Vor der geplanten neuen Behörde, die Vorwürfe gegen die Exekutive prüfen soll, muss die Polizei ihre internen Schutzschilder herunterfahren. Menschenrechte sollen nicht unter die Räder kommen.

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Die türkis-grüne Regierung hat mit der österreichischen Polizei viel vor. Schlagkräftiger soll sie werden, vor allem was den Kampf gegen Terror, Cyberkriminalität und gegen die Glücksspielmafia betrifft. Effizienter und besser ausgebildet soll sie werden, und auch das Thema Menschenrechte kommt im Kapitel Innere Sicherheit im Regierungsprogramm nicht zu kurz. DER STANDARD bat Heinz Patzelt, den Sprecher von Amnesty International Österreich, und Hermann Greylinger, den Bundesvorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion (FSG) in der Polizeigewerkschaft, um ihre Einschätzungen.

Kontrolle: Die größte Überraschung ist die geplante Schaffung einer neuen Behörde, die Misshandlungsvorwürfe gegen Polizeibeamte aufklären soll. Amnesty, andere Menschenrechtsorganisationen und das Uno-Komitee gegen Folter fordern das schon seit vielen Jahren. Diese neue Behörde soll "in multiprofessioneller Zusammensetzung ermitteln", heißt es im Regierungsprogramm. Und sie soll mit polizeilichen Befugnissen ausgestattet werden. Es ist also eine eigene Polizei für die Polizei geplant. Herrin von strafrechtlichen Ermittlungen bleibt die Staatsanwaltschaft.

Wichtige Beschwerdestelle

Heinz Patzelt zeigt sich erfreut. Vor allem der Plan, dass die geplante Behörde nicht nur von Amts wegen ermitteln, sondern auch als Beschwerdestelle für Betroffene fungieren soll, sei sehr zu begrüßen. "Gerade die jüngsten Vorkommnisse bei Klimaschutzdemos haben gezeigt, dass ein unbürokratischer Zugang zu einer Beschwerdestelle wichtig ist", so Patzelt.

Polizeigewerkschafter Greylinger ist zurückhaltender. Er sei nicht prinzipiell gegen eine neue Polizeikontrolle, gibt aber zu bedenken, dass derzeit nur wenige Details auf dem Tisch liegen. Eine entsprechende Behörde müsste jedenfalls schnell arbeiten. Denn bei etwaiger Suspendierung für die Dauer der Ermittlungen müssten Betroffene erhebliche Einkommenseinbußen hinnehmen.

1.428 Beschwerden, keine Verurteilung

Tatsächlich enden die meisten strafrechtlich relevanten Vorwürfe gegen Polizisten im Nichts, wie eine im Vorjahr veröffentlichte Studie des Austrian Center for Law Enforcement Sciences (Ales) unter der Leitung von Strafrechtlerin Susanne Reindl-Krauskopf ergab: Zwischen 2012 und 2015 gab es in Wien und Salzburg Beschwerden gegen insgesamt 1.428 Polizisten – unter anderem wegen Schlägen, übertrieben harten Fixierungen und rassistischen Beschimpfungen. In Salzburg wurden in diesem Zeitraum alle Verfahren eingestellt, in Wien mussten sieben Beamte vor Gericht, alle wurden freigesprochen.

Häufiger, aber dazu gibt es keine Statistik, werden Polizeieinsätze verwaltungsgerichtlich als nicht rechtmäßig eingestuft. Für betroffene Beamte gibt es dann disziplinarrechtliche Konsequenzen, Geschädigte können die Republik auf Schmerzensgeld und Schadenersatz klagen.

Sicherungshaft: Eine klare Überschreitung der roten Linie ist für Amnesty-Sprecher Patzelt die Einführung der umstrittenen Sicherungshaft.

Asylzentren: Irritierend findet er auch die Schaffung von "grenznahen Asylzentren". Patzelt befürchtet, dass das Lager werden könnten, deren einzige offene Tür ins Ausland führt. Das konterkariere den geplanten nationalen Aktionsplan für Menschenrechte.

Dienstnummern: Ein weiteres Manko für Patzelt: "Zur Transparenz der Sicherheitsbehörde hätte auch gehört, dass Polizisten Dienstnummern sichtbar tragen müssen." Davon steht aber nichts im Regierungspakt.

Zeitwertkonto: Ein No-Go für Gewerkschafter Greylinger ist das von Türkis-Grün angedachte Zeitwertkonto für den Polizeidienst. Das würde bedeuten, dass Exekutivbeamte Überstunden nicht mehr ausbezahlt bekommen, sondern über Jahre ansparen und dann ab einem gewissen Alter, etwa 55, konsumieren müssen. Die Gewerkschaft hat dieses Modell schon vor rund zehn Jahren einmal verhindert.

Altersgrenze: Eine Zustimmung kommt von Greylinger zur Wiedereinführung einer Altersgrenze für die Aufnahme in den Polizeidienst. Der Recruiting-Offensive folgten überraschend viele Bewerber jenseits der 50. "Ich habe Respekt vor jedem in diesem Alter, der die sportlichen Kriterien erfüllt. Aber wenn ein Mittfünzigjähriger die zweijährige Polizeiausbildung macht, ist er danach nur mehr ein paar Jahre im Dienst. Da stellt sich die Kosten-Nutzen-Frage", so Greylinger. Immerhin investiert der Staat 30.000 Euro in die Ausbildung jedes Polizisten.

Vordienstzeiten: Was der rote Personalvertreter im Regierungsprogramm vermisst, ist die Anrechnung von Vordienstzeiten für Späterberufene. Auch wer mit 35 oder 40 die Polizeischule besucht, steigt mit einem Gehalt von 1.690 Euro brutto ein.

Sowohl Patzelt als auch Greylinger weisen darauf hin, dass Papier geduldig sei. Es gebe noch viel Raum für Interpretationen. (Michael Simoner, 10.1.2020)