Sansibar, ein Fischerboot am Horizont, darüber eine Quellwolke, Sandstrand, hellblauer Himmel. In dieser Kulisse taucht Viktoria Ecker ihre Hände ins Meer, macht einen Handstand, die Sonne scheint, sie trägt Bikini. So sieht das Foto aus.

Wien, kein Fischerboot, keine Quellwolke, kein Sand, nur hellblauer Himmel – immerhin. In dieser Kulisse macht Viktoria Ecker erneut einen Handstand, die Hände patschen auf den Holzboden, sie trägt eine lange Hose, draußen hat es ein paar Grad über null. Mehr als drei Dutzend Menschen schauen ihr zu. So sieht das Making-of aus.

Ihre Zuschauer wünschen sich, den Handstand zu können, ein paar träumen vermutlich heimlich von solchen Instagram-Sternstunden auf Sansibar. Dafür sind sie zum "Handstandkurs für Anfänger" ins luxuriöse Studio von Doktor Yoga in der Kirchengasse im siebenten Bezirk gekommen. Geleitet wird der Kurs von Viktoria Ecker (34), unterstützt wird sie von Richard Bancej (37). Er sieht aus wie der schüchterne Sohn von Arnold Schwarzenegger, der sich gegen den Kraftsport und für ein Studium entschieden hat. Ecker trägt ein Top, dessen Schrift man nur lesen kann, wenn sie im Handstand steht. Sie kann in einer Geschwindigkeit in den Kranich wechseln, also ihre Knie hinter die Ohrwascheln klemmen, wie andere "Kranich" sagen. Mit im Kurs: eine absolut ahnungslose Autorin, die keinerlei Expertise vorzuweisen hat, außer dass sie sich vor 25 Jahren bei einem Handstandversuch den kleinen Zeh gebrochen hat.

Mys (li.) Workshop-Ziel: den Handstand lernen. Michael (re.) will einfach etwas mit seinen Muskeln anfangen.
Foto: Heribert Corn/www.corn.at

Wer heute keinen Handstand kann, ist out. Während man früher solcherlei akrobatische Exklusivitäten Voltigiermeistern, Zirkusartisten und Capoeiratänzern überließ, muss heute praktisch jeder in der Lage sein, den Weg vom Schreibtisch zum Drucker im Handstandlauf zurückzulegen. Es gibt keinen Sportartikelhersteller mehr, der seine eng anliegenden Waren nicht mit einem Hand-, Kopf- oder Unterarmstand bewirbt, ja, auf dem Hinweg habe ich noch am Westbahnhof eine Werbung für ein Plasmazentrum erspäht, das mit einer Frau im Unterarmbananenhandstand wirbt. Die subtile Botschaft: Wer keinen Handstand kann, ist definitiv nicht fit genug und kann sein Plasma getrost behalten. Zu Jahresbeginn torpedieren Terror-Kalendersprüche à la "Der Sommerbody wird im Winter gemacht" den Hype, was Menschen, die einen Ganzjahresbody haben, zwar zutiefst verwirrt, aber dann doch zur Einsicht bringt.

Die "Kein-Geld-zurück-Garantie"

So sitzen wir am 6. Jänner auf dem Turnhallenboden, so leise, dass man Knöchel knacken hört. Ecker fragt: Wieso wollt ihr den Handstand lernen? "Ich möchte Kraft aufbauen. Beim Yoga ist der Weg das Ziel." Brav. "Ich bin Lehrerin und wollte mit den Schülern einen Handstand machen, habe dann aber gemerkt, dass ich ihn gar nicht kann." Mitfühlendes Gelächter. Kein einziger Influencer in spe zeigt auf, niemand gibt zu, dass er nur auf Likes heiß ist. Allein auf Instagram findet man 6,2 Millionen Fotos und Videos unter dem Hashtag #Handstand, die Pose ist das Angebermotiv auf Social Media.

Wer sind dann die Teilnehmer, die für den Kurs ihren Feiertag opfern? Kurz gesagt: fünf Männer und 30 mittelgroße Frauen in ihren Zwanzigern, die zwischen 55 und 65 Kilogramm wiegen. Dazu eine Frau um die sechzig, eine Yogalehrerin und ein Handstandveteran, der den Kurs zum dritten Mal absolviert. Allen Teilnehmern spricht Ecker gleich zu Beginn die "Kein-Geld-zurück-Garantie" aus, man kriegt seine 40 Euro also nicht wieder, wenn man den Handstand in den 150 Minuten nicht lernt. Als sich auf die Frage "Wer hat noch nie oder vor langem den Handstand geübt?" ein paar melden, entfährt ihr: "Da bin ich jetzt schon erstaunt, dass ihr hier seid." Na dann.

Aufwärmen. Ecker sagt fast rappend: "Mountain-Pose, heb die Arme, mach dich groß, ausatmen, vorbeugen, runter zu den Füßen", auch das Wort "Kaktusarme" fällt. Auf der Matte neben mir: Michael, beachtlicher Bizeps, sein erfolgreichstes Bild auf Instagram bekam 7400 Likes, er posiert am liebsten oberkörperfrei. Er bleibt zwischendrin ratlos im Vierfüßlerstand, von vorn kreuzt uns ein verzweifelter Blick einer "Just do it"-Leggins. Wir sind offenbar die Einzigen, die den Ablauf nicht kennen. Schweiß sickert ins Leiberl, tropft auf Matten. Michael will "nicht nur sinnlos Muskeln aufbauen", sondern auch etwas mit ihnen anfangen. Wir sollen jetzt das machen, was früher mal "Schubkarre" hieß.

Erste Erkenntnis: Einen Handstandkurs für Anfänger gibt es nicht.
Foto: Heribert Corn / www.corn.at

Derjenige, der die Füße hält, soll einen Fuß loslassen, der andere muss die Balance halten. Man kann wirklich nicht sagen, dass ich es gut mache. Ich habe aber auch noch nie eine Schubkarre gesehen, die nicht umkippt, wenn man sie nur an einem Griff festhält. Michael brilliert. Ich verlagere mich aufs Beobachten und Ausschnaufen.

In der Ankündigung stand: "Schritt für Schritt lernst du, welche Übungen dich auf dem Weg zum Handstand zum Ziel bringen." Was nicht darin stand: "Du wirst mit 40 fitten Menschen strampeln, die alle eine gute Minute planken können, und für wen das schwierig ist, wird der Kurs nach 60 Minuten zum Theoriekurs." Erste Erkenntnis: Einen "Handstandkurs für Anfänger" gibt es natürlich nicht. Das wäre wie ein "Neun-Gänge-Kochkurs für Menschen, die keine Nudeln kochen können". Spaß kann das natürlich trotzdem machen.

Aus der Schubkarre soll man nun den Po nach oben schieben, erst eines, dann das zweite Bein aus den Händen lösen. Die Schultern sind zur Sicherheit bei einer weiteren Person zwischen den Knien eingeklemmt, damit man nicht auf den Boden donnert. Marie und Sophie helfen Michael, Marie greift Michaels Füße an den weißen Socken und sackt etwas nach hinten, immerhin hält sie jetzt einen halben Mann. Sophie kriegt Michaels Bein gegen die Schulter und gerät ins Wanken, Marie zieht ein Ohgott-Gesicht, Sophie sagt: "Hüfte nach vorn." Michael stammelt: "Wenn man verkehrt herum steht, weiß man gar nicht, was ‚nach vorn‘ bedeutet." Als Marie einen solchen Handstand versucht, entspinnt sich ein Pressdialog wie beim Möbelschleppen von hinter den Schneidezähnen: "Arsch!" … "Raus!" … "Ja." … Maries Oberarme schlackern … "Runter!". Das Geheimnis im Handstand wie auch im Leben scheint zu sein, dass man die Arschbacken zusammenkneift. Die ersten Handstände klappen, die Lehrer nehmen sich Zeit für jeden, die Übungen bauen super aufeinander auf.

So sollte es irgendwann aussehen ...

Auf Spanisch heißt der Handstand "el pino", die Kiefer, auf Französisch "le poirier", der Birnbaum, und auf Sanskrit "Adho Mukha Vrksasana", nach unten schauender Baum. Viele Kulturen hat der Handstand an einen Baum erinnert, was einen Hinweis auf das Alter der Pose gibt. Etliche Sportarten kennen den Handstand, Yoga hat ihn nur wieder schick gemacht.

Es ist noch weit bis Sansibar

Was sagt es über unsere Zeit aus, wenn man als besserer Mensch gilt, sobald man die Welt auf dem Kopf betrachten kann? Anders als eine Kniebeuge, die einem hilft, den Bierkasten hochzuheben, nutzt der Handstand rein gar nichts im Alltag – er ist tollkühn. Umso erstaunlicher, dass in einer effizienzbeseelten Gesellschaft so viele etwas so Unnützes lernen wollen. Teilnehmerin My Hanh (33) formuliert es so: "Du lernst dich einfach von einer ganz neuen Seite kennen, dein Selbstvertrauen wächst."

Michael tut sich mit ihr zusammen, um den Handstand gegen die Wand zu üben. My kommt so oft ins Studio, dass sie ihre Matte hier deponiert, fast täglich, manchmal schon um 7.30 Uhr. Für 2019 hat sie sich vorgenommen, den freistehenden Handstand zu lernen. Sie ist nun also schon sechs Tage im Verzug, und My wirkt nicht wie eine Frau, die es locker nimmt, wenn sie ihre Ziele nicht fristgerecht erreicht. Sie übt und übt, auch das Liebespaar nebenan, Simon und Ines, trainiert so intensiv, dass sich schon die feuchten Handabdrücke auf der Matte abzeichnen, in der Mitte des Saals haben zwei Latinas aufgegeben und ratschen darüber, wie schwierig es ist, zu Hause zu üben.

Anfangs hatte Ecker erzählt, dass achtzig Prozent in Eckers Instagram-Story die Frage "Wer möchte auch einen Handstand können?" bejahten. Wer sei bereit, drei Mal oder öfter dafür zu trainieren? Zwanzig Prozent. Kein Wunder, dass My am Ende die Einzige ist, die den freistehenden Handstand schafft. Nur selbst sie ist vom Strandhandstand noch weit entfernt: "Dort ist es noch viel schwieriger, ihn zu halten – ohne stabilen Untergrund", sagt sie. Am Ende hat Veteran Alex in seinem dritten Kurs gelernt, dass man "die Fingerknöchel mehr in den Boden" hauen muss, zwei Frauen machen einen Handstand gegen die Wand und lassen sich knipsen. My geht zum Duschen, Michael nicht. Er fährt direkt ins Fitnessstudio, um weiterzutrainieren.

Sansibar ist 6.450 Kilometer und noch sehr viele Trainingsstunden von Wien entfernt. (Nora Reinhardt, 11.1.2020)