Vor rund 150 Jahren waren die Brüder Schlagintweit berühmt. Massen strömten zu ihren Vorträgen, sie erhielten Orden und Medaillen, wurden Ehrenmitglieder von Akademien, Zeitungen in Europa und den Vereinigten Staaten berichteten über die Reisen der aus München stammenden Forscher zu den Bergriesen Indiens, Jules Verne erwähnte sie in fünf seiner Abenteuerromane.

Der Sachbuchautor Rudi Palla widmet sich gern dem Unbekannten.
Foto: Heribert Corn

Doch nach wenigen Jahrzehnten war der Ruhm von Hermann, Adolph und Robert Schlagintweit verblasst, heute kennt kaum jemand ihre Namen. Wie das kam, hat Rudi Palla rekonstruiert und zu der dreifachen, dennoch kompakten Biografie In Schnee und Eis verarbeitet. Sie beginnt mit den Erfolgen der beiden Älteren, Hermann und Adolph, als Alpinisten und promovierte Geografen bzw. Geologen, die nebenbei auch noch Sprachen, Zeichnen und Aquarellieren lernten. Durch ihre naturwissenschaftlichen Abhandlungen über die Bergwelt verschafften sie sich ein Entrée zum "greisen Welterklärer" Alexander von Humboldt, der sie an die wissenschaftlichen Elite Englands weiterempfiehlt.

Ohne Rücksicht auf Verluste

Palla beschreibt diesen beruflichen Aufstieg der Brüder, und er bemerkt auch die obsessive Genauigkeit, mit der sie ihre Beobachtungen emotionslos niederschrieben: "Das anschauliche Erzählen war gewiss nicht ihre Stärke." Damit legt er eine Fährte zu ihren späteren Problemen. Zunächst aber stand den ehrgeizigen Plänen der Schlagintweits – Robert war dazugestoßen –, die Bergwelt Nordindiens zu erkunden, nichts entgegen. Die Royal Society empfahl sie, der Preußenkönig und die East India Company sicherten Unterstützung zu. 1854 begann ihre Tour de Force durch den Subkontinent, bis zu Pässen in mehr als 5000 Meter Höhe.

Rudi Palla
In Schnee und Eis

Galiani-Verlag, Berlin 2019
192 Seiten, 20,60 Euro

Wie die Reisenden ohne Rücksicht auf Verluste ihre Karawane immer weitertrieben, wie sie das noch und jenes noch vermessen und kategorisieren wollten, ist beklemmend zu lesen. Adolph bezahlte seine Tollkühnheit, in einen von Warlords beherrschten Teil Turkestans einzudringen, mit dem Leben. Nach fast drei Jahren waren die überlebenden Brüder wieder in Europa, um viel angehäuftes Wissen reicher.

Doch die englischen Auftraggeber waren von der Faktenhuberei der Deutschen enttäuscht, und man warf den Brüdern vor, sich mit fremden Federn zu schmücken – was, wie der Autor nachweist, zum Teil stimmt. Offenbar trug auch eine gewisse Selbstsucht der Brüder dazu bei, dass man ihnen nicht sehr lange mit Hochachtung begegnete.

Rudi Palla bettet die Himalaja-Expedition mehrfach ein: in eine Geschichte des Alpinismus, in koloniale Interessenkonflikte, in Vergleiche zwischen angelsächsischen und kontinentaleuropäischen Vorstellungen von wissenschaftlichem Publizieren (die sich bis heute nachverfolgen lassen).

Er ist, wie auch andere seiner Bücher zeigen, für die Sachbuchliteratur ungefähr das, was innerhalb der Ö1-Kultur die Radiosendung Leporello darstellt: Auch deren Gestaltern geht es nicht um angesagte Themen – Opernpremiere, Auktionsweltrekord, der neue Handke –, vielmehr widmen sie sich Unbekannterem, dafür umso Spannenderem. Deutsche im Himalaja, das hat was von Karl May; aber hier ist es Non-Fiction, und viel besser geschrieben. (Michael Freund, 10.1.2020)