Foto: St. Martin's Press

Soso, Teil 2 einer Duologie soll dies nun also sein. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob der 2018 erschienene "Teil 1" von Anfang an als solcher deklariert wurde. Oder ob sich Sue Burke erst nachträglich zu einer Fortsetzung entschloss, nachdem ihr Erstling "Semiosis" – zu Recht! – auf ein so positives Echo gestoßen war. Wie auch immer, formal stand einem Sequel jedenfalls nichts im Wege. Schließlich war "Semiosis" als generationenübergreifende Chronik mit wechselnden Hauptfiguren angelegt, da kann man also jederzeit den Faden weiterspinnen.

Die Gemeinschaft von Pax

Kurz zur Erinnerung: Schauplatz von "Semiosis" war der Dschungelplanet Pax, auf dem eine kleine Gruppe menschlicher Kolonisten landet und sich – trotz des allmählichen Ausfalls aller Hochtechnologie – dauerhaft etabliert. Schon lange vor ihnen sind insektenhafte Aliens ("Glasmacher" genannt) gelandet, die im Lauf der Zeit ebenfalls auf eine präindustrielle Kulturstufe zurückgesunken sind. Nach anfänglichen Kämpfen haben sich die beiden Parteien inzwischen zusammengerauft und eine gemeinsame Siedlung gegründet.

Vor allem aber wimmelt es auf Pax nur so vor semiintelligenten Tieren und Pflanzen, die über ihre Wurzeln ein zumindest kontinentüberspannendes Kommunikationsnetzwerk bilden. Klingt ein bisschen nach der Welt von "Avatar", ist aber deutlich konfliktreicher. Die unangefochtene Nummer 1 in diesem Geflecht ist Stevland, eine höchst manipulative (aber nicht notwendigerweise bösartige) Pflanze, die in Menschen wie Glasmachern willkommene "Nutztiere" sieht, um ihr eigenes Fortbestehen zu sichern. In Summe ergibt dies eine eigenwillige Symbiose höchst unterschiedlicher Lebensformen, die zwar keineswegs frei von Streit und Übervorteilungsversuchen ist, aber insgesamt erstaunlich gut funktioniert.

Währenddessen auf der Erde

"Interference" heißt nun die Fortsetzung, also "Einmischung" – und die kommt von der Erde. Einer Erde, die in der Zwischenzeit, wie uns das Anfangskapitel zeigt, ironischerweise selbst zu einer Art Dschungel geworden ist. Nachdem eine offenbar absichtlich herbeigeführte Epidemie bzw. Massenvergiftung Milliarden Menschen getötet hat, ist der Planet nämlich dünn genug besiedelt, dass die Natur viele Gebiete zurückerobern konnte.

Die Gesellschaftsform dieser Zeit – Anfang des 24. Jahrhunderts – ist rückschrittlich-rigide. Zwar bei weitem nicht so schlimm wie in den Romanen Margaret Atwoods, doch kennt sie eine Form der Bestrafung, auf die man selbst in Gilead nicht gekommen wäre: Aus Rachsucht wird Generation für Generation ein Klon der Frau, die einst die globale Katastrophe herbeiführte, gezüchtet, um gefoltert zu werden. Ein Livestream überträgt ihre Qualen rund um die Uhr – und zwar aus ihrer Perspektive. Ihr Gesicht darf niemand sehen, denn unter den Zuschauern befindet sich ja auch die eine Unglückliche, die noch nicht weiß, dass sie die nächste sein wird. Sue Burke hat ja generell einen gewissen Hang zur Perfidie, aber mit dieser Idee erklimmt sie den Gipfel.

Wechselnder Figurenreigen

Karola, die Perspektivfigur des ersten Kapitels, findet durch einen Zufall heraus, dass sie die Auserwählte ist. Verständlich, dass sie alles daransetzt, sich in das Expeditionsteam zu schmuggeln, das nach Pax geschickt werden soll – selbst wenn sie dabei über Leichen gehen muss. Burkes Figuren sind weder geborene Helden noch arme Opfer, deren unweigerliches Empowerment wir dann beklatschen dürfen. Sie sind Agenten in eigener Sache, haben Licht wie Schatten und tun mitunter Dinge, die mit Sympathieträgern unvereinbar scheinen. Selbsterhaltung ist das oberste Gebot – nur eine weitere Ausprägung des biologischen Grundmotivs, das Burkes Erzählungen prägt.

Nehmen wir etwa Expeditionsleiter Omrakash. Dem wird im letzten Moment eine Art Politoffizier vor die Nase gesetzt, ein ziemlich durchgeknallter noch dazu. Es ist im Interesse aller, dass Omrakash dessen Position untergräbt; allerdings spielt er seinem Antagonisten dabei so übel mit, dass man für den nur noch Mitleid empfinden kann.

Es gibt im Roman keine Figur, die nicht Ressentiments gegen andere hegen würde: Glasmacher gegen Menschen im Allgemeinen, Pax-Kolonisten gegen die Besucher von der Erde und umgekehrt sowie innerhalb der einzelnen Gruppen Individuum gegen Individuum. Die Gründe sind höchst verschieden, und bei den Königinnen der Glasmacher sind sie sogar biologisch bedingt: Wenn die eigene Tochter unweigerlich zur Rivalin heranwachsen muss, ist es kein Wunder, wenn Königin Thunderclap (Perspektivfigur eines späteren Kapitels) ihr Baby nur mit Hassliebe betrachten kann.

Verlorene Fäden

Wie schon in "Semiosis" wird in jedem Kapitel eine andere Person (inklusive der Pflanze Stevland) als Ich-Erzähler in den Mittelpunkt gerückt und trotz Kürze sehr schön rund charakterisiert. Daher ist es wie damals auch ein bisschen schade, wenn wir die angerissenen Lebensgeschichten dann nicht im Detail weiterverfolgen dürfen, weil unsere liebgewonnenen Protagonisten in den Folgekapiteln nur noch Nebenfiguren sind. Sei es Karola, sei es der jugendliche Jäger Arthur, der unbedingt Wellen schlagen will und dessen Reifungsprozess man gerne weitergelesen hätte.

In "Semiosis" war der Wechsel unvermeidbar, weil sich das Buch über mehrere Generationen erstreckte. "Interference" beschreibt im Wesentlichen Geschehnisse, die nur wenige Wochen umfassen, da hätte Burke eigentlich darauf verzichten können. Da auch einige Subplots – zum Beispiel eine Expedition auf den Nachbarkontinent – letztlich im Sande verlaufen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Burke diesmal mehr Ideen hatte als Zeit für Konzeption. Sie liest sich immer noch hervorragend, aber ein bisschen mehr Planung wäre schön gewesen.

Interessanterweise korrelieren die Mängel, durch die "Interference" nicht an "Semiosis" heranreicht, im Großen und Ganzen mit denen, die das klassische "Middle-Book-Syndrome" mit sich bringen würde. Wer weiß, vielleicht entscheidet sich Burke ja noch mal um und macht das Ganze zu einer Trilogie.