Wer braucht Waffen, wenn es landwirtschaftliche Geräte gibt: Arndís Hrönn Egilsdóttir wehrt sich in "Milchkrieg in Dalsmynni" in Frances-McDormand-Manier.

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Dieser Bäuerin sollte man nicht mit leeren Drohungen kommen. Als Inga (Arndís Hrönn Egilsdóttir) von einem Gesandten der lokalen Kooperative dafür gescholten wird, nicht deren Dünger bestellt zu haben, sondern einen günstigeren von weiter her, landen die Exkremente gleich einmal auf der Windschutzscheibe von dessen SUV. Noch anschaulicher wird ihr Zorn nur in jener Szene, in der sie überschüssige Milch aus dem Traktor auf die Fenster des Hauptsitzes ebenjener Genossenschaft pumpt. Man fühlt sich an Mildred Hayes erinnert, Frances McDormands renitente Heldin aus Three Billboards Outside Ebbing, Missouri.

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Auch Ingas Rebellion gegen die Kooperative hat einen tragischen Hintergrund. Ihr überarbeiteter Mann verunglückt, als er hinter dem Steuer einschläft. Die Kooperative, die in diesem abgelegenen Winkel von Island als Monopolist operiert, rät ihr dazu, den überschuldeten Hof zu verkaufen. Dabei war es erst deren harter Kurs gegenüber den Landwirten, der die Schulden in die Höhe getrieben hat. Die Bauern führen alle Waren an den regionalen Anbieter ab, im Gegenzug müssen sie sich jedoch dazu verpflichten, alles zugelieferte Material auch über die Kooperative zu beziehen. Auf diese Weise wird der Markt engmaschig kontrolliert, "es ist wie eine kleine Variante der Sowjetunion", sagt Regisseur Grímur Hákonarson – am Ende profitiert nur der Staat im Staat.

Der 43-jährige Filmemacher hat vor fünf Jahren mit Sture Böcke (Rams) einen kleinen Arthouse-Kino-Hit gelandet, in dem er regionale Besonderheiten – zwei besonders dickköpfige Schafbauern brüder – mit einem universelleren Anliegen verquickte. Milchkrieg in Dalsmynni funktioniert ähnlich. Der Kampf gegen ein Unrechtssystem wird auf ein überschaubares Feld heruntergebrochen und bezieht dadurch seinen lokalspezifischen Reiz. Es gebe tatsächlich noch eine einzige Kooperative in Island, so Hákonarson. Doch obwohl es eine wahre Geschichte sei, habe er viel dazuerfunden: "Seit der Film in Island gestartet ist, bekomme ich allerdings Post. Dabei hat sich herausgestellt, dass es für jede Szene auch eine Referenz zu geben scheint."

Ken Loach vom Lande

Mit dem Label, als der isländische Ken Loach zu gelten, kann Hákonarson gut leben. "Ich bin mit meiner Kultur stark verbunden und verstehe mich auch als alte Seele. Deswegen mache ich ja auch Filme für Leute über 50" – ein Beispiel für isländischen Humor, keine Frage – "auch wenn ich gerade versuche, etwas auszubrechen, indem ich einen Film in den USA entwickle." Vom britischen Meister des sozialrealistischen Kinos hat er sich die Tugend abgeschaut, detailgenau auf Abläufe und Eigenheiten von Bürokratien zu achten und zugleich keine Figur unverhältnismäßig heroisch zu zeichnen.

Hauptdarstellerin Arndís Hrönn Egilsdóttir mit Regisseur Grímur Hákonarson.
Foto: EPA

Inga bleibt in der Verkörperung der Theater- und TV-Darstellerin Egilsdóttir so eben auch eine einfache Frau, die aus Unrechtsgefühl zunächst nur empörte Facebook-Einträge schreibt. Sie lässt sich vom Kooperativenchef Eyjólfur (Sigurður Sigurjónsson) nicht einschüchtern, wagt sich immer mehr ins Politische hinaus und versucht etwa, andere betroffene Bauern zu mobilisieren – so resch wie sie sind freilich die wenigsten.

Obwohl die ländlichen Gemeinden traditionell konservativ und männerorientiert seien, gebe es immer mehr Frauen, die eigene Höfe bewirtschaften, erzählt Hákonarson. "Und sie sind nicht nur immer gegenwärtiger, sondern oft auch rebellisch."

Jede Gemeinschaft kennt Deformierungen

Inspiriert haben ihn allerdings nicht nur reale Personen, sondern auch Filme wie Silkwood (1983) mit Meryl Streep als aufmüpfiger Gewerkschafterin oder Leviathan (2014) vom Russen Andrei Swjaginzew. "In Russland hätte ich wohl schon Probleme", glaubt er. "Doch auch wenn Inka die Methoden mafiös nennt, mit richtiger organisierter Kriminalität kann man es wohl nicht vergleichen." Jede Gemeinschaft, ist er sicher, kenne ihre eigenen Deformierungen.

Wahrscheinlich hat auch die Kitchenware-Revolution, die in Island nach der Bankenkrise von 2008 die Regierung zu Fall brachte, ihre Spuren hinterlassen. Diese hieß so, weil man Pfannen und Töpfe benutzte, um Lärm zu machen. Egal ob Mist oder Milch – auch Inka nützt ihre Gerätschaft, um einen Punkt zu machen. (Dominik Kamalzadeh, 14.1.2020)