Georg Nussbaumer komponiert bei den Tagen für zeitgenössische Klaviermusik quasi über Beethoven.

Foto: J. J. Kucek

Manch Tonsetzer wird die Präsenz verstorbener großer Kollegen lästig finden. An historischen Größen vorbeikomponierend im Konzertalltag eine Bleibe zu finden ist tatsächlich ein beschwerliches Unterfangen. Und dass 2020 besonders "Beethoven-imprägniert sein wird, dürfte noch ganz schön nerven", findet auch Georg Nussbaumer, wie er auch "eine starre und in ihrer Repetition langweilige Konzertpraxis" konstatiert. Allerdings nichts gegen die alten Meisterwerke! Immer wieder höre man diese "neu. Auch wie und was man heraushört, verändert sich im Lauf des Lebens."

Umformung des Gewohnten

Stücke von hoher Qualität "entwickeln sich eben mit", so der Linzer, womit er auch jene des Jubilars meint. "Beethoven war ein sagenhafter Könner mit Witz und Wut! Mit Wut meine ich nicht die ,mürrische Geste‘ oder das Auf-den-Boden-Spucken, sondern jenes Sich-Hinwegsetzen über Gewohnheiten des Komponierens." Der Witz wiederum sei bei Beethoven "die Umformung des Gewohnten, das Entlangschrammen an der Erwartung. Seine Stärke war, dies nicht weinerlich zu machen, sondern distanziert, aber als extrem lustvolles, von homerischem Gelächter getragenes Spiel."

Nussbaumer ist natürlich ein Spezialfall des Umgangs mit Historie, ein origineller Verarbeiter derselben. Die Integration von klassischem Material erfolgt als Akt einer überraschenden Neubefragung. Bei den Tagen für zeitgenössische Klaviermusik an der "mdw" wird Nussbaumer in diesem Sinne Beethoven quasi neu denken. Das Motto – "Elisenschauer mit Ludwigslawine" – deutet es an.

Lebender Organismus

Das Markante an den Werken Nussbaumers, die zum Zug kommen: "Ich bediene mich nur seines Materials, es gibt keinen einzigen ,Nussbaumer-Ton‘", vielmehr würde Beethoven verschoben und geschichtet. "Das ist wie beim Kochen: Ein lebender Organismus, sagen wir ein Hendl oder eine Kartoffel, wird in etwas anderes überführt."

Bei seinen Diabelli-Repetitionen variiert Nussbaumer also nicht. Er nutzt "nur die 32 Takte des simplen Walzers, der Beethoven so aufgeregt hat und dem er mit Witz begegnet ist. Die Töne des Walzers werden – äußerst vereinfacht gesagt – einer Drei-Schritte-vorwärts-zwei-Schritte-zurück-Taktik unterworfen."

Zwölf Pianisten

Wohl etwas opulenter das Stück Elisenschauer. Dieses beschäftigt zwölf Ausführende vierundzwanzighändig an sechs Klavieren: "Ich verwende nur die ersten beiden Töne von Für Elise." Dieser Halbtonschritt e-dis-e-dis breite sich dann wie "eine Wolke über die Klaviaturen aus und verdunstet quasi ganz leise nach oben hin", so Nussbaumer.

Nach Parametern befragt, die bei seiner Musik immer wieder auftreten, will Nussbaumer von einem spezifischen Personalstil nicht sprechen, da "meine Arbeiten ja zum Teil extrem unterschiedliche Erscheinungsformen annehmen." Andererseits hätten "sehr viele Werke — ob das nun Installationen, Musiktheater oder eben Musikstücke wie hier sind – gemeinsam, dass sie sich meist mit vorhandener Musik oder Instrumenten befassen.

Bücher machen Musik

Die Stücke würden "sozusagen selbst aus Musik heraus generiert. Gelingt dies, entsteht daraus vielleicht – und hoffentlich – eine Situation, in der man auch die Ursprungsmusik neu hört, während mein Stück erklingt." Diese Hoffnung soll sich womöglich auch bei Der diskrete Klang der Beethovenforschung erfüllen, bei dem "die Tasten mit Beethovenbüchern angeschlagen werden". Natürlich mit 88 Büchern.

Nussbaumers Technik, sich von der Last der Musikgeschichte durch ihre Integration zu befreien, macht auch vor Skulpturen nicht halt. In zwei Stücken kommen – auf Tasten stehend – Beethoven-Büsten vor, "durch die er selbst quasi seine Musik verändert und den Pianisten anblickt". Eine Art posthumes Komponieren quasi. (Ljubiša Tošic, 10.1.2020)