Klimaschutz- und Umweltministerin Leonore Gewessler warten große Herausforderungen.

Foto: Matthias Cremer

Das türkis-grüne Regierungsabkommen erinnert ein wenig an die These des Philosophen Isaiah Berlin vom Fuchs und dem Igel: "Der Fuchs weiß viele Dinge, der Igel weiß ein großes Ding." Die ÖVP hat sich bei den meisten umstrittenen Themen durchgesetzt, von denen manche tatsächlich bedeutend sind und andere eher symbolischen Charakter haben. Die Grünen können nur einen wirklichen Verhandlungserfolg vorweisen: das deklarierte Ziel, dass Österreich spätestens im Jahr 2040 klimaneutral sein wird, also netto kein CO2 und keine anderen Treibhausgase mehr in die Atmosphäre ausstößt.

Aber dieses Vorhaben hat es in sich. Die Frist ist zehn Jahre kürzer, als es der ehrgeizige EU-Klimaplan vorsieht. Österreich würde damit sogar die Ökovorreiter im Norden überholen: Norwegen will zwar bereits im Jahr 2030 klimaneutral sein, aber nur, wenn andere Länder mitziehen; Schweden peilt das Jahr 2045 an.

Kein Stein auf dem anderen

In zwanzig Jahren wird Sebastian Kurz wohl nicht mehr Kanzler sein. Aber eines müsste ihm und seiner Partei bewusst sein: Wenn Österreich zu einem Zeitpunkt, an dem viele der heutigen Erstklässler gerade ihre Ausbildung abschließen, auf fossile Energie völlig verzichten will, dann kann kein Stein auf dem anderen bleiben.

Dann wird es den Straßenverkehr, wie wir ihn heute kennen, nicht mehr geben. Dann müssen Millionen Ölheizungen herausgerissen und Gasheizungen umgebaut werden. Dann muss sich die Wirtschaft radikal umstellen, und mit ihr die meisten Unternehmen sowie die Arbeitswelt. Dann muss sich die Siedlungsstruktur auf dem Land und das Leben in den Städten ändern.

Das verlangt eine Umwälzung, wie sie Österreich seit der Nachkriegszeit nicht mehr erlebt hat. Und dieser Prozess muss sehr, sehr rasch beginnen.

Von alldem ist im Regierungsprogramm nichts zu merken. Auch die Klimakapitel lesen sich, sobald es um konkrete Maßnahmen geht, wie business as usual. Zwar hat die frühere Umweltaktivistin Leonore Gewessler ein Riesenressort erhalten, aber in vielen klimarelevanten Bereichen haben türkise Minister das Sagen. Dass eine CO2-Bepreisung nicht sofort kommt, lässt sich noch verschmerzen – aber nur, wenn 2022 tatsächlich die große steuerliche Wende eintritt. Geschieht das nicht, dann ist das Klimaziel 2040 bereits in der Mitte der Legislaturperiode Makulatur.

Schlüsselfrage

Die Schlüsselfrage für diese Koalition lautet daher: Meint Kurz es ernst und verlangt nur etwas Geduld, um seine Leute auf die radikalen Veränderungen einzustimmen? Oder spielt er auf Zeit und will den kleinen Koalitionspartner auch beim Klimaschutz auflaufen lassen – etwa mit halbherzigen Schritten, die niemandem wehtun und daher auch nicht wirken?

Die Grünen tun recht daran, den Kanzler jetzt beim Wort zu nehmen. Eine Koalition muss mit gegenseitigem Vertrauen beginnen. Aber es darf kein Tag vergehen, an dem sie nicht auf das Versprechen im Regierungsprogramm pochen und vehement darauf verweisen, dass die Uhr tickt.

Die türkis-grünen Flitterwochen wären dann rasch vorbei. Das wird Kurz mit seinem Hang zur Koalitionsharmonie nicht erfreuen. Aber angesichts der Dramatik der Klimakrise führt kein Weg daran vorbei. Gewessler hat dies schon angedeutet, als sie im Parlament erklärte, sie wolle die Forderungen der Fridays-for-Future-Bewegung umsetzen. Will Kurz nicht als Falschspieler dastehen, muss er bald das Gleiche sagen. (10.1.2020)