"Als ich nach Frankfurt kam, war ich erstaunt und entsetzt über die politische Uninteressiertheit meiner Kollegen." Margarete Schütte-Lihotzky am Frankfurter Hochbauamt 1928.

Foto: Nachlass Margarete Schütte-Lihotzky, Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlung und Archiv/Luzi Lahtinen-Stransky

Auch Robert Rotifer musste es zugeben: Die charmante Song-Hommage The Frankfurt Kitchen, die der Sänger 2008 der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky widmete, endet mit ihrem Zitat, sie hätte diese "damned kitchen" nie gebaut, wenn sie gewusst hätte, dass man sie auf ewig nur damit identifizieren würde. "Ich hatte mit Küche und Kochen nichts am Hut", beantwortete sie die immer wieder gestellte Frage. "Aber die Männer um mich herum haben mich halt zu dieser Aufgabe gedrängt." Dabei war die kompakte Küche, während ihrer Zeit in Frankfurt entwickelt, nur ein kleiner Aspekt ihres Schaffens.

Wichtige Rolle in der Wiener Siedlerbewegung

Neue Perspektiven auf Leben und Werk heißt ein aktueller Sammelband, der sich mit den anderen Aspekten auseinandersetzt. Zum Beispiel ihrer wichtigen Rolle in der Wiener Siedlerbewegung, für die sie 1923 ihr sogenanntes "Kernhaus" entwarf, dessen Kombination von Wohnlichkeit und Funktionalität auf kleinstem Raum schon von Zeitgenossen erkannt und hochgelobt wurde. 93 Jahre später bekam der Chilene Alejandro Aravena für seine "Halben Häuser", eine Variation von Schütte-Lihotzkys Kernhaus zum Selbst-Ausbauen, den Pritzkerpreis verliehen. Ihre auch wirtschaftlich und konstruktiv durchdachten Ideen fürs Wohnen für das Existenzminimum präsentierte Schütte-Lihotzky auch 1927 auf der Werkbundausstellung und 1929 auf der CIAM-Ausstellung.

Zu dieser Zeit hatte sie das für weibliche Architektenkarrieren wenig aufgeschlossene Wien schon Richtung Frankfurt verlassen, damals unter Ernst May die Speerspitze der Innovation im Wohn- und Siedlungsbau. Hier entwickelte sie insbesondere Typen für Schulen und Kindergärten mit viel Licht und effektiven Grundrissen ohne lange Korridore. Heute werden solche "Cluster-Klassenzimmer" wiederentdeckt und als Innovation gefeiert. Und, ja natürlich, sie plante in Frankfurt auch ihre Küche, war aber damals schon genervt davon, als femininer PR-Mehrwert ("Eine Küche, die von Frauen für Frauen entworfen wurde!") instrumentalisiert zu werden.

Marcel Bois, Bernadette Reinhold, "Margarete Schütte-Lihotzky: Architektur, Politik, Geschlecht. Neue Perspektiven auf Leben und Werk". € 39,95 / 284 Seiten. Edition Angewandte, Birkhäuser.
Foto: Birkhäuser
Mona Horncastle, "Margarete Schütte-Lihotzky: Architektin, Widerstandskämpferin, Aktivistin. Die Biografie". € 28,- / 288 Seiten. Molden. Buchpräsentation: 29.01., Thalia, Mariahilfer Straße 99, 1060 Wien.
Foto: Molden
Margarete Schütte-Lihotzky, "Warum ich Architektin wurde". Herausgegeben von Karin Zogmayer. Neu editierte Ausgabe. € 24,- / 232 Seiten. Residenz-Verlag.
Foto: Residenz-Verlag

Verfeinerung der Schulkonzepte

Stattdessen arbeitet sie daran, ihre Schulkonzepte zu verfeinern. In großem Maßstab während ihres Aufenthalts in der Sowjetunion, danach Dorfschulen für die Türkei während ihres Aufenthalts in Istanbul. Hier ging es nicht um das geniale Einzelstück, sondern um ein humanes, zeitgemäßes System, das sich vervielfältigen ließ.

Der Kindergarten, den sie 1952 in Wien bauen durfte, war so etwas wie die abgespeckte Version ihres Konzepts, umfasste aber pädagogisch Innovatives wie Rückzugsnischen in den Gruppenräumen. Ihre Planungen für Kindergärten und Schulen in der DDR standen kurz vor der Umsetzung, doch dann wechselten die politischen Programme, und jüngere Architektengenerationen übernahmen das Ruder. Sie, deren Ideen oft zu früh für die Welt waren, spürte hier, dass sie zu spät war. Doch ihre Ideen leben weiter. (Maik Novotny, 16.1.2019)


Schockierende Exaktheit

Von Mai 1941 bis Oktober 1942 war Margarete Schütte-Lihotzky im Bezirksgefängnis Schiffamtsgasse in Wien-Leopoldstadt inhaftiert, einige Monate davon in Einzelhaft. 1980, knapp 40 Jahre später, hat die damals 83-Jährige aus dem Gedächtnis eine "Situationsskizze" zu Papier gebracht. Darin sind nicht nur die Namen ihrer kommunistischen Haftkolleginnen Wera, Plonerl und Tante Konopitzki ersichtlich, sondern auch Längenmaße, Trakttiefen und Wandstärken, die je nach Bauteil 15, 25 oder 45 Zentimeter betragen. Die Exaktheit des Grundrisses mit Maßlinien und Hinweis auf die zum Teil in Haft verstorbenen oder hingerichteten Menschen ist schockierend.

"Doch genau das", sagt die deutsche Kunsthistorikerin Mona Horncastle, "war ihre Überlebensstrategie. Während viele der in ihrem Umkreis Inhaftierten monate- und jahrelang massive Todesängste ausgestanden haben, ist Schütte-Lihotzky mit ihrem Schicksal pragmatisch umgegangen, hat ihren Kolleginnen geholfen und hat die Situation rundherum intellektuell sowie mit Briefen an ihren Mann Wilhelm Schütte und ihre Schwester Adele Lihotzky verarbeitet.

Das hat ihr wohl den psychischen und physischen Zusammenbruch vom Leib gehalten." Genau diese Skizzen, Darstellungen und Briefe an ihre Liebsten in Wien und Istanbul konnten aus diversen Archiven geborgen werden und sind erstmals gesammelt zu lesen. "Margarete Schütte-Lihotzky gilt als eine jener Personen, über die schon viel geschrieben wurde", meint Horncastle. "Tatsächlich ist ihre Biografie bislang recht lückenhaft." Allein über die Chiffren in ihren Briefen, über die in vercodierten "Katzerlgeschichten" und Architekturbeschreibungen versteckten Botschaften gelte es noch einiges zu forschen.

Immer politisch aktiv

"Hast Du noch das Katzerl?", schreibt Schütte-Lihotzky in einem Brief. "Vater ist sicher Kater Sim von nebenan, der schöne graue, der einzige, der damals im Garten heil davonkam. Das nächste Mal mehr." Wie es scheint, hat die polyglotte Schütte-Lihotzky, die in ihrem Leben Wohnbauten, Schulen und Kindergärten in Wien, Frankfurt, Moskau, Sofia, Istanbul, Peking und Havanna geplant hat, nie aufgehört, politisch aktiv zu sein: Als Architektin hat sie sich für Kinder und Frauen eingesetzt, als Widerstandskämpferin hat sie gegen das NS-Regime opponiert und ihr Leben riskiert, als politische Aktivistin hat sie sich im Nachkriegseuropa für soziale Gerechtigkeit starkgemacht. Gebrochen hat sie nicht der Krieg, sondern zynischerweise das Wien der Nachkriegszeit, in dem sie als Persona non grata ignoriert wurde und nie wieder einen bedeutenden öffentlichen Auftrag bekam. Ein Buch in frischem Pink, mit Leichtigkeit geschrieben, schwer verdauliche Kost. (Wojciech Czaja, 16.01.2020)