Der Begriff Vizekanzler kommt Werner Kogler noch ein wenig seltsam vor. Der Grünen-Chef sieht sich in seiner neuen Rolle als Verantwortungsträger.
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Tag drei in der Regierung, Grünen-Chef Werner Kogler hat sein Büro als Vizekanzler in einem hässlichen Amtsgebäude in der Radetzkystraße bezogen. Er hat auf das Palais am Minoritenplatz verzichtet. Kogler empfängt mehrere Journalisten zum Interview.

STANDARD: Warum sitzen wir in diesem hässlichen Büro und nicht am Minoritenplatz?

Kogler: Das war mir zu barock, außerdem bin ich lieber dort, wo die Mitarbeiter sind, wobei sich hier nur die Präsidial- und nebenan die Sportsektion befinden. Wir machen von hier aus auch die Regierungskoordination, unser wichtigstes Ressort ist gleich nebenan. Leonore Gewessler ist gleich über den Gang, der ist zwar lang, aber gangbar.

STANDARD: Sind Sie in Ihrer Rolle als Vizekanzler schon angekommen?

Kogler: Das kommt mir immer noch komisch vor, das ist nicht einmal kokett. Mir ist der Begriff Verantwortungsträger lieber als Amtsträger. Ich bin ja da, um etwas zu bewegen. Meine Aufgabe ist jetzt auch die des Regierungskoordinators, das ist eh schon wieder alles ein bissl viel. Die Grünen haben wegen ihrer Geschichte – sozusagen von der Straße in die Regierung – noch einiges wettzumachen. Das geht ganz gut, ist aber viel Arbeit. Die Koordinierungsfunktion ist für mich eine der Hauptrollen. Wir sind jetzt in der Regierung, das muss was werden.

STANDARD: Damit geht wohl auch ein Verlust von Lebensqualität einher.

Kogler: Ja, die ist schon länger verlorengegangen. Ich hab jetzt keinen genauen Zeitpunkt, wo sich das festmachen ließe. Das war ein fließender Übergang.

Seine wichtigste Aufgabe sei die des Koordinators. "Wir sind jetzt in der Regierung, das muss was werden."
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STANDARD: Offenbar haben Sie auch überlegt, selbst gar nicht in die Regierung zu gehen, stimmt das?

Kogler: Ja, das habe ich schon im Wahlkampf überlegt. Auch in der Sondierungsphase war das für mich noch offen. Das ist nicht unbedingt eine Frage der Lebensqualität, aber von meinem politischen Naturell her passe ich sehr gut in den Nationalrat. Ich hab den Klubobmann überlegt. Das könnt' ich gut. Aber jetzt ist eben diese Aufgabe die näherliegende und schlauere Variante.

STANDARD: Warum?

Kogler: Die Regierung und die Vizekanzlerei sind eben wichtiger. Eines ist ganz wichtig: dass ich meine Sprechfunktion weiter ausübe. Die Frage ist, wie kann ich mich genug freispielen, damit genug Zeit und Energie für diese Rolle bleibt. Ist ja auch nicht einfach. Ich bin Parteisprecher und spreche auch für die Regierung, da gibt's ja auch nicht immer Konsens. Wenn es heißt, wir haben das Beste aus beiden Welten – na ja, wir werden die Dinge nicht immer gleich kommentieren. Es gibt nur eine Welt. Und es gibt verschiedene Sichtweisen auf die Welt, entsprechend unterschiedlich können die Erklärweisen zum gleichen Sachverhalt sein.

STANDARD: Hat Sie Kurz überredet, in die Regierung zu kommen? Bei einem Bier vielleicht?

Kogler: Wir haben uns schon im Sommer getroffen, das war aber ein Mineralwassermoment. Da kam er schon klar und offen zur Sache für den unwahrscheinlichen Fall, dass ... Von dem haben wir profitiert, auch bei den Gesprächen nach der Wahl. Aber überreden musste er mich nicht.

STANDARD: Sie haben exakt das gleiche Ressort wie Heinz-Christian Strache ...

Kogler: Erstens stimmt das nicht, zweitens ist es mir egal, drittens hat es eine gewisse Logik. Der öffentliche Dienst ist wesentlich stärker ein Spiegelungsressort zum Finanzministerium, als vielen bewusst ist. Das ist auch der Grund, warum wir dort kein Staatssekretariat haben. Der öffentliche Dienst und das Finanzministerium sind voneinander abhängig. Das haben wir positiv aufgelöst. Du nimmst dir ja nicht vom ersten Tag an vor, dass wir uns wechselseitig blockieren. Aber es braucht immer beide.

Kogler: "Da braucht sich niemand Sorgen machen, dass wir um die Ecke crashen und in Österreich die Menschenrechte nicht mehr gelten."
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STANDARD: Wie ist Ihr Verhältnis zu Kurz? Kann man von Vertrauen sprechen?

Kogler: Es ist jedenfalls so tragfähig, dass wir unsere Unterschrift unter das Regierungsübereinkommen gesetzt haben. Das Vertrauen wächst mit dem Arbeiten. Mal setzt sich der mehr durch, dann der andere, das wird man eh sehen, wie das normale Regierungsleben ist. Insgesamt sollte es für den Großteil der Bevölkerung besser werden. Das Vertrauen hält so lange, solange man keine besonders negativen Erfahrungen gemacht hat.

STANDARD: Eine dieser negativen Erfahrungen könnte dieser Krisenmechanismus sein, der im Koalitionspakt festgeschrieben ist. Ist es tatsächlich denkbar, dass sich die ÖVP im Parlament eine andere Mehrheit sucht und etwas gegen die Grünen beschließt – und dann setzt man die Koalition fort, als wäre nichts geschehen?

Kogler: Wir gehen davon aus, dass das nicht passieren wird. Aber was gern übersehen wird, und das muss man nur richtig lesen: Zur Feststellung dessen, was eine Krise ist, braucht es zwei. Dann erst wird dieser Mechanismus in Kraft gesetzt. Richtig ist, dass das asymmetrisch ist. Würden wir dieses Instrument ziehen, könnte ja auch sein, dann haben wir natürlich weniger Chancen auf eine passable Mehrheit als die ÖVP. Diese Schräglage bleibt.

STANDARD: War die Sicherungshaft, die sich im Regierungsübereinkommen findet und mit der niemand bei den Grünen glücklich ist, nicht wegzuverhandeln?

Kogler: "Nicht wegzuverhandeln" ist ein zutreffender Begriff. Aber da sind vier, fünf Bedingungen drinnen, dazu kommt die Verfassungskonformität. Darum wird es gehen. Wir lesen das so, dass man das im Rahmen der bestehenden Verfassung herzuleiten hätte. Die wirkliche Rechtsschutzversicherung in dieser Frage ist, dass die Grünen das Justizressort besetzen und dass Alma Zadićdort Ministerin ist. Also würde ich sagen: Alle wieder einmal runterkommen, dann schauen wir einmal. Da braucht sich niemand Sorgen machen, dass wir um die Ecke crashen und in Österreich die Menschenrechte nicht mehr gelten.

STANDARD: Zu den Angriffen auf Alma Zadić meint der Bundeskanzler, das müsse man als Politiker aushalten, er sei auch mit Adolf Hitler verglichen worden. Wünschen Sie sich mehr Zusammenhalt in der Regierung?

Kogler: Die Betroffenheit von Frauen ist wesentlich stärker als die von Männern. Wir haben schon ausreichende Signale von Solidarität wahrgenommen, auch von anderen Parteien. Der Kollege Kurz hat mit Fortdauer seines Statements auf seine eigene Betroffenheit verwiesen. Die ist sicher immer wieder gegeben. Ob der Querverweis so schnell hätte sein müssen, das kann man hinterfragen.

STANDARD: Kurz hat gesagt, das muss man als Politiker aushalten.

Kogler: Ich finde, es ist dann leichter, wenn es über alle Parteigrenzen hinweg eine Solidarität gibt. Die nehme ich aber ausreichend wahr. Diese Angriffe sind so nicht hinnehmbar, das ist klar. Wir werden weitere Schritte gegen Hass im Netz setzen. Das ist ein Anliegen.

STANDARD: Besteht gesetzlich ein Handlungsbedarf?

Kogler: Es wird ein Maßnahmenpaket geben, aber die harte gesetzliche Maßnahme, eine Klarnamenpflicht oder – wie es in der ÖVP-Diktion heißt – ein digitales Vermummungsverbot, das findet sich nicht im Regierungsprogramm, das wird es nicht geben. (Michael Völker, 9.1.2020)