Anton Zeilinger (Bild) und Mario Krenn versuchen den Überblick über die Quantenphysik zu bewahren.
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Wien – Für Wissenschafter wird es zunehmend schwierig, den Überblick über das eigene Fachgebiet zu behalten – was nur eine Vorstufe ist, um dann selbst Projekte zu entwickeln, die darüber hinaus gehen. "Allein in der Quantenphysik erscheinen jeden Tag rund 50 Artikel", berichtet der österreichische Quantenphysiker Mario Krenn, der derzeit an der Universität Toronto arbeitet.

Um sich einen Überblick zu verschaffen und aktuelle Forschungstrends aufzuspüren, setzt Krenn nun auf Künstliche Intelligenz. Gemeinsam mit seinem Doktorvater Anton Zeilinger, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), hat Krenn ein computergestütztes System zur effizienten Verarbeitung von Wissen entwickelt. Die Methode wurde im Fachjournal "PNAS" vorgestellt.

Netzwerkanalysen

Die Grundlage des Systems ist ein sogenanntes semantisches Netzwerk, für das zunächst automatisiert eine Liste von etwa 6.500 Schlüsselkonzepten der Quantenphysik aus Büchern, Fachartikeln und der Wikipedia erstellt wurde. Um die Verbindungen und Verknüpfungen zwischen diesen Konzepten zu erkennen, wurden die Abstracts von 750.000 Forschungsartikeln aus der Quantenphysik seit dem Jahr 1919 analysiert. Dieses Netzwerk sei zwar eine einfache Repräsentation des Wissens, spiegle aber gut vergangene Entwicklungen der Quantenphysik wider, so Krenn.

Im nächsten Schritt haben die Forscher ein neuronales Netz mit dem semantischen Netz verbunden. Die Künstliche Intelligenz hat dabei gelernt, von den Daten des Jahres 2010 den Zustand im Jahr 2015 vorherzusagen. "Das neuronale Netz konnte mit hoher Wahrscheinlichkeit abschätzen, welche 2010 noch nicht verbundenen Konzepte bis zum Jahr 2015 gemeinsam erforscht werden", sagt Krenn. Wenn diese "Prognose aus der Vergangenheit" funktioniert, lässt sie sich auch vom gegenwärtigen Forschungsstand aus anwenden, um zu tatsächlichen Prognosen zu kommen, welche Konzepte in Zukunft von Wissenschaftern gemeinsam erforscht werden dürften.

Auch auf andere Forschungsfelder anwendbar

Zudem kann das System Vorschläge für neue, unerwartete Themengebiete machen. Schließlich sind derzeit nur etwa fünf Prozent der verschiedenen Konzepte der Quantenphysik im Netzwerk verknüpft. Zudem suchen die Physiker mit netzwerktheoretischen Methoden nach fächerübergreifenden unorthodoxen Verbindungen, "die etwa stark vorhergesagt werden, aber sich konzeptionell stark unterscheiden", so Krenn.

Für Zeilinger hat dieser Ansatz "das Potenzial, die Art und Weise, wie Wissenschaft gemacht wird, signifikant zu verändern". Das System sei grundsätzlich für jedes Forschungsgebiet anwendbar. (APA, red, 15. 1. 2020)