Der Bienenstock der Zukunft könnte von Robotern unterwandert werden – im besten Fall zum Wohl der natürlichen Bienen.
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Vielleicht sieht die Zukunft wirklich so aus. Man schreibt das Jahr 2032, im Juni, und der Frühling war mal wieder viel zu trocken. Arbeiterin Nr. 32-4157 beginnt ihren Tag. Die Biene stapft zum Zentrum des Stocks, wo ihre Schwestern bereits auf Instruktionen warten. Draußen weht ein warmer Wind. Das Rapsfeld in der Nähe ist längst verblüht, doch auf der Ausgleichsfläche ein paar hundert Meter weiter hat die Luzerne ihre Knospen geöffnet. Dort indes droht leider Vergiftungsgefahr. Der benachbarte Acker wurde gestern mit Insektiziden eingenebelt. Zum Glück wissen die Disponenten das. Die Miniroboter haben sich inmitten der Bienen aufgestellt und führen nun ihren mechanischen Tanz auf. Die darin kodierte Botschaft ist klar: Heute geht es zu den Kastanienbäumen, Kurs Nord-Nordwest, Entfernung 1800 Meter.

Für Thomas Schmickl ist diese Vision keine Science-Fiction, sondern ein wichtiges Forschungsziel. Der Biologe leitet das Artificial Life Laboratory an der Universität Graz und blickt mit großer Sorge auf den Zustand der Welt. Klimawandel und Artenschwund stellen eine enorme Gefahr dar, betont der Wissenschafter. "Das weitverbreitete Bienensterben ist nur die Spitze des Eisbergs." Durch das Verschwinden von immer mehr Tier- und Pflanzenspezies drohe ein gewaltiger Kaskadeneffekt. Ganze Ökosysteme würden zunehmend instabil, bis zum kompletten Zusammenbruch. Ein Horrorszenario, auch für die Menschheit.

Bienenstock der Zukunft

Schmickl möchte zur Entschärfung der Krise beitragen – auf sehr unkonventionellem Weg. Technik soll zumindest einige der Lücken füllen. Die Idee ist, künstliche Kreaturen, sprich Roboter, in Tierpopulationen zu integrieren, um Letztere positiv zu beeinflussen. Die Organismen würden vor allem von einem neuen Informationsfluss profitieren, meint Schmickl. "Ein Roboter hat kein Problem damit, bei Wikipedia etwas nachzuschlagen." Vitales Wissen könnte das Gerät anschließend durch gezielte Verhaltenssteuerung auf seine lebendigen "Artgenossen" übertragen. So wie bei Arbeiterin Nr. 32-4157 und ihren Schwestern.

Das Team der Uni Graz ist nicht alleine auf diesem Gebiet tätig. Schmickl und seine Mitstreiter haben sich mit Arbeitsgruppen weiterer europäischer Hochschulen zusammengetan und unter anderem das Projekt Hiveopolis gegründet. Die École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) spielt in diesem Konsortium eine tragende Rolle. Hiveopolis will den Bienenstock der Zukunft kreieren, gewappnet für die Gefahren einer zunehmend von Menschen geschädigten Umwelt. Sogar der klassische Korb soll praktisch neu erfunden werden. "Wie es der Biene entgegenkommt", so Schmickl.

Der klassische Korb soll neu erfunden werden, um der Biene entgegenzukommen.
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Mangelnde Ventilation

In den heutigen Behausungen leiden die Tiere in heißen Sommern oft unter mangelnder Ventilation. Dieses Problem versuchen die Forscher durch innovative Formgebung und eine völlig neue Werkstoffkombination zu lösen. Zuerst wird eine Sägespanmasse mit einem 3D-Drucker zu einem Grundgerüst modelliert, sagt Schmickl. Dann dürfen die zugesetzten Austernpilzsporen ihr Werk beginnen. Das wachsende Pilzmyzel kleidet den Bienenstock aus und ersetzt so die bislang übliche Styropordämmung – atmungsaktiv und biologisch abbaubar. Organisches schlägt Kunststoff.

Hiveopolis greift einen bestehenden Trend auf. Ingenieure verfolgen immer häufiger biologieinspirierte Ansätze, berichtet Schmickls Kollege Francesco Mondada, Robotikexperte an der EPFL. Meistens schaue man dabei allerdings nur auf bestimmte Details und nicht auf den Organismus an sich. "In diesem Projekt sind wir jedoch gezwungen, mit dem gesamten System zu interagieren", sagt Mondada. "Dadurch lernen wir sehr viel." Besonders interessant sei auch der Austausch zwischen Biologen und Ingenieuren. "Wir sprechen verschiedene Sprachen." Die Verständigung stelle alle Beteiligten vor Herausforderungen, erweitere aber auch für jeden Einzelnen den Horizont.

Cyborg-Bienenstock

Zurück zu den Bienen. Für die Entwicklung eines tatsächlich funktionierenden Cyborg-Bienenstocks braucht es tiefe Einblicke in die Lebensweise und Kommunikation der Insekten. Der Bienentanz, den die oben erwähnten Roboter beherrschen müssten, ist zwar detailliert beschrieben worden, doch wie die Arbeiterinnen im normalerweise dunklen Stockinneren die Information aufnehmen, weiß man noch nicht. Vermutlich geschieht dies über Berührungen oder Vibrationen, meint Schmickl. Den Code zu knacken wäre ein wissenschaftlicher Durchbruch. Hiveopolis ist deshalb nicht nur praxisorientiert, das Konsortium betreibt auch solide Grundlagenforschung.

Thomas Schmickl leitet das Artificial Life Laboratory in Graz.
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Die Tanzroboter selbst sind bereits in der Entwicklung, den ersten Prototyp haben Experten der Freien Universität Berlin mit Erfolg getestet. Eine Neuversion mit komplett integrierter Elektronik wird gerade gebaut. "Ziemlich einzigartig", schwärmt Schmickl. Zukünftig sollen die Geräte nicht nur externe Informationen über Drahtlosverbindungen erhalten, sondern auch das Verhalten der Bienen lesen und interpretieren können. So entstünde ein direktes Feedbacksystem.

Inzwischen ist es den Experten sogar gelungen, eine technikbasierte Verbindung zwischen Bienen und einer weiteren Tierart in einem völlig anderen Lebensraum aufzubauen – zu Zebrabärblingen (Danio rerio). Letztere sind beliebte Aquarienfische und kommen im Labor oft als Modellorganismen zum Einsatz. Schmickls Team in Graz brachte mehrere Jungbienen in einer Arena mit zwei Minirobotern zusammen, während in Lausanne die Kollegen vom EPFL einen kleinen Schwarm Bärblinge in einem ringförmigen Tank einem künstlichen Artgenossen vorstellten. Beide Gruppen waren online miteinander verbunden. Die Bienenroboter setzten abwechselnd Wärme frei, was die jungen Arbeiterinnen anlockte.

Ausweg aus Notlage

Hatten sich genug Bienen um eine der Attrappen versammelt, nahm das Gerät dies über Sensoren wahr und schickte ein entsprechendes Signal nach Lausanne. Dort begann dann der Kunstfisch zu schwimmen, entweder im Uhrzeigersinn oder dagegen. Die Bärblinge folgten. Die Verhaltensübertragung funktionierte auch in umgekehrter Richtung, wie die Forscher im Fachblatt Science berichteten. Eine Kommunikation über Artgrenzen hinweg.

Thomas Schmickl hofft, mit solchen Kniffen gestörte Ökosysteme neu verdrahten und gar reparieren zu können. "Wir sind in einer solchen Notlage, dass man alles andenken muss." Mondada sieht die Chancen im wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Die Technologie könnte einen besseren Austausch mit der biologischen Welt ermöglichen, auch in Bezug auf deren Nöte und Bedürfnisse. (Kurt de Swaaf, 17.1.2020)