Auch bei den Protesten in Hongkong wurde gegen sexuelle Belästigung von Frauen demonstriert. Eine Aktivistin wurde von der Führung in Peking festgenommen.

Foto: APA/AFP/LILLIAN SUWANRUMPHA

#Woyeshi heißt #MeToo auf Chinesisch. Im chinesischen Internet sind beide Hashtags verboten – und das, obwohl im Jahr 2018 sexuelle Belästigung eines der am meisten diskutierten Themen im Netz war. Zumindest geht das aus dem Forschungsprojekt "Wechat Scope" der Universität Hongkong hervor, das zensierte Inhalte auf dem Festland dokumentiert.

Die Regierung in Peking fürchtet jede Art von Massenbewegung und unterbindet deswegen auch politisch eher harmlose, aber gesellschaftlich immens wichtige Debatten wie die über sexuelle Belästigung. Zivilgesellschaftliches Engagement ist nicht vorgesehen, dieses könnte die Autorität der kommunistischen Partei untergraben. Veränderungen dürfen nur kontrolliert von oben geschehen – so lautet die Linie der chinesischen Führung.

Beschuldigte klagen

Wollen Frauen in China gegen sexuelle Belästigung klagen, laufen sie zudem oft Gefahr, selbst angeklagt zu werden. Von 34 Anklagen wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz wurden zwischen den Jahren 2010 und 2017 19 Klagen vom Beschuldigten selbst eingereicht, erhob das Beijing Yuanzhong Gender Development Center, eine Anwalts-NGO. Mutmaßliche Täter würden daraus eine Anklage wegen Rufmords machen.

Für Aufsehen sorgte der Fall von Richard Liu, Gründer von JD.com, einer der größten chinesischen E-Commerce-Plattformen. Zwei chinesische Blogger werfen Liu vor, nach einem Abendessen im amerikanischen Minneapolis im vergangenen Jahr eine Studentin vergewaltigt zu haben. Liu fordert nun im Gegenzug von den Bloggern 436.000 US-Dollar wegen Rufschädigung.

Keine Definition

Trotzdem hat #MeToo einiges in China verändert. Zahlreiche Frauen haben ihre Arbeitgeber und Chefs verklagt, und die Regierung hat ein neues Gesetz angekündigt. Denn es gibt noch keines auf nationaler Ebene, das sexuelle Belästigung definiert. Ein Entwurf soll heuer in Kraft treten.

Der erste #MeToo-Fall in China war der eines Professors an der Beihang-Universität. Eine Frau beschuldigte ihren ehemaligen Lehrenden der sexuellen Belästigung. Chen Xiaowu bestritt die Vorwürfe, musste aber sein Amt niederlegen.

Einer der bekanntesten Fälle ist der des buddhistischen Mönches Shi Xuecheng. Der Abt des Pekinger Longquan-Tempels musste im August 2018 zurücktreten, weil er mehrere Nonnen sexuell belästigt hatte. Der Fall des damals 51-Jährigen sorgte für großes Aufsehen, da er über enge Verbindungen zur kommunistischen Partei verfügt. Vor kurzem wurde erstmals ein Mann wegen sexueller Belästigung in der U-Bahn zur Rechenschaft gezogen. In Chengdu verurteilte ein Gericht einen Arbeitgeber dazu, sich öffentlich bei einer Mitarbeiterin für seine sexuellen Avancen zu entschuldigen.

Festnahme von Aktivistin

Wie gefährlich aber das Engagement von Frauenrechtlerinnen in China sein kann, zeigt der Fall von Huang Xueqin. Die 30-Jährige wurde im Oktober in Guangzhou festgenommen, nachdem sie sich solidarisch mit den Demonstranten in Hongkong gezeigt hatte. Der Vorwurf lautete: Erregung öffentlichen Ärgernisses und Provozieren von Unruhe. Unter demselben Vorwand geht das Regime in Peking regelmäßig auch gegen Journalisten, Menschenrechtler und andere Aktivisten vor. Huang hatte 2017 eine Onlineumfrage gestartet, auf die sich 2000 chinesische Journalistinnen meldeten. 60 Prozent von ihnen gaben an, Opfer sexueller Belästigung gewesen zu sein, aber aus Angst vor Konsequenzen geschwiegen zu haben.

In dieser Hinsicht unterscheidet sich die chinesische Gesellschaft nicht von westlichen. Wohl aber im Umgang mit der Problematik: Wer auf eigene Faust versucht, gesellschaftliche Missstände anzusprechen, begibt sich in China stets in gefährliches Fahrwasser. (Philipp Mattheis aus Peking, 12.1.2020)