Mülkiye Laçin saß in einem kleinen Dorf in der türkischen Provinz Tunceli fest.

Foto: „Free Mülkiye“ – Solidaritätskomitee

Sechs Monate saß die Wiener Pädagogin Mülkiye Laçin in der Türkei fest. Am Donnerstag wurde bei einem Prozess ihr Ausreiseverbot überraschend aufgehoben, wie ihre Unterstützer vor Ort dem STANDARD mitteilten. Die türkischen Behörden werfen Laçin Propaganda für eine Terrororganisation vor.

Das Verfahren selbst sei zurzeit zwar noch nicht abgeschlossen, heißt es von Laçins Unterstützern, die türkischen Behörden würden noch Anfragen an die österreichischen Behörden stellen wollen. Laçin müsse jedoch – sollte es überhaupt noch zu weiteren Verhandlungsterminen kommen – zu diesen nicht wieder in die Türkei einreisen, sondern könne sich anwaltlich vertreten lassen. "Mülkiye geht es gut, und sie versucht nun so bald wie möglich in ein Flugzeug Richtung Wien zu steigen", so die Initiative Free Mülkiye. Man könne zwar noch nicht endgültig durchatmen, da das Verfahren noch laufe, doch sei vorerst erleichtert, so ein Unterstützer.

Sirma Kapan, die Tochter der Angeklagten, sprach zuvor von willkürlichen und haltlosen Vorwürfen. Konkret vorgeworfen werde ihrer Mutter etwa eine Rede bei einer Veranstaltung anlässlich des 1. Mai, in der sie auf die Missstände in der Türkei und die Lage der Kurden eingegangen sei.

Keine Zahlen zu festgehaltenen Österreichern

Wie viele Österreicherinnen und Österreicher aktuell nicht aus der Türkei ausreisen dürfen oder gar inhaftiert sind, ist unklar, offizielle Zahlen dazu gibt es nicht. Vom Außenministerium heißt es, es gebe "einige wenige Fälle", die konkrete Zahl weiß man aber auch dort nicht. Denn die Türkei sei völkerrechtlich nur dann verpflichtet, Österreich zu informieren, wenn die Person nur eine Staatsbürgerschaft hat. Bei Doppelstaatsbürgerschaften werde man nicht offiziell informiert, so ein Sprecher des Außenministeriums.

Max Zirngast, der ebenfalls in der Türkei inhaftiert war und mittlerweile freigesprochen wurde, gibt an, er wisse von vier bis fünf betroffenen Personen, Laçins Unterstützungskomitee Free Mülkiye sind zwei Fälle bekannt. Die Juristin und ehemalige grüne Nationalratsabgeordnete Aygül Berîvan Aslan sagt, viele in Türkei Festgehaltene zögerten, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. "Sie haben Angst, dann stigmatisiert zu werden", sagt Aslan, außerdem hätten österreichische Behörden "bis dato nichts gemacht, obwohl jedes Jahr zig Menschen eine Ausreisesperre bekommen". Diese "Stille" ermutige die türkischen Behörden, weiter Menschen aus Österreich zu inhaftieren oder festzuhalten.

Das Außenministerium weist gegenüber dem STANDARD die Vorwürfe zurück: "Alle Personen, die in der Türkei oder in einem anderen Land konsularische Unterstützung brauchen, bekommen diese auch", so ein Sprecher. Die Botschaft sei mit Laçin und ihren Angehörigen in Österreich in Kontakt gewesen.

"Wüste Zusammenstellung" in der Anklageschrift

Die kurdischstämmige Laçin war 1984 aus der Türkei nach Österreich ausgewandert und arbeitete als Freizeitpädagogin in einer Volksschule in Wien-Brigittenau. Während eines Türkei-Urlaubs wurde sie am 17. Juli 2019 von einer Sondereinheit der türkischen Polizei an ihrem Ferienort aufgesucht und für 24 Stunden festgenommen. Seither durfte sie nicht ausreisen.

Laut Anklageschrift werde der Verein Demokratisches Zentrum der KurdInnen (DTKM) in Wien, zu dessen Co-Vorsitzender Laçin 2016 gewählt wurde, als verlängerter Arm der Terrororganisation PKK beziehungsweise der KCK (Union der Gemeinschaft Kurdistans) bezeichnet, heißt es in der Presseinformation des Solidaritätskomitees. Laçin soll demnach außerdem an der Besetzung der kenianischen und der griechischen Botschaft nach der Festnahme von PKK-Gründer Abdullah Öcalan in Kenia 1999 beteiligt gewesen sein. Zirngast bezeichnete die Anklageschrift als eine "wüste Zusammenstellung" von bereits lange zurückliegenden Ereignissen. Alle Ereignisse, die Laçin zur Last gelegt werden, seien außerhalb der Türkei passiert.

Die grüne Hälfte der neuen Regierung sprach sich im Vorfeld offen für Laçins Unterstützung aus. Die stellvertretende Grünen-Klubobfrau Ewa Ernst-Dziedzic kündigte an, das Gespräch mit Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) zu suchen, um Laçin den "bestmöglichen konsularischen Schutz" zukommen zu lassen. Nach der Aufhebung des Ausreiseverbots heißt es von Ernst-Dziedzic: "Die breite öffentliche Unterstützung hat sicherlich entscheidend zum positiven Ausgang des Prozesstages beigetragen." Auch von den Neos und der Türkische Kulturgemeinde in Österreich wurde die Entscheidung begrüßt. (Gabriele Scherndl, 9.1.2020)