsprogramm gleich ein paar Mal Überprüfung, Evaluierung, Angleichung ... Heißt das: Schau ma amal? Sind das Regierungsprogramm-Leerformeln?

Blimlinger: Wichtig ist, dass das drinsteht. Dass man nicht darauf verzichtet, weil man sich vorerst nicht einigen kann. Was wie überprüft wird, ist aus der Sicht der ÖVP vielfach etwas anderes, als wir wollen. Damit ist vorerst jedoch ein gemeinsamer Spielraum offen, etwas zu tun. Dafür müssen wir einen Modus finden, mit der ÖVP und auch mit anderen Parlamentsparteien.

STANDARD: Und was wollen die Grünen da?

Blimlinger: Wir wollen möglichst vergleichbare Kriterien und Bedingungen für Förderungen für Publizistik, Presse, Rundfunk und digitale Medien. Zum Beispiel Mitgliedschaft beim Presserat oder einem anderen Organ der Selbstkontrolle.

STANDARD: Was wird am Medientransparenzgesetz überprüft, das öffentliche Stellen zwingt, einen wesentlichen Teil ihrer Werbebuchungen offenzulegen?

Blimlinger: Das wollen wir ändern. Weniger Aufwand und keine unverhältnismäßigen sofortigen Strafen für Kleinstvereine, die ihre Quartalsmeldung vergessen. Meldungen vielleicht nicht mehr quartalsweise – das ermöglicht Stückelungen, um unter der Bagatellgrenze zu bleiben – und eine Erleichterung für die zahllosen Vereine, wo es um ein paar tausend Euro im Jahr geht.

STANDARD: Wie wäre es eigentlich mit einer zentralen Stelle, die wie in Deutschland zentral Werbebuchungen von Ministerien schaltet und verwaltet?

Blimlinger: Natürlich wäre sachlich im Sinne der Republik Österreich eine solche Stelle sinnvoll, aber politisch gesehen nicht. Und unter derzeitigen politischen Verhältnissen einer Koalition würde ich das nicht gerne umsetzen.

STANDARD: Gerald Fleischmann ist langjähriger Kommunikator von Sebastian Kurz, der dafür sorgt, dass sein Chef und dessen Themen möglichst gut in den Medien vorkommen. Fleischmann ist im Kanzleramt wieder zuständig für die Kommunikation der ÖVP-Seite in der Regierung und Vizekabinettschef von Kanzler Sebastian Kurz, der nun auch selbst für Medienpolitik ressortverantwortlich ist. Zugleich ist Fleischmann nun Kanzlerbeauftragter für Medienpolitik. Wie vertragen sich diese beiden Rollen?

Blimlinger: Ich halte das dem Grunde nach für unvereinbar, aber Sebastian Kurz sieht das offenbar anders. Wir werden unsere Medienpolitik dem entgegenhalten – und hoffentlich bei manchen Punkten finden, dass wir etwas gemeinsam machen sollen. Ich finde, man kann PR für ein Regierungsmitglied nicht mit der medienpolitischen Strategie eines Staates verbinden.

Gerald Fleischmann (links) ist Kanzlerbeauftragter für Medienpolitik – hier ist er mit Ex-Strache-Pressesprecher Martin Glier und Kanzler Sebastian Kurz zu sehen.
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STANDARD: Was bedeutet denn die Formulierung im Regierungsprogramm, die "Marke" Wiener Zeitung zu erhalten, ihr aber die Pflichtveröffentlichungen "in Papierform" zu streichen – die bisher gut zwei Drittel ihrer Einnahmen ausmachen? Soll es die gedruckte Wiener Zeitung weiter geben?

Blimlinger: Uns geht es schon massiv darum, die Wiener Zeitung auch auf Papier zu erhalten. In der Wiener Zeitung wird schon länger an einem neuen Geschäftsmodell gearbeitet – mit einem kostenfreien und digitalen Amtsblatt. Die Wiener Zeitung übernimmt ja schon jetzt Dienste wie help.gv.at. Solche Dienste sollen in Zukunft abgegolten werden, um die Zeitung als Zeitung, in welcher Form auch immer, zu erhalten, da waren wir uns einig.

STANDARD: Das Regierungsprogramm verspricht noch "Ausbau und Stärkung der Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten". Wie kann man sich das vorstellen?

Blimlinger: Gerade in Zeiten von Fake-News, wo jeder alles publizieren kann und drunterschreibt "Journalist" oder "Journalistin", sind fachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten für Journalismus in der Ausbildung wesentlich.

STANDARD: Aber keine Journalistenlizenz?

Blimlinger: Ich bin die Letzte, die sich eine Journalistenkammer wünscht. Aber nicht jeder sollte sich Journalist oder Journalistin nennen können – wie etwa das Psychotherapiegesetz sinnvollerweise Berufskriterien für Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen definiert.

STANDARD: Im Programm gibt es wieder einen Hinweis auf Medienkompetenz und auch auf digitale Kompetenz. Wäre es nicht Zeit für ein Unterrichtsfach?

Blimlinger: Beides ist drinnen, sowohl Medienkompetenz wie auch digitale Kompetenz wie zum Beispiel Coding oder Programmieren. Eigene Fächer? Dann hätten die armen Kids bald 40 Fächer. Wenn man bei der traditionellen Fächerdefinition, beim bildungsbürgerlichen Kanon bleibt, wird es schwierig.

STANDARD: Und was kann man von der angekündigten "Reform der Verwertungsgesellschaften im Sinne der Künstlerinnen und Künstler sowie anderer Urheberinnen und Urheber erwarten"?

Blimlinger: Wenn es nach mir geht, sollte man diese Gesellschaften auf möglichst wenige Kategorien zusammenlegen. Das muss man sich trauen. Ich habe damit kein Problem. Man muss dieses System einfacher, transparenter und vor allem europäischer machen. Wenn Künstler und Künstlerinnen etwa multimedial und interdisziplinär arbeiten, müssen sie bei mehreren Verwertungsgesellschaften vorstellig werden – und werden hin- und hergeschickt. Es muss für Urheberinnen und Urheber einfacher werden. Versuchen Sie einmal, einen Podcast bei der AKM anzumelden, es geht nicht. Und ganz zu schweigen von der Frage der Creative-Commons-Lizenzen – da wird viel zu tun sein. (Harald Fidler, 10.1.2020)