Bild nicht mehr verfügbar.

"Neuerdings bieten mir Leute ihre Lieder an. Sie schicken mir Songs und sagen: Die würden dir gut zu Gesicht stehen!", sagt Capaldi.

AP/Kevin Hagen

Trifft man den Schotten Lewis Capaldi, stellt man fest, dass seine Entourage erstaunlich entspannt ist, obwohl er erkältet ist und noch dutzende Konzerte anstehen. Blass ist der Schotte. Aber intelligent: Um die Stimme zu schonen, wird er später das Publikum viel selbst singen lassen.

STANDARD: Sie sind 23 Jahre alt, und "Someone You Loved" landete 2019 an der Spitze der noch immer wichtigsten Charts der Welt, der Billboard-Charts.

Capaldi: Ich hätte nie gedacht, dass das klappen könnte. Ich habe aber auch nicht damit gerechnet, dass es möglich wäre, Großbritannien zu erobern. Und dann war ich ziemlich glücklich, als mein Song die Nummer eins Großbritannien wurde. Als wir auch noch in Europa erfolgreich wurden, habe ich gesagt: Okay, Job erledigt. Aber dann wollten alle, dass ich es in Amerika versuche. Selbst als ich schon dort war, habe ich am ersten Tag im Radiosender noch zu meinen Leuten gesagt: "Reine Zeitverschwendung, niemand wird zuhören ..."

STANDARD: Wie haben Sie davon erfahren, dass Sie die Singlecharts anführen?

Capaldi: An dem Tag bin ich aus Glasgow nach Madrid geflogen. Ich war ein paar Tage zuhause, weil meine Stimme weg war und ich deswegen Konzerte absagen musste. Ich wusste, dass an dem Tag die neuen Charts veröffentlicht werden und ich in dieser Chartswoche entweder Nummer eins oder zwei werde. Ich war den ganzen Tag nervös. Als ich nach der Landung dann gegen vier Uhr nachmittags im Auto war, rief mich mein Manager an und sagte: "Du bist die Nummer eins!"

STANDARD: Wie wurde gefeiert?

Capaldi: Das habe ich mir für die Tourpause aufgehoben. Auf der Tour habe ich nicht getrunken.

STANDARD: Was ist nur aus Sex, Drugs und Rock’n’Roll geworden?

Capaldi: Sodbrennen!

STANDARD: Ist Popstar Ihr erster richtiger Job?

Capaldi: Im Grunde schon, ja. Davor habe ich in Pubs gesungen. Leute bieten mir neuerdings Lieder an. Sie schicken mir Songs und sagen: "Die würden dir so gut zu Gesicht stehen." Ich bin dann nicht beleidigt, aber ich finde das seltsam; ich nehme keine Songs von anderen. Ich denke mir: "Frag mich doch einfach, ob wir einen Song zusammen schreiben."

LewisCapaldiVEVO

STANDARD: Wie viel von Ihnen steckt in "Someone You Loved"?

Capaldi: "Someone You Loved" habe ich selbst geschrieben, aber ich bin ins Stocken geraten und habe Songschreiber angesprochen. Ohne deren Hilfe hätte ich den Song nie fertiggeschrieben.

STANDARD: Das klingt sehr professionell. Die meisten Menschen stellen sich wohl vor, dass ein Musiker ein Lied nachts auf dem Boden liegend schreibt ...

Capaldi: Jeder große Musiker, den man fragt, sagt immer über seine Hits: "Ich habe den Großteil selbst komponiert." Aber es ist doch so: Der Song wäre ohne die anderen einfach nicht derselbe.

STANDARD: Ihr erstes Album "Divinely Inspired to a Hellish Extent" handelt vom Ende einer Beziehung. Macht Ihre Ex-Freundin manchmal Scherze darüber, dass sie etwas Geld abhaben möchte?

Capaldi: Wenn das so wäre, dann würde ihr gesagt werden, dass sie ein geldgieriger Bastard ist! Nein, im Ernst, sie ist toll und entspannt. Wir haben uns immer gut verstanden, die Beziehung ist einfach ausgefranst.

STANDARD: Adele sagte vor ein paar Jahren, dass ihr Ex-Freund einen Anteil von ihrem Vermögen forderte, weil sie mit ihrem Album "19" viel Geld mit Songs über deren Beziehung verdient hat.

Capaldi: Man kann niemanden dafür verklagen, dass er eine Erfahrung gemacht hat.

STANDARD: Hatten Sie denn schon Gelegenheit, sich etwas von Ihrem ersten großen Scheck zu kaufen?

Capaldi: Ich möchte mir eine Wohnung in Glasgow kaufen und die dann vermieten. Irgendwann kann ich selbst einziehen.

STANDARD: Sie wirken wahnsinnig locker. Regt Sie nichts auf?

Capaldi: Mich stört so schnell nichts, nein. Die meisten Menschen nehmen alles viel zu ernst.

STANDARD: Nichts, was Sie verrückt macht?

Capaldi: Angenommen, ich veröffentliche mein neues Album, und die Kritiker schreiben: "Eine neue Ära beginnt." – Fuck off! Mein Gott, es ist nur ein Album.

STANDARD: Es gibt ein Foto von Ihnen, auf dem Sie im Sommer neben Elton John auf einer Terrasse sitzen. Wie war das Treffen mit ihm?

Capaldi: Er hat mich in sein wunderbares Haus in Nizza eingeladen. Er hat sich mein Album ordentlich angehört, es war wirklich toll. Und: Elton John hat mir seine E-Mail-Adresse gegeben. (Nora Reinhardt, 10.1.2020)