Wien – Die neue Regierung hat als erstes Thema die Pflegereform auserkoren. Bei einem Besuch im Haus der Barmherzigkeit in Wien verkündeten Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler und Sozialminister Rudolf Anschober (beide Grüne) dazu am Montag die ersten Vorhaben. Geplant ist demnach die Einrichtung einer Zielsteuerungskommission und ein Schulversuch.

Sozialminister Anschober will mit einer dreijährige Fachschule und einer fünfjährigen höheren Ausbildung den Pflegekräftemangel angehen.
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Die Zielsteuerungsgruppe aus Bund, Ländern und Gemeinden soll die Regierungspläne in konkrete Vorhaben gießen. Geplant sind unter anderem die Bündelung der Finanzierungsströme, die Schaffung einer Pflegeversicherung, ein "Pflege-daheim-Bonus", der Ausbau der Pflegekräfte und Schritte zur Prävention von Pflegebedürftigkeit.

75.000 Pflegekräfte bis 2030 gesucht

"Wir haben einen starken Sozialstaat, und da gehören das Altern in Würde und die bestmögliche Versorgung dazu", sagte Kurz. Was die Finanzierung betreffe, wolle man "diese leidige Debatte zwischen Bund und Ländern beenden."

Es gibt jedenfalls einiges zu tun: Denn während die Zahl der pflegebedürftigen Personen in Österreich weiter steigt, rechnen Experten mit einem Rückgang von familiären Betreuungsressourcen. Daher und aufgrund der demografischen Entwicklung wird die Zahl der zusätzlich benötigten Pflegekräfte bis ins Jahr 2030 auf 75.700 Personen geschätzt. Zuletzt waren in Österreich bereits etwa 127.000 Menschen in der Pflege beschäftigt.

Das zeigte eine im November 2019 veröffentlichte Studie der Gesundheit Österreich GmbH, die vom Sozialministerium in Auftrag gegeben wurde. Basierend auf dem Erhebungszeitraum 2017 und unter Berücksichtigung der altersmäßigen Verteilung der Inanspruchnahme von Pflege und Betreuung in Krankenhäusern und im Bereich der Langzeitpflege wird 2030 von einem zusätzlichen Bedarf von 31.400 Personen ausgegangen. Dieser Zusatzbedarf erhöht sich dem Papier zufolge auf 34.200 Personen, wenn davon ausgegangen wird, dass informelle Pflege zurückgehen wird und in den Bundesländern als Reaktion darauf mobile Pflege und Betreuung zu Hause ausgebaut wird.

Ein Drittel der Pflegerinnen über 50

Da rund ein Drittel der Pflege- und Betreuungspersonen über 50 Jahre alt ist und im Jahr 2030 nicht mehr im Erwerbsleben stehen wird, ist zudem damit zu rechnen, dass weitere 41.500 Personen in den Beruf einsteigen müssen, um den Bedarf decken zu können, schreiben die Experten in der Studie.

Das bedeutet für Österreich einen zusätzlichen Bedarf von 34.000 Personen durch die Zunahme der älteren Menschen und einen Ausbau von Pflege und Betreuung zu Hause (rund 13.000 Personen mehr im Krankenhaus und 21.000 Personen mehr im Langzeitbereich) und eine Abdeckung von Pensionierungen von 41.500 Personen – also in Summe 75.700 Personen mehr bis 2030. Für Pflegefachkräfte entspricht das einem jährlichen Bedarf von 3.900 bis 6.700 zusätzlichen Personen. Dieser Personalbedarf könne aufgrund eines Rückgangs von Absolventen spätestens im Jahr 2024 nicht mehr gedeckt werden, befürchten die Studienautoren.

Sozialminister Anschober, Vizekanzler Kogler und Kanzler Kurz präsentierten bei einem Besuch im Haus der Barmherzigkeit ihre Pläne.
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Keinen genauen Zeitrahmen

Zum Ausbau der Pflegekräfte schweben der Regierung eine dreijährige Fachschule sowie eine fünfjährige höhere Ausbildung vor. Anschober kündigte erste Beschlüsse im Ministerrat am Mittwoch an, darunter ein Schulversuch mit 150 Schülern in der ersten Phase. Insgesamt werde es "ein großes Bündel an Maßnahmen geben". Diese werden aber erst in der Zielsteuerungsgruppe ausgearbeitet.

Einen genauen Zeitrahmen für die Vorhaben nannte die Regierung nicht, auch keine konkreten Zahlen. Die Zielsteuerungsgruppe werde einen Etappenplan ausarbeiten, sagte Anschober.

Kurz versprach aber, dass es mehr Geld geben und die Pflege auch künftig großteils vom Bund finanziert werde. Die geplante Versicherung soll zunächst keine zusätzlichen Sozialabgaben verursachen, sondern durch Verschiebungen und Hebung von Potenzialen finanziert werden. Der ÖVP schwebt unter anderem eine Finanzierung über Mittel der Unfallversicherung vor. Im ersten Schritt sollen die Sozialabgaben jedenfalls nicht steigen, er könne aber nicht sagen, was in 30 Jahren sein werde, so Kurz. Pflegebedürftigkeit sei ein "Lebensrisiko", zu dem man sich bekennen müsse.

NGOs drängen auf Umsetzung

NGOs sehen im Pflegebereich angesichts der Regierungs-Pläne positive Signale, drängen aber auf konkrete Schritte. "Ich bin zuversichtlich, aber die Dinge müssen konkret werden", sagte Caritas-Präsident Michael Landau zur APA. Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser forderte, dass die NGOs in die Zielsteuerungsgruppe eingebunden werden. Und auch die Volkshilfe drängte auf rasche Schritte. (APA, red, 13.1.2020)