Tausend Kilometer Stau. Die Bilder, die im Dezember 2019 über die Fernsehgeräte flimmerten, ließen an Dramatik nichts zu wünschen übrig. Tausende niederländische und deutsche Landwirte machten sich mit ihren Traktoren auf den Weg nach Den Haag und Berlin – um zornig gegen höhere Klima- und Umweltanforderungen zu protestieren. Auch wenn die agrarpolitischen Rahmenbedingungen dank EU ähnlich sind: In Österreich schlossen sich die Bauern dem Protest nicht an.
25 Jahre nach dem EU-Beitritt ist die Landwirtschaft vergleichsweise stabil, urteilt der Ökonom Franz Sinabell vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Die überwiegend kleinstrukturierten Familienbetriebe – oft mit mehreren Einkommensquellen – seien in Krisen stabiler als Agrargroßkonzerne in anderen EU-Staaten lautet sein Befund.

Sorgen gab und gibt es aber auch hierzulande. Das geplante Glyphosatverbot hing wie ein Damoklesschwert über den Landwirten, die Protagonisten der Klimadebatte nehmen die Bauern in die Pflicht, Regeln für die Biohaltung von Weidevieh wurden verschärft und weil in den vergangenen Jahren so viele Bauern auf biologische Produktion umstellten, gerieten die Preise vor allem bei Getreide und Milch unter Druck.
Mit der Neuverhandlung der GAP-Reform, der Regeln für die Brüsseler Subventionen, droht eine Kürzung der Gelder aus Brüssel von 1,4 auf 1,3 Milliarden Euro. Manche Misstöne waren dem Wahlkampf geschuldet: "Die Vorstellungen der Grünen funktionieren im rosaroten Trulli-Wucki-Land, nicht in Österreich", wetterte der blaue Landwirtschaftssprecher Reinhard Teufel und warnte vor dem grünen Gottseibeiuns.
Den Vorschlag, Bionahrungsmittel etwa in Schulen verpflichtend zu servieren, klassifizierte er als "Bio-Schnapsidee", leistbar für Bobo-Grüne in Wien und möglicherweise der Todesstoß für herkömmlich wirtschaftende Bauern. Landwirtschaftskammerchef Josef Moosbrugger hatte andere Sorgen. Er beklagte den Import ausländischer Billigbutter und forderte ein "Verramschungsverbot".
Nein, es ist nicht alles in Butter. Die Landwirtschaft steht angesichts der Klimaproblematik vor einer Zäsur. Wie die Agrarwende und der Umbau Richtung mehr Ökologie bewerkstelligt werden und wer das bezahlen soll, dafür gibt es Ideen – und Widerstände dagegen. Den einen gehen die EU-Pläne, die im Green Deal verankert sind, nicht weit genug, die anderen halten sie für nicht umsetzbar.
Dennoch ist die Lage in Österreich anders als in Deutschland und in den Niederlanden. Man weiß die Politik auf seiner Seite. Die Landwirtschaft hat mit Elisabeth Köstinger (ÖVP) die alte Ressortchefin zurück, deren Klimapolitik als reichlich ambitionslos kritisiert wurde. Bauernvertreter Moosbrugger begrüßte das "klare Bekenntnis zu einer stabilen Finanzierung der EU-Agrarpolitik sowohl in der Übergangszeit als auch in der kommenden Periode". Österreich will die drohenden Subventionskürzungen aus Brüssel ausgleichen. Ob der Plan an wettbewerbsrechtlichen Hürden scheitert, ist offen. Der größte heimische Bioverband Bio Austria lobt, "dass der Ausbau der Biolandwirtschaft im GAP-Strategieplan, der nationalen Umsetzung der gemeinsamen Agrarpolitik der EU für die Periode bis 2027, verankert werden" soll.
In Sachen Bio hat es Österreich weit gebracht. Gut gefördert hat Österreich EU-weit mit 24.000 Biobetrieben und einem Viertel der landwirtschaftlichen Anbaufläche den höchsten Bioanteil. In Deutschland sind es weniger als zehn.
Auf die Bauern wird geschaut. Mit einigem Erfolg. Österreicher schätzten Kürbiskernöl aus der Steiermark, burgenländischen Wein und steirische Äpfel. Bio und regional kommen an. Die Österreich-Fahne steckt auf mehr Produkten als in Ländern vergleichbarer Größe. An Tonnen gemessen dürfte mehr als die Hälfte der Lebensmittel im Handel aus Österreich kommen. Dabei könnte der Handel zum Beispiel Milch durchaus billiger aus Deutschland zukaufen. Doch es gibt einen gewissen Konsens, wo es geht, zu heimischen Produkten zu greifen.

Kein Zweifel: Die Politik hat in Sachen Erziehung der Konsumenten und des Handels alle Arbeit geleistet. Einerseits: Die im Dienste der Sache stehende Agrarmarkt Austria (AMA) wurde wiederholt kritisiert, viel Geld und das an falschen Stellen auszugeben.
Andererseits: Die Produzenten profitieren, der Konsument sei bereit, mehr zu bezahlen, sagt Sinabell. Eine der Erfolgsgeschichten der heimischen Landwirtschaft, findet er. Seit 1995, also seit es EU-Förderungen gibt, hat sich der Strukturwandel zumindest nicht beschleunigt. Aufzuhalten ist er nicht. Jährlich steigen zwei bis drei Prozent der Betriebe aus. Gut 160.000 halten heute in Österreich die Stellung. 1995 waren es noch 239.000, die Beschäftigung ging jedes Jahr ein bis zwei Prozent zurück. Aber: In den zehn Jahren vor dem EU-Beitritt warfen noch mehr Bauern das Handtuch.
Deren Angst vor dem Beitritt war enorm. Zwei Drittel waren dagegen. Rudolf Schwarzböck war als damaliger Landwirtschaftskammerpräsident bei den Verhandlungen dabei. Die Sorgen waren, so erzählt er heute, dass heimische Produkte für den internationalen Markt zu teuer seien und umgekehrt ausländische Milch und Butter österreichische Ware verdrängen. Man hat schweren Herzens zugestimmt. Später müsse man womöglich gleichzeitig mit den Ungarn und Tschechen verhandeln, so das Kalkül. Ausgleichsforderungen hätte Österreich als reiches Land da kaum herausgeschlagen.
Berechtigt war die Angst dennoch. Die Preise sanken in manchen Bereichen um zwei Drittel. Für die Bauern gab es bis 1998 Ausgleichszahlungen in Höhe von umgerechnet 500 Millionen Euro. Gleichzeitig gelang es vor allem in Deutschland und Italien, Fuß zu fassen, sagt Schwarzböck. "Mit enormem Arbeits- und Kapitaleinsatz", räumt er ein. Seine Kinder zählt er zu den Gewinnern. Sie exportieren ihre Weine heute von Hagenbrunn aus weltweit.
Es gab aber auch viele Verlierer, wobei die Entwicklung überraschte, so Sinabell: Im Burgenland haben 70 Prozent der Landwirte aufgehört. Im inneralpinen Raum, wo die Bedingungen besonders schwierig sind, fiel der Strukturwandel am geringsten aus. Viele der typischen Mischbetriebe mit ein paar Kühen, Schweinen, Hühnern und Ackerbau haben sich notgedrungen mit EU-Förderung professionalisiert. Sinabell ortet heute auch wieder steigendes Interesse bei den Jungen, in die Landwirtschaft zu gehen. Hätte früher in seinen Vorlesungen bei entsprechenden Nachfragen kaum jemand aufgezeigt, so sei dies jetzt anders.
Immer mehr Betriebe nehmen zunehmend auch die Vermarktung selbst in die Hand und so manche reüssieren in Nischen wie Fisch-, Schnecken- oder Garnelenzucht, sind Nebenerwerbsbauern, haben sich ein weiteres Standbein wie Urlaub am Bauernhof und ähnliches aufgebaut, oder sind hochprofessionelle Unternehmer, durchaus auch große. Dass besonders die Großen bei den Förderungen üppig absahnen, sorgt ebenfalls immer wieder für Kritik.
Ökonom Sinabell hält dagegen: Landwirtschaft bleibe ein beinhartes Geschäft – daran änderten auch die Millionen nichts, die aus den reich gefüllten Fördertöpfen aus der EU und aus Österreich das Auskommen sichern sollen. Das sogenannte Faktoreinkommen (inklusive Subventionen) wuchs seit 1995 nominell (2,5 Milliarden Euro) minimal auf 2,7 Milliarden Euro 2019. Die Produktivität hingegen ist kräftig gestiegen, wie eine andere Zahl illustriert: Ernährte ein Landwirt einst 75 Menschen, sind das heute immerhin 118. (Regina Bruckner, 14.1.2020)