Thomas Mahler in seinem Studio im siebten Wiener Gemeindebezirk.

Foto: Daniel Koller/DER STANDARD

Extravagant sieht es bei der Wiener Spieleschmiede Moon Studios nicht aus. Hinter einer fast schon unscheinbaren Glasfassade in der Neustiftgasse entsteht aktuell eines der wichtigsten Games des Jahres. Nach dem Millionen-Hit "Ori and the Blind Forest" steht mit "Ori and the Will of the Wisps" das nächste Abenteuer mit dem liebevoll gestalteten Schutzgeist bevor. Als Kopf des Projekts agiert erneut der Wiener Thomas Mahler, der bereits an einem weiteren AAA-Titel feilt.

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STANDARD: "Ori and the Will of the Wisps" erscheint am 11. März 2020, wie schlafen Sie momentan?

Thomas Mahler: Schlecht. Ich schlafe seit Monaten schlecht. Es ist so viel zu tun. Ich arbeite an zwei Projekten und habe auch noch einen zwei Jahre alten Sohn. Bei "Will of the Wisps" sind für mich noch 160 Bugs offen. Wir kommen aber ganz gut voran.

STANDARD: Ist Crunch [massive Überstunden; Anmerkung der Redaktion] bei Ihrem Studio ein Thema?

Mahler: Es kommt immer wieder vor. Wir sind aber ein Studio, das darauf achtet, dass wir keine "Todesmärsche" machen. Es ist meiner Meinung nach nicht so hart wie in einem normalen Studio. Bei Blizzard habe ich etwa 14 Stunden "gecrunched". Damals war es aber so, dass uns der Director einfach auf dem Arbeitsplatz sehen wollte – auch wenn die Arbeit schon fertig war.

Bei uns arbeiten die Leute über den Globus verteilt. Wir erlauben unseren Mitarbeitern, dass sie sich die Zeit frei einteilen, allerdings sind auch Deadlines einzuhalten. Bei Meetings und zu gewissen Stoßzeiten herrscht auch eine gewisse Anwesenheitspflicht. Aktuell sind wir im Crunch, da die Veröffentlichung des Spiels bevorsteht.

STANDARD: Wie kann man sich diese letzte Phase vorstellen?

Mahler: Für jeden unterschiedlich. Ich kann nicht ohne viel Arbeit und will auch Gewissheit, dass ich hundert Prozent gegeben habe. Mir gibt es auch ein gutes Gefühl, wenn ich hart gearbeitet habe. Mein Tagesablauf ist aktuell so, dass mich mein Sohn um 6 Uhr in der Früh aufweckt – eigentlich war ich immer ein Langschläfer. Dann arbeite ich oft bis 2 bis 3 Uhr in der Früh. Ohne kurze Powernaps würde ich den Tag nicht überstehen.

STANDARD: "Ori and the Will of the Wisps" wurde um ein Monat verschoben. Ihnen wird nachgesagt, dass Sie ein ziemlicher Perfektionist sind. Ab wann fühlt man sich eigentlich bereit, ein Spiel zu veröffentlichen?

Mahler: Bei mir ist es so, dass ich mich bereit fühle, wenn ich das Spiel spiele und so viel Spaß dabei habe, dass ich mich darin verliere und mir keine Bugs und Fehler mehr auffallen.

STANDARD: "Ori and the Blind Forest" war ein riesiger Erfolg. Wie verbessert man eigentlich ein ohnehin schon sehr gutes Spiel?

Mahler: Gute Frage. Ich bin in der NES- und Arcade-Zeit aufgewachsen und habe damals Super Mario Bros. 1 gespielt und dann auch Super Mario Bros. 3 erlebt. Bei uns soll der Wandel so ähnlich ausfallen. Wir haben uns angeschaut, welche Mechaniken wir verbessern können – eine große Sache war das Kampfsystem. Wir haben natürlich auch die Basis des Spiels verfeinert, die Welt vergrößert und auch neue Charaktere hinzugefügt. Auch der Ablauf des Games ist nun nicht mehr linear, ab dem zweiten Abschnitt kann man frei entscheiden, wo man als nächstes hingeht. "Ori and the Will of the Wisps" bringt auch eine bessere Wiederspielbarkeit mit sich. Wir wollen einfach einen Schritt wie von Super Mario Bros. 1 auf Super Mario Bros. 3 bieten.

STANDARD: Bei "The Blind Forest" wurde nachträglich ein leichterer Modus hinzugefügt. Gibt es bei "Will of the Wisps" unterschiedliche Schwierigkeitsgrade?

Mahler: Nein. Wir haben uns angeschaut, wo unsere Spieler beim ersten Teil Probleme hatten. Konkret hatten wir mehrere plötzliche Schwierigkeitsgradanstiege, die allerdings so vorgesehen waren. Neue Fähigkeiten sollten erlernt und und in den Fluchtsequenzen angewandt werden – das war wie eine Art Bosskampf konzipiert. Bei "Ori and the Will of the Wisps" haben wir das Spiel nicht einfacher gestaltet, sondern dem Nutzer die Fähigkeit gegeben, dass er für die Fähigkeiten Upgrades sammelt, sollte ihm ein Bereich zu schwierig sein.

STANDARD: Ihr Game ist ab dem ersten Tag Teil des Abo-Services Xbox Game Passes. Sehen Sie diese Dienste als Fluch oder Segen?

Mahler: Das wird die Zeit zeigen. Es ändert sich einfach das Geschäftsmodell. Es ist auf der einen Seite interessant, weil du als Entwickler vorab Geld bekommst und eine gewisse Sicherheit hast. Auf der anderen Seite hast du Angst, dass die Verkaufszahlen keine Rolle mehr spielen. Wir waren richtig begeistert, dass sich "Ori and the Blind Forest" vier Millionen Mal verkauft hat. Darauf bist du auch stolz.

Wenn die Leute das Spiel aber kostenlos bekommen, ist es schwierig, solche Absatzzahlen zu erzielen. Das hat man ja auch bei Musik gesehen. Niemand wird mehr so viele Alben verkaufen wie Michael Jackson, weil die Menschen nun streamen. Man muss aber mitwachsen. Moon Studio achtet darauf, dass wir bei Trends voll involviert sind, sodass wir uns finanziell keine Sorgen machen müssen.

STANDARD: Sie haben anfangs ein zweites Projekt neben "Ori" erwähnt, können Sie dazu mehr verraten?

Mahler: Es wird ein Action-Rollenspiel und wir wollen das Genre revolutionieren. Ich habe seit "Diablo 2" keine größeren Änderungen mehr in diesem Bereich gesehen. Der dritte Teil von "Diablo" war meiner Meinung nach ein Fehlschlag. Ich will seit 1998 ein derartiges Game machen und ich arbeite bereits seit Jahren an diesem Projekt. Mittlerweile ist es in voller Produktion und jetzt schon extrem gut. Es wird aber noch eine Zeit dauern.

STANDARD: Ist Microsoft erneut als Publisher involviert?

Mahler: Dazu darf ich nichts sagen.

STANDARD: Sie haben sich in der Vergangenheit kein Blatt vor den Mund genommen, wenn es um das internationale Standing der heimischen Videospiele-Industrie ging. Sind Sie immer noch der Meinung, dass man ins Ausland gehen muss, um an einem Top-Titel mitwirken zu können?

Mahler: Gegenfrage: Wie viele hochqualitative Titel aus Österreich kennen Sie? Nach meiner ersten Kritik im STANDARD war ich einem riesigen Shitstorm ausgesetzt und traf bei einem Symposium auf die CEOs mehrerer österreichischer Spieleentwickler. Jede einzelne Firma davon ist heute bankrott. Trotzdem waren sie damals sehr erpicht darauf, wie sehr ich nicht falsch liege. Uns gibt es hingegen seit zehn Jahren und wir stehen vor dem Release des zweiten Spiels und unser erstes AAA-Game ist seit längerem in Entwicklung.

Unsere Strategie ist es, ein Studio aufzubauen, das international agiert und bei dem die besten Talente weltweit arbeiten. Ich rekrutiere Leute, die bei Blizzard, Ubisoft, Riot Games und Sony arbeiten, die passioniert sind und unglaublich viel Erfahrung mit sich bringen. Ich hatte kürzlich ein Jobinterview mit einem Entwickler, der seit 35 Jahren in der Branche ist. Die wollen auch bei uns arbeiten.

Bei uns nimmt man sich kein Blatt vor den Mund und es gibt keine blöden Hierarchien. Ich bin zwar der Creative Director, erwarte aber trotzdem, dass mich die Leute kritisieren, wenn ich Scheiße baue. Du musst dein Ego wirklich in den Schrank stellen, wenn du Kunst machst. Wir machen das so, damit man auch in 20 Jahren auf die Arbeit hier zurückschauen und sagen kann: "Das war ein Meilenstein in diesem Genre". Ich finde es ein bisschen traurig, dass in Österreich überhaupt nichts passiert.

Es fehlt hierzulande an den Talenten und es fehlt das Budget. Videospiele machen ist superteuer. Unser Action-RPG ist ein Triple-A-Spiel – Sie können sich vorstellen, wie viel Geld dafür nötig ist. Das hast du in Österreich einfach nicht. Und es gibt hierzulande auch keine Leute, die bei internationalen Entwicklern gearbeitet haben, wo sie wirklich Erfahrungen sammeln konnten. In Österreich sind nur Leute, die irgendeinen Mobile-Shit gemacht und vielleicht ein bisschen Geld verdient haben. Es gibt aber einen Unterschied zwischen "Ich kann meine Firma halten" und "Ich mache ein Meisterwerk".

Die einzige Art und Weise, wie wir überleben, ist, dass wir Titel machen, die die Industrie braucht und die wichtig für den Markt sind. Das hat auch bei Microsoft funktioniert. Dass wir als kleines Indie-Studio für Microsoft so wichtig werden, hätten wir uns damals nicht denken können. Heute sind wir einer der Entwickler, die die höchst qualitativen Spiele für sie liefern. Das ist cool, darauf bin ich auch stolz.

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STANDARD: Wie stellen Sie sich Ihr Team zusammen?

Mahler: Wir suchen Leute, die schon Erfahrungen und Fehler gemacht haben. Es gibt diese 10.000-Stunden-Regel: Du musst schon dies und das ausprobiert haben, um zu sehen, was wirklich funktioniert. Man muss bei uns auch gut ins Team passen – wir heuern keine Divas an. Wir wollen, dass sich die Leute bei uns gegenseitig inspirieren und sich durch ihre Arbeit auch untereinander anspornen.

Unsere Mitarbeiter sind auch richtig motiviert, in den Credits des Spiels zu stehen. Wir haben bei "Ori and the Blind Forest" gemerkt, was das dann für Auswirkungen hat. Da hat es danach Jobangebote mit sechsstelligen Gehältern geregnet.

STANDARD: Videospiele werden zum allerersten Mal im österreichischen Regierungsprogramm erwähnt – allerdings nur hinsichtlich E-Sports. Fühlen Sie sich als Entwickler im Stich gelassen?

Mahler: Ehrlich gesagt ignoriere ich die Politik. Es macht für mich einfach keinerlei Unterschied, da es in Österreich ohnehin keine Förderungen gibt. Ich war bereits bei Treffen mit Digitalministerin Margarete Schramböck, um ihr zu sagen, dass sie bei den Schulen ansetzen soll, um Talente hervorzubringen. Die Videospieleindustrie erwirtschaftet mehr Geld als die Musik- und Filmindustrie zusammen – das ist doch komplett bescheuert, dass das von der österreichischen Regierung komplett ignoriert wird.

Es braucht ja im Grunde nur einen klugen Kopf, um ein Spiel zu entwickeln – siehe etwa "Minecraft". Die Regierung verabsäumt einfach, was das mittlerweile für eine riesige Industrie geworden ist, die massig Geld einbringen kann. Ich zahle etwa Millionen Steuern an den österreichischen Staat. Es müssen in diesem Bereich einfach Förderungen für junge Leute und Änderungen im Bildungssystem her, damit dieses progressiver wird. Es darf nicht passieren, dass Kinder in Schulen vergessen werden.

Ich bin das beste Beispiel dafür. Ich komme aus Simmering und mir wurde immer gesagt, dass ich das nicht schaffe und dies nicht erreiche. Für mich war das damals so eine Rebellion: "Euch zeige ich es". Mit der Zeit sind dann immer bessere Angebote gekommen und heute habe ich es erreicht. Wenn ich es schaffe, kann es jeder schaffen.

STANDARD: Zuletzt noch: Für viele sind Videospiele ein Rückzugsort. Was macht Thomas Mahler eigentlich nach einem anstrengenden Arbeitstag?

Mahler: Ich rede mit meiner Freundin. Offene Gespräche sind mir extrem wichtig – auch für meine Arbeit. Dieses Ping-Pong ist für mich ein gewisser Ausgleich. Natürlich spiele ich aber auch Videospiele …

STANDARD: Welche zum Beispiel?

Mahler: Ich bin ein riesiger "Dark Souls"-Fan und spiele auch viele Retro-Games, weil ich damit aufgewachsen bin und es dieses gewisse "Abstrahierte" mit sich bringt. Da ging es noch komplett um Spielmechaniken. Wenn du heute als Game-Designer aufwächst, bist du mit Spielen konfrontiert, in denen so viel Ramsch ist. Bei älteren Spielen war alles noch simpler und auf das Wichtigste abstrahiert. (Daniel Koller, 19.1.2020)