Große Pläne in einem großen Ressort: Umweltministerin Leonore Gewessler will das 1-2-3-Ticket so schnell wie möglich umsetzen.

Foto: Matthias Cremer

Die Grünen-Politikerin Leonore Gewessler verantwortet mit dem "Superministerium" für Umwelt, Energie, Verkehr und Technologie eines der Kernstücke des türkis-grünen Regierungsprogramms. Sie will den öffentlichen Verkehr massiv ausbauen und im Klimaschutz Gas geben.

STANDARD: Bis zu fünf Milliarden Euro fließen jährlich in klimaschädliche Subventionen. Deren Abbau war eine zentrale grüne Wahlforderung. Wieso ist davon im Regierungsprogramm nichts zu lesen?

Gewessler: Im Finanzkapitel gibt es einen sehr klaren Auftrag für eine ökosoziale Steuerreform. Im ersten Schritt sind sechs Ökologisierungsmaßnahmen geplant – unter anderem Normverbrauchsabgabe oder Pendlerpauschale. Das soll Anfang 2021 passieren. Ab 2022 kommt in einem zweiten Schritt eine Bepreisung von Emissionen. Denn das hat ordentlich Umsteuerungsvolumen.

STANDARD: In Deutschland wird der Preis bis dahin bei bereits über 30 Euro je Tonne liegen. Braucht die Ausarbeitung wirklich zwei Jahre?

Gewessler: Es geht nicht nur um die Erarbeitung eines Konzepts, es ist ein Großprojekt. Wir werden uns ansehen, was die deutsche Lösung für Österreich bedeuten könnte. Ich glaube, die Zeit ist gut investiert.

Gewessler will die ökosoziale Steuerreform in zwei Schritten angehen.
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STANDARD: Als Chefin einer Umweltorganisation hätten Sie die Hinauszögerung wohl kritisiert, wie es Ihre ehemaligen Kollegen jetzt auch tun.

Gewessler: NGOs wünschen sich eine Umsetzung so rasch wie möglich, und ich wünsche mir das auch. Ich halte 2021 und 2022 für realistisch. Wir wollen uns gut anschauen, was für Österreich die sinnvollste Form der Umsetzung ist und welche Entlastungsmaßnahmen es parallel dazu geben wird.

STANDARD: Unklar bleibt: Wie sollen die Maßnahmen finanziert werden?

Gewessler: Wir wollen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so setzen, dass Klimainvestitionen gesichert sind. Viele Maßnahmen im Programm lösen wirtschaftliche Investitionen aus: Den Wechsel von Heizsystemen machen zum Beispiel heimische Betriebe – in Wahrheit ist das ein Konjunkturprogramm, von dem vor allem regionale Betriebe profitieren.

STANDARD: Gibt es einen getakteten Plan, wie viel an Treibhausgasemissionen in welchem Sektor durch welche Maßnahme eingespart werden soll?

Gewessler: Jede einzelne Maßnahme im Regierungsprogramm durchzurechnen ist sich in der Kürze nicht ausgegangen. Wir haben uns aber vorgenommen, den nationalen Energie- und Klimaplan nachzubessern. Er soll erst abgeschlossen werden, wenn Emissionsreduktionspfade auch durchgerechnet wurden.

STANDARD: Österreich soll bis 2040 klimaneutral werden. Experten meinen, dass sich das so nicht ausgehen wird. Kommt noch mehr?

Gewessler: Jetzt müssen wir einmal bei den konkreten Maßnahmen aus dem Programm ins Tun kommen. Aber ja, es ist ein ambitioniertes Ziel. Erneuerbaren-Ausbau und Energieeffizienz sind ja zum Beispiel große Stellschrauben, an denen wir drehen wollen.

Frischer Wind im Verkehrsministerium: Gewessler in ihrem Büro im "Superministerium" – mit Blick auf den Donaukanal.
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STANDARD: Das Standortentwicklungsgesetz mit keinem Wort erwähnt – obwohl deshalb bereits ein EU-Verfahren eingeleitet wurde. Warum nicht?

Gewessler: Das Verfahren läuft noch. Soweit ich weiß, gibt es auch eine Antwort der Bundesregierung. Wir werden sehen, was dann das Ergebnis des Verfahrens ist und dann die weitere Vorgehensweise festlegen.

STANDARD: Sie werden es also nicht vorher ändern?

Gewessler: Wir werden uns anschauen, was beim Verfahren rauskommt. Das hat ja auch Auswirkungen auf das Umweltverträglichkeitsprüfung-Gesetz im Allgemeinen. Auch hierzu hat die EU-Komission Kritik geäußert.

STANDARD: Am Verhandlungstisch saßen Vertreter aus Wirtschaft und Industrie. Bei ihnen sind keine Einschnitte geplant. Geht sich eine "Klimawende" dennoch aus?

Gewessler: Es werden alle Sektoren beitragen müssen – Verkehr und Infrastruktur genauso wie die Landwirtschaft, der Gebäudebereich und die Industrie. Gerade da braucht es klare Rahmenbedingen. Nur dann können unternehmerische Entscheidungen mit einer Sicherheit getroffen werden. Gerade für die energieintensive Industrie sind viele Projekte geplant. Fest steht natürlich: Die Stahlproduktion CO2-frei zu machen wird länger brauchen, als die Weichen bei Gebäuden und Mobilität zu stellen.

STANDARD: Wann ist das 1-2-3-Österreichticket für Sie ein Erfolg? Ab wie vielen Fahrgästen?

Gewessler: Das 1-2-3-Ticket ist ein Herzensprojekt von mir. Es ist ein sehr komplexes Thema mit sehr vielen Akteuren. Aber wir beginnen nicht bei null, Vorarlberg und Wien sind gute Beispiele. Und es gibt schon Vorarbeiten im Haus, die wir uns im Detail ansehen und auf die wir aufbauen können.

STANDARD: Die Nah- und Regionalverkehrsmilliarden sind reichlich unbestimmt im Koalitionspakt. Wofür sind sie genau, kommt dieses Geld jährlich, und wofür genau wird es verwendet?

Gewessler: Nein, das Geld fließt nicht jährlich. Ein Teil ist für die Ausweitung des Zugangebots, aber auch für Infrastruktur.

STANDARD: Die Arbeiterkammer veranschlagt für das 1-2-3-Ticket allein 170 Millionen Euro pro Jahr, weitere 400 als Teil der Nahverkehrsmilliarde. Deckt sich das mit Ihren Berechnungen?

Gewessler: Genauere Berechnungen hängen auch davon ab, wie die Umsetzung aussieht. Es ist aber klar, dass mit mehreren Hundert Millionen Euro zu rechnen sein wird.

STANDARD: Sie wollen die Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit der ÖBB in den Marktsegmenten erhöhen, Strukturkosten und Overheads abbauen. Das hören die Österreicher seit der Bahnreform vor 15 Jahren, aber die Overheads sind größer statt kleiner geworden. Was haben Sie da vor?

Gewessler: Das werde ich mir sehr genau anschauen, was sinnvolle und gute Strukturen und Maßnahmen sind.

Die Grüne schätzt, dass das Öffi-Jahresticket mehrere Hundert Millionen Euro kosten wird.
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STANDARD: Ein Kassasturz scheint geboten. Der ÖBB-Güterverkehr verliert laufend Marktanteile, ein Sanierungsprogramm ist in Arbeit, und der Personenverkehr hat nur minimale Markterlöse.

Gewessler: Die ÖBB ist ein ganz zentrales Rückgrat des öffentlichen Verkehrs, und das soll sie bleiben.

STANDARD: Es gibt einen Entwurf für das Erneuerbare-Ausbau-Gesetz, der in der Schublade der früheren Nachhaltigkeitsministerin verrottet. Kennen Sie den Text? Angeblich könnte er vom Nationalrat sofort beschlossen werden.

Gewessler: Ich kenne diesen Entwurf noch nicht. Aber ich gehe davon aus, dass wir auf Vorarbeiten aufbauen können. Der Ausbau der Erneuerbaren ist ja eines der zentralen Themen im Regierungsprogramm.

STANDARD: Ein Problem der Programme für thermische Sanierung war bisher, dass Förderungen rasch ausgeschöpft waren. Beim Breitbandausbau will man die Fristen verlängern, Förderungen sollen ganzjährig angeboten werden. Ist das bei der Erneuerbaren-Förderung vorstellbar?

Gewessler: Wir müssen auf jeden Fall weg von Stop-and-go. Eine Förderung darf nicht in fünf Minuten ausgeschöpft sein.

STANDARD: Der frühere Finanzminister Schelling hat den Finanzbedarf der Bundesbahn inklusive Haftungen und Annuitätenzuschüssen für den Bahnausbau auf jährlich rund fünf Milliarden Euro taxiert (ohne Pensionslasten). Sie wollen die Finanzierungen und Förderungen ausweiten. Gibt es dabei eine Obergrenze, eine Art Deckelung?

Gewessler: Nein, gibt es nicht. Aber Details sind in den Budgetverhandlungen zu klären.

STANDARD: Wie hoch sollte der CO2-Preis in Österreich in fünf Jahren sein?

Gewessler: Seriöserweise kann ich keine Zahl nennen. Klimaschutz hängt davon ab, wie gut die unterschiedlichen Sektoren ineinandergreifen. Der Umfang einer ökosozialen Steuerreform beeinflusst, wie schnell sich klimafreundliche Investitionen rechnen – wie rasch sich zum Beispiel der Ersatz eines Heizsystems amortisiert. Oder wie schnell die Dekarbonisierung im Straßenverkehr voranschreitet. All das wirkt sich auf die CO2-Bepreisung aus. Klar ist: Die ökosoziale Steuerreform kommt, und wir brauchen sie, um im Klimaschutz die Trendwende zu schaffen. (Nora Laufer, Luise Ungerboeck, 10.1.2020)