Hunger nach Burger ist ab und zu schon drinnen. Wer nicht auf seinen Körper hört, riskiert einen "Verzichthunger".

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Diäten haben eines gemein: den Verzicht. Kein Zucker, wenig Kohlenhydrate oder Fett. Die meisten Menschen nehmen damit zuerst ab und dann wieder zu. Der Körper wird quasi zum Jo-Jo. Studien zufolge haben über 90 Prozent der Schlankheitskuren langfristig keinen positiven Effekt. Dieses Ergebnis überrascht die Wiener Ernährungspsychologin Cornelia Fiechtl nicht. "Durch Diäten findet Essen primär im Kopf statt", sagt sie und verweist auf die vielen Regeln, die wir über den Genuss stellen. Nur alle fünf Stunden essen, No Carb, Low Fat, Zucker ist böse, Weizen auch.

Die Folgen lassen sich auch in Zahlen fassen. Der Bauch ist für 75 Prozent der Österreicher die Problemzone Nummer eins, rund 60 Prozent sind mit ihrem Gewicht unzufrieden. Dabei könnte der Weg zum Wohlfühlgewicht ganz simpel sein. Der Mensch kommt mit einer sogenannten somatischen Intelligenz auf die Welt. Ein Säugling schreit, wenn er Hunger hat, und hört zu trinken auf, wenn er satt ist. "Dieses intuitive Essen ist angeboren, doch wir haben verlernt, auf unseren Körper zu hören", sagt Fiechtl.

Gegen den "Verzichthunger"

Das Problem beginnt meist bereits in der frühen Kindheit. Besonders schwer fällt es vielen Eltern, sich von der Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel zu verabschieden. Mit Regeln wie "Du musst mehr Obst und Gemüse essen" oder "Ohne Brot gibt es keinen Schinken" wird dem Nachwuchs der vermeintlich ideale Ernährungsplan vermittelt. "Damit trainieren wir dem Kind die somatische Intelligenz ab. Dogmen haben in der Ernährung nichts verloren", betont Fiechtl.

Wachsen Kinder in einem familiären Umfeld auf, in denen ihnen eine breite Palette an Lebensmitteln angeboten wird, greifen sie zu jenen, die ihr Körper für die Entwicklung braucht. Je abwechslungsreicher das Angebot, desto vielfältiger werden die Geschmacksknospen ausgeprägt.

Wer einzelne Lebensmittel verbietet, erreicht genau das Gegenteil. "Mit dem Verbot beispielsweise von Schokolade werte ich sie auf, es entsteht ein besonderes Verlangen nach der Süßigkeit", sagt die Ernährungspsychologin. Das Gleiche gilt für den Verzicht auf Kohlenhydrate oder Fett. Wer Appetit auf einen Burger hat, aber stattdessen zum Salat greift, provoziert Heißhungerattacken, die durch den sogenannten "Verzichthunger" getriggert werden. Mit dem Konzept des intuitiven Essens will nun die Ernährungswissenschaft den Menschen wieder ihr evolutionäres Erbe zurückgeben. "Wir sollten wieder unserem Grundgefühl vertrauen, mehr auf den eigenen Körper hören und lernen zu reflektieren, was uns schmeckt und was uns guttut", sagt etwa Margareta Büning-Fesel, Leiterin des deutschen Bundeszentrums für Ernährung (BZfE).

Gusto beherrschen

Doch wie gelingt es, sich vom schlechten Gewissen zu verabschieden, wenn die Lust auf Pizza und Lasagne wieder einmal groß ist? Zunächst sollte das eigene Essverhalten analysiert werden. Esse ich aus Gewohnheit immer zur gleichen Zeit, auch wenn ich keinen Appetit habe? Bin ich beim Essen durch E-Mails oder Handy abgelenkt? Esse ich zu schnell? Wird das Verlangen nach Zucker und Kohlenhydraten größer, wenn ich unter Stress stehe? Und die wichtigste Frage: Bin ich wirklich hungrig? "Dieses Gefühl wahrzunehmen ist gar nicht so einfach, da wir häufig nicht mehr wissen, wie sich echter Hunger anfühlt und sich von Gusto oder Gewohnheitsessen unterscheidet", sagt Fiechtl.

Danach geht es an die Änderungen der Gewohnheiten. "Sich bewusst Zeit nehmen, langsam und konzentriert essen, dabei immer wieder auf Körpersignale achten und wahrnehmen, ob man schon satt ist", erklärt Rebekka Schnepper, Psychologin an der Universität Salzburg. Gegessen werden darf alles, Speisen werden nach geschmacklichen Vorlieben ausgewählt. Zwei bis drei Monate dauert es durchschnittlich, bis die Intuition zur neuen Normalität geworden ist.

Nicht automatisch abnehmen

Die gute Nachricht: Die somatische Intelligenz kann das Abnehmen erleichtern. Diesen Schluss legt zumindest eine im August 2019 veröffentlichte Metaanalyse von zehn Studien nahe. Demnach reduziert intuitives Essen das Gewicht vergleichbar mit einer konventionellen Diät. "Es sollten aber keine falschen Hoffnungen geweckt werden", betont der deutsche Ernährungswissenschafter Uwe Knop. Es kann also sein, dass man abnimmt, möglich ist aber auch eine leichte Gewichtszunahme. "Es geht darum, durch Vertrauen in die eigenen Körpergefühle Hunger, Lust, Genuss, Sättigung und Verträglichkeit sein persönliches Wohlfühlgewicht zu erreichen", resümiert der Ernährungswissenschafter. So einfach kann Essen sein. (Günther Brandstetter, 11.1.2020)