Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hieß den frisch angelobten österreichischen Kanzler in Brüssel willkommen. Inhaltlich wie atmosphärisch verlief das Treffen ausgesprochen harmonisch.

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Sebastian Kurz kennt die Rituale, wenn ein neuer Regierungschef seinen Antrittsbesuch bei der EU-Kommission in Brüssel macht. Den Bundeskanzler konnte also – protokollarisch – wenig überraschen, als er am Sonntag beim VIP-Eingang des Berlaymont, des Sitzes der Kommission, vorfuhr. Ein paar Motorradpolizisten geleiteten ihn vom Flughafen: keinerlei Pomp, ein schlichter Arbeitsbesuch.

Kurz war es sehr wichtig, nur wenige Tage nach der Angelobung nach Brüssel zu reisen, um die wichtigsten Punkte seines Programms zu präsentieren. Wettbewerbsfähigkeit sichern, Maßnahmen zum Klimaschutz, zur Migration und zur Sicherung der Außengrenzen. Auch ein Gespräch mit Brexit-Chefverhandler Michel Barnier stand auf der Tagesordnung. Als "kleines Land im Herzen von Europa" wolle Österreich nun "die Zukunft der Union mitgestalten", sagte Kurz. Die Chance dafür sei 2020 besser als noch 2017. Damals schon war er als Bundeskanzler einer Koalition mit den rechtspopulistischen Freiheitlichen sofort nach Brüssel gereist, um sich von Jean-Claude Juncker quasi einen Prüfstempel zu holen, dass seine Regierung "proeuropäisch" sei – trotz FPÖ. Was Juncker auch bestätigte.

"Österreichisches Modell"

Fragt man, wie das damals war, erklärt Kurz, damals sei "die Stimmung schlecht" gewesen. "Das war eine Phase, in der alle ratlos dem Votum der Briten gegenüber gestanden sind, es waren die Auswirkungen der falschen Migrationspolitik in vielen Ländern spürbar, es gab Spannungen mit Russland und große Gräben zwischen Ost und West." Und heute?

Juncker ist nicht mehr Kommissionspräsident. Am Eingang des Kommissionsgebäudes wartet Ursula von der Leyen, die christdemokratische Parteifreundin aus Deutschland. Sie ist erst seit Anfang Dezember im Amt. Auch sie hat ein ehrgeiziges Programm vorgelegt. Im Zentrum steht der "Green Deal für Europa" – ein gigantisches Programm, 1000 Milliarden Euro schwer, mit dem die EU bis 2025 Wirtschaft und Gesellschaft auf ökologische Nachhaltigkeit umstellen möchte.

Es mögen nicht zuletzt diese Parallelen sein, die die sonst eher kühl auftretende von der Leyen geradezu ins Schwärmen geraten lässt. Sie begrüße "ganz, ganz herzlich" den Gast "in alter und neuer Funktion", sagt sie. Sie sei "beeindruckt, in welcher Konstanz und Modernität ihr das geschafft habt", ein Regierungsprogramm zu erstellen, die Ministerliste "ausgeglichen zwischen Frauen und Männern".

Das Lob gelte "ganz vorneweg beim Klimaschutz". Von der Leyen: "Das kann für uns eine Wachstumsstrategie sein." 2040 als Ziel für Klimaneutralität, also zehn Jahre vor der EU, das sei "beeindruckend", meint die Präsidentin. Sie "hoffe, dass das österreichische Modell bei uns Schule macht".

Verbindung nach Osten

Kurz strahlt. Von der Leyen betont, dass auch das Thema Migration besonders wichtig sei. Noch vor dem Sommer will die Kommission ein nachhaltig wirksames System auf den Weg bringen. Den "menschenverachtenden Menschenschmuggel zu bekämpfen" gelte es ebenso wie die EU-Außengrenzen zu schützen, aber auch eine Reform der gemeinsamen Asylregeln vorzunehmen.

Der Kanzler steht daneben. Als er das Wort ergreift, hat sie die meisten Botschaften, die er auf Lager hatte, schon angebracht. Kurz muss nur noch feintrimmen. Er ergänzt, wie wichtig der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit in Europa sei, um all diese Ziele zu finanzieren, und betont den Kampf gegen illegale Migration. Und der Kanzler betont das Neue, das die türkis-grüne Regierung in den Augen der Kommission ausspielen soll: Österreich sei bereit, eine Vermittlerrolle zu bekleiden, damit es zwischen den Mitgliedsstaaten wieder amikaler zugehe.

Schon am Donnerstag soll das losgehen. Kurz wird nach Prag reisen, um dort mit den Regierungschefs der vier Visegrád-Staaten zu beraten. Die Überwindung der Gräben bei der Migrationspolitik wird das Hauptstück sein. Die Kommissionschefin scheint dabei große Hoffnungen in Kurz und Österreich zu setzen – detto bei der Politik auf dem Westbalkan: "Österreich hat bei den östlichen Mitgliedsstaaten eine hohe Glaubwürdigkeit, in beiden Bereichen", also sowohl bei Klimaschutz als auch bei der Migration. (Thomas Mayer, 13.1.2020)