AK-Expertin Moritz: Frauen müssen bei der gerechten Verteilung der Haus- und Familienarbeit hartnäckig bleiben.

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Hohe Teilzeitquoten bei Frauen und ungleiche Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit – und als Folge davon Altersarmut. Diese frauenpolitischen Probleme bleiben auch für die neue Regierung eine Herausforderung. All das darf nicht allein in die Verantwortung der Frauen gelegt werden, sagt Ingrid Moritz. Sie ist Expertin für Vereinbarkeitsfragen bei der Arbeiterkammer (AK). Trotzdem sollten Frauen bei der Gestaltung ihres Berufslebens ihre Pensionen mitdenken.

STANDARD: Wo im Regierungsprogramm sehen Sie Potenzial für Frauen?

Moritz: Vieles bleibt sehr vage, aber es ist beispielsweise gut, dass die partnerschaftliche Teilung der Elternteilzeit drinnen steht. Sinnvoll wäre hierzu auch ein finanzieller Anreiz für Eltern, wenn die Teilung der Kinderbetreuung ausgewogen ist – das kann ich mir aber kaum vorstellen, dass das kommt. Zum geplanten automatischen Pensionssplitting, das auch im Programm steht, muss man sagen: Wenn man über Pensionssplitting redet, muss man auch über die partnerschaftliche Teilung der Familienarbeit reden, denn man muss viel früher ansetzen als erst bei den Pensionen. Das von uns durchgeführte Wiedereinstiegsmonitoring zeigt, dass es erst dann was bringt, wenn Männer sechs Monate oder länger in Karenz gehen. Das liegt vermutlich daran, dass die alten Rollenverteilungen in einem oder zwei Monaten Karenz überhaupt nicht verändert werden.

STANDARD: Warum tut sich da so noch so wenig?

Moritz: Wir haben noch immer die Dynamik, dass jene, die erwerbsferner sind, sich eher für einen längeren Bezug von Kinderbetreuungsgeld entscheiden – und das wird durch das derzeitige System auch unterstützt. So konnte man sich beim Ausbau der Kinderbetreuung immer auf fehlenden Bedarf herausreden. Würde aber das Kinderbetreuungsgeld beispielsweise nach dem zweiten Geburtstag enden, müssten andere Systeme nachziehen. Bisher sprach die Politik oft von fehlendem Bedarf und Familien von fehlender Betreuung. Man redet sich jeweils auf das andere System raus.

STANDARD: Doch für viele Familien ist es tatsächlich ein wichtiges Argument, dass womöglich die Mütter daheim bleiben, weil ihr niedrigeres Gehalt der Familie weniger fehlt.

Moritz: Es gibt zwar schon beim Berufseinstieg einen Gender Pay Gap, aber viel stärker geht die Schere im Verlauf des Erwerbslebens auf – und das liegt an den noch immer unterschiedlichen Verhaltensmustern in der Gestaltung des Erwerbslebens bei Männern und bei Frauen. Männer, die in Elternteilzeit gehen möchten und der Betrieb auf diesen Wunsch hin sagt, dass es dann nichts mit der Karriere werde, lassen es sein. Wenn Frauen die Elternteilzeit nicht bekommen, bleiben sie ganz zu Hause. Wir haben auch aktuellere Zahlen dazu, dass bei Akademikerinnen mit kleinen Kindern die Erwerbstätigkeit leicht zurückgeht – wenn auch auf einem hohen Niveau.

STANDARD: Warum?

Moritz: Sie können sich das eher leisten. Und es liegt sicher auch an der verbreiteten neoliberalen Erzählung, dass Frauen alles schaffen müssen. Dass sie für alles zuständig sind, wie beispielsweise für eine maximale Förderung des Kindes. Diese Erzählung, nach der Frauen Beruf und Familie schaffen müssen, bringt einen Teil der Frauen dazu, sich ganz auf das Kind konzentrieren zu wollen, wenn es mit der Vereinbarkeit nicht so klappt.

STANDARD: Die neue Regierung plant ein automatisches Pensionssplitting. Ist das ein sinnvoller Weg, um gegen Altersarmut bei Frauen vorzugehen?

Moritz: Das wird in arbeits- und frauenpolitischen Kreisen sehr kontroversiell diskutiert. Es könnte für die Frauen als eine Art Beruhigungspille funktionieren, wenn man im Alter einen Teil der Pension des Mannes bekommt und sich im eigenen Erwerbsleben nicht mehr darum kümmern muss, genug Pensionszeiten zusammenzubekommen. Das ist ein Risiko. Ich frage mich auch, was die Männer dann machen. Wenn ihre Pensionszeiten gesplittet werden – haben sie dann mehr Interesse, dass beide arbeiten gehen und genug einzahlen in die Pension? Es ist also noch nicht abzusehen, welche Effekte das hat. Man darf auch nicht übersehen, dass es mit dem Pensionssplitting einen Dritten gibt, der sich zurücklehnen kann – und das ist die öffentliche Hand. Die kann dann einfach sagen: Macht ihr Eltern euch das selber. Das Problem könnte so ins Private abgeschoben werden. Hinzu kommt, dass durch das Pensionssplitting die Nachteile im Erwerbsleben bestehen bleiben: Karrierenachteile, Qualifikationsverluste. Die Arbeitsmarktchancen gleichen sich durch das Splitting nicht aus.

STANDARD: Was können Frauen selbst gegen den Gender Pension Gap tun?

Moritz: Frauen müssen schon im Erwerbsleben an ihre Pension denken. Sie sollen das Thema nicht wegschieben, sondern in jeder Lebensphase mitdenken. Man will im Alter ja selbstbestimmt leben können. Und es beginnt schon bei der Berufswahl: Wir wissen von einer Studie, dass es für Frauen vor allem wichtig ist, einen sinnstiftenden Beruf zu haben. Natürlich ist es wichtig, dass man eine Arbeit gern macht – aber sie soll auch gut bezahlt sein. Auch denken bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie viele nur an Teilzeit. Dabei gibt es nicht nur das Recht auf Elternteilzeit, sondern auch das Recht, seine Arbeitszeiten zu verschieben. Also zum Beispiel nicht mehr von 7 bis 16 Uhr, sondern von 8 bis 17 Uhr – weil das beispielsweise besser mit den Kindergartenöffnungszeiten zusammenpasst. Und: Frauen müssen unbequem bleiben und in ihren Familien die partnerschaftliche Teilung der Sorgearbeit einfordern.

STANDARD: Und was muss der Staat tun?

Moritz: Die Verantwortung darf nicht nur den Frauen zugeschoben werden. Es braucht die öffentliche Hand mit ganztägiger Kinderbetreuung. Das muss selbstverständlicher werden, und es soll nicht so sein, dass – wie oft auf dem Land – Kinderbetreuung an Nachmittagen erst stattfindet, wenn drei Kinder da sind. Das Angebot muss da sein, damit es als freie Option wählbar ist. Dasselbe gilt bei der Schule. Drei Viertel der Eltern müssen mit den Kindern daheim lernen. Das muss sich ändern: Der Wunsch, das Berufsleben anders als bisher zu gestalten, entsteht dann, wenn die Möglichkeiten da sind. Erst dann beginnt man Arbeit anders zu denken. (Beate Hausbichler, 17.1.2020)