Von oben links: Markus Reinecke, Elena Miras, Toni Trips, Daniela Büchner, Marco Cerullo. Unten links: Günther Krause, Sonja Kirchberger, Prince Damien, Raúl Richter, Anastasiya Avilova, Sven Ottke.

Foto: TVNOW / Arya Shirazi

Berlin/Brisbane – Während hunderte Kilometer entfernt die Flammen wüten und Millionen Tiere verenden, sitzen im grünen Dschungel zwölf Dschungelcamp-Teilnehmer, die sich vor laufenden Kameras Gedanken darüber machen, ob sie die Känguru-Hoden nun essen sollen oder nicht. Kurz vor dem Start der alle Jahre wiederkehrenden RTL-Show "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus" (IBES) am 10. Jänner gerät das Dschungelcamp wegen der verheerenden Buschbrände in Australien ins mediale Kreuzfeuer. Manche fordern sogar eine Absage, berichtet die Deutsche Nachrichtenagentur dpa.

Der SPD-Bundestagspolitiker Karl Lauterbach appellierte an RTL, das Camp in diesem Jahr abzublasen und sagte: "Das Ganze erinnert an den Tanz auf dem Vulkan", sagt er der "Bild"-Zeitung. Wie Lauterbach sehen das noch einige andere Politiker – und auch ehemalige und sogar aktuelle Dschungelcamper. Die Schauspielerin Ingrid van Bergen (88), Dschungelkönigin des Jahres 2009, sagte der "Bild": "In die absolute Katastrophe passt jetzt keine solche Spaßsendung."

Teilnehmer: "Mir zerreißt es das Herz"

Schauspieler Raul Richter (früher "Gute Zeiten, schlechte Zeiten") meldete sich kurz vor seinem Einzug ins Camp aus Brisbane. "Mir zerreißt es das Herz", sagte er auf Instagram, wo er auch schrieb, es sei "tatsächlich paradox, dass wir für eine Unterhaltungsshow in ein Land fliegen, in dem gerade Menschen um ihr Leben kämpfen und viele, viele Tiere diesen Kampf bereits verloren haben".

Aber viele Australier, die selbst von den Bränden betroffen seien – allen voran "Dr. Bob" – verdienten mit der Show ihr Geld. Und sie hätten ihm gesagt: "Egal, ob das Dschungelcamp stattfindet oder nicht – es löscht die Brände nicht." Darum könne das Camp vielleicht sogar Gutes bewirken und Aufmerksamkeit auf die Katastrophe vor Ort lenken, meint Richter. Er hat vor, im Camp über den Klimawandel zu sprechen.

Moderatorin argumentiert mit Einkommen

Auch Moderatorin Sonja Zietlow verteidigt die Show gegen Vorwürfe. "Unsere australischen Kollegen sind mehr als dankbar, ihren Job bei IBES nicht (auch noch) zu verlieren!", schrieb sie auf ihrer Facebook-Seite. "Diese Arbeit sichert ihnen nicht nur im Januar gutes Einkommen."

"Die Sache mit der Unterhaltung in Krisenzeiten ist eine schwierige", sagt Thorsten Hennig-Thurau, Professor für Marketing und Medien an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. "Natürlich besteht bei uns allen ein Bedürfnis nach Ablenkung und Unterhaltung. Und dies gilt gerade und besonders in Krisenzeiten. Empirische Forschung zeigt (...), dass Menschen in Wirtschaftskrisen öfter ins Kino gehen."

RTL solle Verantwortung wahrnehmen

Das Camp abzusagen, ist aus seiner Sicht darum keine Lösung. "RTL sollte vielmehr zeigen, dass es seine gesellschaftliche Verantwortung akzeptiert. Man darf nicht als Clown in Krisenzeiten oder gar als Krisenprofiteur auftreten. Man muss stattdessen Wege finden, die Sendung mit einem Verantwortung zeigenden Format zu kombinieren." Er nennt als Beispiele "Spenden, Diskussionen im und außerhalb des Camps (...). Die Strategieabteilung muss da kluge Formate finden."

Auch die Hamburger Medienwissenschaftlerin Joan Kristin Bleicher empfiehlt: "Man sollte auf die schwierigen Umstände eingehen, zumal ja die Feuer für Australien eine nationale Katastrophe darstellen."

Strikte Sicherheitsvorkehrungen

RTL betont, die Brände, die inzwischen schon eine Fläche so groß wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen zerstört haben, seien mehrere Hundert Kilometer vom Camp entfernt. Trotzdem gibt es in diesem Jahr strikte Sicherheitsvorkehrungen: Raucher dürfen nur rund um die Kochstelle zur Zigarette greifen und müssen die Stummel in einer abschließbaren Box entsorgen. Es gibt ein Spezialfeuerzeug – und kein Lagerfeuer. Zum ersten Mal in der Geschichte der Show wird auf einem Campingkocher gebrutzelt und nicht über offenem Feuer.

Das Lagerfeuer im letzten Lagerfeuer-Format des deutschen Fernsehens ist also erloschen, noch bevor die Show angefangen hat. Ein Zeichen auch über dieses Jahr hinaus? Aus Sicht von Hennig-Thurau dürfte es selbst das Dschungelcamp, das seit Jahren als großer Quotengarant gilt, künftig schwer haben – auch ohne die aktuelle Brand-Debatte.

Zuschauerpotenzial schmelze

Denn mit dem Bedeutungswachstum von Netflix und Co schmelze das Zuschauerpotenzial immer weiter, sagt er. "Gerade die jungen Leute sind die Kernzielgruppe für das Dschungelcamp und auch mit Abstand die dynamischsten, was die Übernahme neuer Trends angeht. Die Jungen sind diejenigen, für die lineares Fernsehen heute eine dramatisch geringere Rolle spielt." Insgesamt, so sagt Hennig-Thurau, "wird es immer schwieriger für RTL, solche Events zu generieren".

Der zweite Grund laut dem Forscher aus Münster: Sättigung. "Es gibt in Bezug auf Unterhaltungsformate immer Sättigungstendenzen. Die Leute werden irgendwann müde, wenn ihnen dasselbe wieder vorgesetzt wird. Es braucht immer etwas Frisches, die Abweichung vom Gewohnten, um ein Rezept nicht langweilig werden zu lassen."

Und eben weil eine wachsende Anzahl an Leuten kein lineares Fernsehen mehr schaue, werde es immer schwieriger, Personal zu finden, das vielen Menschen etwas sage. Dass jetzt mit den deutschen Ex-Bundesverkehrsminister Günther Krause zum ersten Mal ein früherer Politiker dabei ist und mit der Österreicherin Sonja Kirchberger ("Die Venusfalle") eine Schauspielerin, die eher älteren Semestern etwas sage, führt er darauf zurück, dass RTL inzwischen auch auf andere, ältere Zielgruppen zielt, um das Format zukunftsfähig zu machen. Aber: "Ich glaube, dass wir da so langsam Byebye sagen müssen", sagt Hennig-Thurau. "Es besteht die Gefahr, dass auch dieses mediale Lagerfeuerkonzept dauerhaft erkaltet. Es leuchtet und wärmt deutlich weniger."

Wer dabei ist

Dieses Jahr schickt RTL folgende mehr oder minder bekannte Menschen für die Show "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus" in den australischen Dschungel. Dabei gibt es eine echte Premiere: Zum ersten Mal ist ein deutscher Ex-Politiker dabei.

Sven Ottke (52) ist in diesem Jahr der Ex-Sportler. Er war von 1997 bis 2004 Profiboxer und Weltmeister im Supermittelgewicht und rechnet sich laut RTL eine "achtprozentige Chance" auf die Dschungelkrone aus.

In die Kategorie der Ex-Schauspieler fällt die Österreicherin Sonja Kirchberger (55). Die einstige "Venusfalle", die heute ein Café auf Mallorca betreibt, sieht im "Dschungel" ein gutes Format für Schauspieler: "Wir wollen gesehen werden."

Raul Richter (32) ist vor allem aus der RTL-Seifenoper "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" bekannt und hat sich vor dem Start des Camps schon einmal als Klima-Gewissen desselben in Stellung gebracht, als er sich auf Instagram zu den verheerenden Bränden in Australien äußerte.

Einen Ex-Schlagersänger gibt es in diesem Jahr überraschenderweise nicht – dafür zum ersten Mal einen Ex-Politiker. Günther Krause (66) war einmal deutscher Verkehrsminister. Der frühere CDU-Politiker gab vor seinem Einzug ins Camp an, Kanzlerin Angela Merkel habe ihm ihren Segen gegeben.

Das obligatorische Erotik-Sternchen, das in die Fußstapfen von Vorgängerinnen wie Micaela Schäfer treten könnte, fehlt ebenfalls in diesem Jahr – genau wie die eigentlich obligatorische Ex-Kandidatin von "Germany's Next Topmodel", die – der Fan erinnert sich mit Ehrfurcht an Sarah Knappik oder Larissa Marolt – oft verantwortlich war für die großen Sternstunden in vergangenen Camps.

Das lässt viel Platz für die in diesem Jahr besonders große Gruppe von RTL-Eigengewächsen aus dem "Bachelor" oder ähnlichen Castingshow- und Reality-Formaten, mit denen der Sender die restlichen Hängematten im Camp traditionell zu füllen weiß.

Dieses Mal sind das: Anastasyia Avilova (31), die bei "Temptation Island – Versuchung im Paradies" mitgemacht hat und kurz vor dem Start des Camps erklärte, jemand wolle sie mit einem alten Sex-Filmchen erpressen. Elena Miras (27) war bei "Love Island" dabei und im "Sommerhaus der Stars". Marco Cerullo (31) hat beim "Bachelor in Paradise" mitgemacht und der Antiquitätenhändler Markus Reinecke (50) bei "Die Superhändler – 4 Räume, 1 Deal". Von der dauerlaufenden Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS) sind gleich zwei dabei: Prince Damien (29), der die 13. Staffel gewann und Toni Trips (22), die die Staffel im vergangenen Jahr nicht gewann.

Zwei Frauen sind in diesem Jahr im Camp nur dabei, weil sie mit mehr oder minder bekannten Männern verheiratet waren: Danni Büchner (41) tritt in die Fußstapfen ihres 2018 gestorbenen Mannes "Malle-"Jens Büchner, der selbst vor drei Jahren noch am Lagerfeuer saß. Claudia Norberg (49) ist die Ex von Schlagersänger Michael Wendler, der auch schon einmal im Dschungel war und inzwischen vor allem dadurch Schlagzeilen macht, dass seine neue Freundin erst 19 ist und sich pünktlich zum "Dschungel"-Start für den "Playboy" auszog. (dpa, APA, red, 9.1.2020)