Im Gastbeitrag sieht Marja Makarow, Vorsitzende der Technology Academy Finland, eine neue Generation von jungen Politikern, die mit lauter Stimme eine Botschaft der Entschlossenheit vermittelt.

Mit ihren 34 Jahren ist Sanna Marin die weltweit jüngste weibliche Regierungschefin und Kopf einer einzigartigen progressiven Regierungskoalition in Finnland. Als Millennial setzt sich die Politikerin unbefangen für die Belange junger Menschen ein und rückt Umweltthemen und die Ungleichbehandlung von Frauen ins Zentrum ihrer Regierungsagenda.

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Bringt frischen Wind in die finnische Politik: Ministerpräsidentin Sanna Marin zu Besuch bei ihrem schwedischen Amtskollegen Stefan Löfven.
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Ihre Erfolgsgeschichte ist ermutigend und zeugt von Finnlands leistungsorientierter wie sozial liberaler Gesellschaft. Denn obwohl Marin in eine problembelastete, von Alkoholismus und finanziellen Sorgen gezeichnete Familie geboren wurde, fand sie bei ihrer Mutter und später in deren gleichgeschlechtlichem "Regenbogenhaushalt" Halt. Diese Erziehung gab der neuen Ministerpräsidentin nicht nur einen starken Sinn für soziale Gerechtigkeit mit auf den Weg, sondern auch die Entschlossenheit, "eine Gesellschaft zu schaffen, in der jedes Kind werden kann, was es will, und in der jeder Mensch in Würde leben und wachsen kann".

Gute Ausgangslage

Ihre Aufgabe als Regierungschefin trat sie im Dezember aus einer guten Ausgangslage an. Zum einen hat ihr Kabinett den höchsten Frauenanteil in der Europäischen Union; ebenso ist das finnische Parlament nun im Wesentlichen ausgewogen zwischen Männern und Frauen aufgestellt. Zum anderen kommen ihr die Geschichte ihres Heimatlandes und die dort allem Anschein nach tiefverwurzelte Bestrebung, eine gleichberechtigte Gesellschaft zu schaffen, zugute. Immerhin war es Finnland, das im Jahr 1906 mit der Einführung des Frauenwahlrechts international Vorreiter wurde, Grundlagen schuf, damit Frauen hohe Ämter bekleiden können, und sich heute eines ersten Platzes im World Happiness Report der UN und Spitzenwerten bei den Bildungs- und Gleichstellungsindizes rühmen kann.

Fraglos steht die neue Regierungschefin vor Herausforderungen. Hier geht es jedoch mehr um sie persönlich und ihre Qualifikationen als um ihr Geschlecht. Ihre Kompetenz im Bereich der Umweltpolitik fügt sich gut mit Finnlands Vorhaben, die heimische Wirtschaft bis 2035 zu dekarbonisieren. Ihre überzeugende und klare Sprache spricht junge Menschen an und sorgt dafür, dass deren Anliegen in den politischen Diskurs einfließen.

Rezession am Horizont

Das soll nicht heißen, dass sie in den kommenden Jahren vor Problemen gefeit sein wird. Tatsächlich ist es sogar wahrscheinlich, dass Finnland dieses Jahr in eine "technische Rezession" rutschen wird – die Wachstumsprognosen bis 2021 sind düster. Dies könnte Marins Arbeit und Finnlands Fortschritte in einer Reihe gesellschaftlicher Herausforderungen wie der Wohnungslosenhilfe beeinträchtigen. Auch in diesem Bereich war Finnland 2008 richtungsweisend. Durch die politische Maßnahme, Mietzahlungen mit staatlichen Leistungen zu unterstützen, anstatt kurzfristige Unterkünfte in Wohnheimen oder Heimen zu vermitteln, konnte die Langzeitwohnungslosigkeit in den vergangenen elf Jahren um 21 Prozent gesenkt und so bei den Gesamtausgaben für jede untergebrachte Person jährlich 15.000 Euro eingespart werden. Diese sich gegen den allgemeinen Trend in Europa behauptende Leistung könnte im Fall einer Rezession torpediert werden.

Laut dem Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums erreicht Finnland derzeit eine geschlechtsspezifische Lohngleichheit in 83,2 Prozent seiner Wirtschaft – damit liegt es in der weltweiten Gesamtwertung auf Platz drei hinter Island und Norwegen. Um den Lohnunterschied weiter zu verringern, braucht das Land jedoch das Engagement der Unternehmerschaft. Der freie Markt kümmert sich nur wenig um Sozialpolitik und noch weniger um deren Anwendung, sodass Marins Führungsstärke hier auf die Probe gestellt wird, sollte die Wirtschaft ins Stocken geraten.

Stereotype verdrängen

Ein erstes Indiz eines erfolgreichen Engagements ist für Marin und ihre Frauenkoalition, dass sie sich bereits jetzt für ein Programm einsetzt, das die Vermittlung von Gender-Erziehung und die Grundlagen von Fairness vom Kindergarten bis zum Arbeitsplatz vorsieht. Dies wird ein Stück weit dazu beitragen, Karrieren zu fördern und die Geschlechterverteilung in den Mint-Bereichen zu verbessern. Dort sind innovative Frauen noch immer weitgehend unsichtbar – zwei Drittel der akademischen Führungspositionen werden von Männern besetzt –, obwohl 60 Prozent der neuen Doktoranden Frauen sind.

Wie Marin kürzlich in sozialen Netzwerken sagte, wird die Lösung für dieses Problem zum Teil in der fortgesetzten Bildungspolitik liegen, und zwar nicht nur am Arbeitsplatz, sondern in allen Bereichen der Gesellschaft. Diese Strategie wird ihrer Ansicht nach, und der vieler Menschen in Finnland, dazu beitragen, die Zugangshürden abzubauen und die überholten Stereotype zu verdrängen.

Diese Energie und das Fortschrittsstreben der neuen, von Frauen geführten Regierung Finnlands könnten einen neuen Aufbruch für die Politik bedeuten. Das Land hatte bereits in der Vergangenheit weibliche Regierungschefs – unter anderen zwei Ministerpräsidentinnen und eine Staatspräsidentin. Marin und andere Mitglieder ihres Kabinetts bilden jedoch eine neue Generation von Führungspersönlichkeiten. Sie stehen für einen neuen Zentralismus, der sich durch Zurückhaltung auszeichnet und durch junge Menschen geprägt ist. Die alte Garde befindet sich auf dem Rückzug. Diese ist in Zeiten von Pragmatismus und Kompromissdenken herangewachsen – es fällt ihr nicht leicht, mit einer lauten Stimme zu sprechen und eine Botschaft der Entschlossenheit zu vermitteln. Jüngeren Führungskräften wie Marin gelingt dies leichter.

Erneut Vorbildwirkung?

Das sorgt für frischen Wind in der finnischen Politik, aber auch in der westlichen Welt. Mit ihrem Angebot eines alternativen und fortschrittlichen Kurses für unsere Gesellschaft vor dem Hintergrund eines mitreißenden Populismus und Sozialkonservatismus ändern Marin und ihr Team die Wesenszüge von Führungskultur. Dass sie sich in den kommenden vier Jahren mit Hürden konfrontiert sehen werden, ist unbestritten, nicht zuletzt weil sie Frauen sind, aber letztlich geht es mehr um ihre individuellen Kompetenzen als um ihr Geschlecht. Es geht darum, dass sie gegenüber den Regierungen der Vergangenheit etwas ganz anderes verkörpern: eine Stimme der Hoffnung, verbunden mit der Entschlossenheit, echte gesellschaftliche Veränderungen in Gang zu setzen.

Wieder einmal ist Finnland richtungsweisend. Die Frage ist: Werden andere Länder, wie in der Vergangenheit, diesem Beispiel folgen? (Marja Makarow, 16.1.2020)