Der Iran hat den Abschuss der ukrainischen Maschine zunächst tagelang dementiert.

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Teheran – Nach dem Abschuss eines ukrainischen Flugzeugs mit 176 Menschen an Bord in der Nähe von Teheran soll ein weiteres Video nun zeigen, dass die Maschine von zwei iranischen Raketen getroffen worden ist. Das berichteten die "New York Times" und das "Wall Street Journal" am Dienstagabend. Beide Blätter gaben unabhängig voneinander an, Aufnahmen aus einer Überwachungskamera verifiziert zu haben.

Auf den verschwommenen Aufnahmen ist demnach zu sehen, wie zwei Geschoße im Abstand von 20 bis 30 Sekunden das Flugzeug treffen. Den Berichten zufolge wurden diese aus knapp 13 Kilometern Entfernung von einem iranischen Militärstützpunkt abgefeuert. Das könnte eine Erklärung dafür liefern, warum das Kommunikationssystem des Flugzeugs nicht funktioniert habe, bevor die Maschine von der zweiten Rakete getroffen wurde. Möglicherweise habe die erste Rakete das System außer Betrieb gesetzt, bevor das Flugzeug ein zweites Mal getroffen worden sei.

Rohani fordert Politikwandel

Das ukrainische Flugzeug war am 8. Jänner inmitten der militärischen Konfrontation mit den USA iranischen Angaben zufolge irrtümlich abgeschossen worden. Zunächst hatten die iranischen Behörden tagelang von einem technischen Defekt gesprochen, was massive Proteste im Land auslöste. Erst nach tagelangen Dementis und massivem internationalem Druck hatte man auf iranischer Seite den versehentlichen Abschuss zugegeben.

Am Mittwoch forderte der iranische Präsident Hassan Rohani angesichts der Proteste einen radikalen Politikwandel im Land. "Die Menschen wollen mit Aufrichtigkeit, Anstand und Vertrauen behandelt werden", erklärte er im Ministerrat und forderte die Iraner zugleich zur "nationalen Einheit" auf. Seine Ansprache wurde live im Staatsfernsehen übertragen, was als außergewöhnlich gilt.

Die Streitkräfte seines Landes rief Rohani auf, sich für den Abschuss und die anschließende Informationspolitik zu entschuldigen und zu erklären, was genau passiert sei. Damit solle den Menschen gezeigt werden, dass die Armee "nichts verheimlichen" wolle. Ein erster Schritt hin zur "nationalen Versöhnung" könnten die Parlamentswahlen im Februar sein, erklärte der Staatschef. Die Menschen wollten "Vielfalt". Rohani forderte die Wahlbehörde auf, mögliche Kandidaten bei der Wahl nicht auszuschließen.

Vorwürfe an die USA

Der iranische Außenminister Mohammed Jawad Zarif hat indes den USA vorgeworfen, für den irrtümlichen Abschuss des ukrainischen Flugzeugs mitverantwortlich zu sein. "Warum ist es passiert? Weil es eine Krise gab. Menschen machen Fehler – unverzeihliche Fehler –, aber es passierte in Krisenzeiten", sagte Zarif bei einer Konferenz am Mittwoch in Neu-Delhi. Der iranische Chefdiplomat warf den USA vor, mit Ignoranz und Arroganz Chaos in der Region zu schüren. Den USA gehe es nur um ihre eigenen Interessen im Nahen Osten und ihre eigene Sichtweise.

Britischer Botschafter verlässt das Land

Die staatliche Nachrichtenagentur Irna berichtete am Mittwoch außerdem, der britische Botschafter habe den Iran verlassen. Rob Macaire habe das iranische Außenministerium zuvor über seinen Schritt in Kenntnis gesetzt. Macaire war nach seiner Teilnahme an einer laut Teheran illegalen politischen Kundgebung in der Hauptstadt in die Kritik geraten. Die Polizei hatte ihn kurzfristig festgesetzt.

Macaire hatte nach eigenen Angaben am Samstagabend nur an einer Trauerkundgebung in Teheran für die Absturzopfer der abgeschossenen ukrainischen Passagiermaschine teilgenommen, unter denen auch Briten waren. Die Veranstaltung habe er nach fünf Minuten verlassen, als Parolen gerufen wurden. Er habe nicht an einer Demonstration teilgenommen, betonte er.

Im Iran gehen Studenten auf die Straßen, eine Umfrage in Teheran bringt unterschiedliche Meinungen zum Vorfall hervor.
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Proteste nach Reaktion des Iran

Die Islamische Republik hatte zum Zeitpunkt des Abschusses der Maschine mit Raketenangriffen auf US-Stützpunkte im Irak auf die Tötung des iranischen Top-Generals Ghassem Soleimani durch die USA geantwortet. Das ukrainische Flugzeug sei in diesem Zusammenhang versehentlich abgeschossen worden. Offenbar befürchtete Teheran US-Gegenangriffe.

In den vergangenen Tagen gab es immer wieder wütende Proteste. Am Dienstagabend soll es erneut Proteste an Teheraner Universitäten sowie Zusammenstöße zwischen Studenten und den regierungstreuen Basij-Milizen gegeben haben, wie in Onlinenetzwerken verbreitete Videos zeigten.

Nach iranischen Justizangaben wurden bei den Protesten bisher rund 30 Menschen festgenommen. Am Dienstag hatte Teheran zudem erklärt, es habe erste Festnahmen von Verantwortlichen des Flugzeugabschusses gegeben. Details wurden nicht genannt. (APA, dpa, red, 15.1.2020)