Die Grünen unter Werner Kogler werden noch öfter Zugeständnisse an Sebastian Kurz verteidigen müssen.

Foto: Heribert Corn

Fassungslosigkeit. So lässt sich die Stimmung beschreiben, die sich bei vielen Grün-Sympathisanten in den vergangenen zwei Wochen breitmachte. Das "Ja, aber" zur Präventivhaft, das "Ja, wenn" bei separaten Deutschklassen, das "Nein, aber doch" zur Absage an den UN-Migrationspakt, das "Ja mit Bauchweh" zum Ende der unabhängigen Rechtsberatung für Asylsuchende: Die Grünen haben ihre Unterschrift unter eine Agenda gesetzt, die sie selbst vor kurzem noch lautstark kritisiert hatten.

Wenn sie auf manchen Seiten des dicken Regierungsprogramms eine etwas blassere Tinte verwendet haben in der Hoffnung, sie möge bald verbleichen, dann ist es am Ende doch ihre Unterschrift, ihr Handschlag. Reiche werden mit Steuersenkungen beglückt, Arbeitern wird die Hacklerregelung gestrichen, bei der Sozialhilfe wird herumgeeiert: Die Grünen können von Glück reden, dass es in Österreich derzeit keine nennenswerte linke Opposition gibt. Für eine solche, das hat etwa die SPÖ-Abgeordnete Julia Herr zuletzt mit einer beherzten Rede im Nationalrat gezeigt, wären all diese Punkte ein gefundenes Fressen.

Fassungslosigkeit und Enttäuschung

Aus der Fassungslosigkeit vieler Kommentatoren spricht Enttäuschung. Enttäuscht kann aber nur werden, wer sich mehr erwartet hat. Was war die Hoffnung? Dass die Grünen die ÖVP dazu überreden, sich auf offene Grenzen zu einigen – eine Forderung, die die Grünen im Übrigen nie vertreten haben? Dass die Kanzlerpartei dem Juniorpartner in allen grundrechtssensiblen Fragen das Heft überlässt? Wer heute Kritik am türkis-grünen Pakt übt, hätte diese Kritik bereits äußern müssen, als die Grünen ihre Offenheit für eine Koalition mit Kurz signalisierten. Für ebendiese Offenheit, das mag manchen wehtun, wurde die Kleinpartei aber letztlich auch gewählt.

Ja, es hätte die Option gegeben, nach den Sondierungsgesprächen den Rückzug anzutreten. Kogler und Co haben sich dagegen entschieden. Ihnen war klar, dass sie mit dieser Koalition ein gewaltiges Risiko eingehen. Nur wenige hartgesottene Optimisten glauben, dass die Grünen aus der nächsten Wahl gestärkt hervorgehen werden. Und das festigt wiederum die Position ihres Koalitionspartners, der schon bisher bewiesen hat, dass er sich aus langen Regierungsperioden nicht allzu viel macht, wenn nur die Umfragewerte stimmen.

Grüne Selbstverleugnung?

Viele Punkte des Koalitionspakts würde man anderen Parteien vielleicht als schmerzhafte, aber unvermeidliche Kompromisse nachsehen. Den Grünen wirft man sie als Selbstverleugnung an den Kopf. Das ist einerseits logisch, schließlich handelt es sich um eine Partei, die an sich selbst höhere ethische Ansprüche stellt, also tun das zu Recht auch ihre Wähler. Solange sich an der politischen Kultur in Österreich nichts ändert, werden viele dieser als links geltenden Positionen aber niemals mehrheitsfähig sein.

Den Grünen Selbstverleugnung vorzuwerfen ist aber auch ungerecht. Es ist nicht etwa so, dass sie nach einer 180-Grad-Kehrtwende einfach so tun, als wären sie immer schon in diese Richtung marschiert. Seit der Angelobung vergeht kein Tag, an dem man nicht eine grüne Stimme hört, die sich von Türkis abgrenzt. Kein Tag, an dem die Grünen nicht klarmachten, dass sie als Wahrer einer koalitionären Scheinharmonie nicht zur Verfügung stehen. Im Schatten der Kurz’schen Message-Control ist das ihre einzige Chance. (13.1.2020)