Der eine Bruder kümmert sich pflichtbewusst um die royalen Verpflichtungen, der andere sieht seine Zukunft mit Gattin teilweise über dem Atlantik.

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Bleiben Harry und Meghan königliche Hoheiten? Wer bezahlt den Personenschutz für das Herzogspaar von Sussex und Sohn Archie in Kanada, der jährlich etwa eine Million Euro kosten soll? Kanada, wie britische Medien berichteten, Großbritannien oder halbe-halbe? Werden der Prinz und die Ex-Schauspielerin künftig mit einer Pauschale oder per Stundenlohn für royale Einsätze bezahlt? Solche und ähnliche, nicht immer ernst gemeinte Spekulationen bestimmten am Dienstag die britische Debatte über die Zukunft des Sechsten der Thronfolge und seiner Familie.

"Wir hätten es vorgezogen, wenn sie Vollzeitmitglieder der Königsfamilie geblieben wären", hieß es am Montagabend in der Erklärung von Königin Elisabeth II., die Thronfolger Charles und dessen beide Söhne William und Harry zum Krisengipfel in das Schloss Sandringham beordert hatte. Mit "gänzlicher Unterstützung" der Monarchin sollen nun aber die engsten Berater der Royals in den nächsten Tagen einen stabilen Sussex-Anbau ans Königshaus zimmern.

Immer deutlicher wird nun, dass der Wunsch nach einer progressiven Rolle innerhalb des Königshauses vor allem Harrys Abscheu ob der Behandlung seiner Gattin durch britische Medien entspringt. Vom teilweisen Umzug nach Toronto erhofft sich das Paar offenbar mehr Privatsphäre.

Rechtlicher Schutz in Europa größer

Dieser Optimismus wird von Fachleuten mehrheitlich nicht geteilt. Mögen die Medien in Kanada auch zahmer berichten als die robusten britischen Boulevardblätter – der rechtliche Schutz ist einstweilen in Europa größer. "Ein Umzug nach Kanada wird ihren Wunsch nach Privatsphäre nicht erfüllen", sagte Richard Austin von der Kanzlei Deeth Williams Wall in Toronto der Times. Als weltweiter Goldstandard unter Medienanwälten gilt die Datenschutzrichtlinie der EU, deren Einflussgebiet Großbritannien allerdings bald verlässt.

Wenn nicht alles täuscht, reichen die Wurzeln von Harrys Befreiungswunsch zurück zum 6. September 1997. An jenem heißen Spätsommertag trug die Nation seine Mutter zu Grabe. Fünf Jahre zuvor hatte Henry Charles Albert David, wie der Prinz offiziell heißt, die Trennung seiner Eltern, des Thronfolgers Charles und dessen erster Frau Diana, verkraften müssen. Und dann geriet im August 1997 die Welt des knapp 13-Jährigen vollends aus den Fugen, als seine Mutter mit ihrem Freund Dodi Fayed in Paris tödlich verunglückte.

Auf dem Weg zur Trauerfeier in der Westminster Abbey ging damals auch Harry an der Seite seines Vaters und Großvaters, begleitet von Onkel Charles Spencer und seinem Bruder William durch die Londoner Innenstadt hinter dem Sarg der Mutter her. Der erwachsene Prinz sprach später von einem vermeidbaren Trauma: "Kein Kind sollte jemals so etwas tun müssen."

"Blutsfamilie" Spencer

In der Westminster Abbey wurde das traumatisierte Kind Zeuge einer rhetorischen Glanzstunde des Journalisten Charles Spencer, der seine Neffen kaum kannte, sie aber allen Ernstes für die "Blutsfamilie" Spencer reklamierte. Vor allem aber machte Dianas jüngerer Bruder die Boulevardpresse uneingeschränkt für den Autounfall verantwortlich und bezichtigte Paparazzi wie Chefredakteure gleichermaßen, sie hätten "Blut an ihren Händen".

Dieses Narrativ hat Harry verinnerlicht. Auch als längst Erwachsenem fiel ihm zum Tod der Mutter nur die – zugegebenermaßen schreckliche – Tatsache ein, dass die Paparazzi nach dem Unfall Fotos machten, anstatt seiner sterbenden Mutter zu helfen. "Das waren die gleichen Leute, die den Unfall verursacht hatten."

Die Wirklichkeit war komplizierter. Gewiss gehörte die Prinzessin zu den Opfern der damals sehr viel ungehemmter als heute agierenden Medien. Sie manipulierte die Journalisten aber auch, benutzte sie auf ihrem Weg zur ersten globalen Celebrity. Der Unfall selbst hätte nicht passieren können, wenn Fayeds ebenfalls getöteter Fahrer nicht volltrunken mit 170 km/h gefahren wäre.

Boulevard verliert Macht

Die einstige Macht des britischen Boulevards hat das Internet mittlerweile gebrochen. Längst bugsiert das Königshaus wichtige Neuigkeiten an den Zeitungen vorbei in die Öffentlichkeit, Williams Gattin Kate veröffentlicht eigene Fotos ihrer Kinder und trägt dadurch zum Schutz von deren Privatsphäre bei.

Was Harry und Meghan brauchen, ist womöglich weniger eine neue Rolle als eine realistische Sicht auf Vergangenheit und Gegenwart. (Sebastian Borger aus London, 14.1.2020)