Eigentlich spiele er immer mit Perücke, sagt Jan Bülow, komplette Anverwandlung ist ihm fremd – hier beim Dreh von "Lindenberg! Mach dein Ding".

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Für Jan Bülow ticken die Uhren gerade etwas schneller. "Das vergangene Jahr fühlte sich an, als hätte man mir richtig doll auf die Fresse gehaun und mich dann ohnmächtig in einen Zug gesetzt, der erst jetzt irgendwo ankommt." So "urplötzlich", sagt der Berliner, sei für ihn alles von null auf hundert gegangen.

Im Herbst 2018 übernahm Bülow mit 22 Jahren am Zürcher Schauspielhaus die Rolle des Hamlet, damals titelte der Tagesanzeiger noch mit dem Zitat "Mich kennt ja keine Sau". Das wird sich nun ändern: Seit dem Direktionswechsel ist er am Burgtheater engagiert. Ab Februar ist er unter der Regie des Isländers Thorleifur Örn Arnarsson in der Titelrolle des Peer Gynt zu sehen.

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Davor wird der Name Jan Bülow allerdings noch durch eine erste große Filmrolle kräftig durchlauferhitzt. In Lindenberg! Mach dein Ding verkörpert er den Pop- und Rockstar Udo Lindenberg, der einer der Ersten war, die mit deutschsprachigen Liedern außerhalb des Schlagerghettos Erfolg hatten, und inzwischen als Berufsrebell mit breitkrempigem Hut schon fast wie seine eigene Comicfigur erscheint. Bülow genießt in Hermine Huntgeburths Biopic allerdings den Vorteil, nicht die Kunstfigur spielen zu müssen. Der Film beschränkt sich auf die wilden Anfangsjahre von Lindenbergs Karriere, von der Kindheit im westfälischen Gronau, den durchzechten Nächten in St. Pauli, zwischen Subkultur und Rotlichtviertel, bis zum Durchbruch 1973, als er mit Alles klar auf der Andrea Doria zu seiner charakteristisch quengelnden Stimme fand.

Mimetische Schauläufe, bei denen es nur um die perfekte Anverwandlung geht, findet Bülow zum Gähnen: Als Joaquin Phoenix in Walk the Line den Countrystar Johnny Cash verkörperte, sei die Hasenscharte des Schauspielers ja auch nicht entfernt worden. "Im Endeffekt spiele ich immer mit Perücke", meint Bülow, der ganz gewiss kein Method-Actor ist. "Wenn Leute erzählen, dass sie ganz in der Rolle seien, frage ich mich immer, welche Rolle das denn überhaupt sei. Als normale Person wacht man ja auch nicht jeden Morgen auf und denkt beim ersten Kaffee: ‚Ich bin jetzt gerade so wahnsinnig ich selbst.‘" Für ihn gebe es eigentlich nur absolute Konzentration auf Dinge, die helfen, das Warum eines Charakters zu verstehen.

Endlich live: Jan Bülow als Udo Lindenberg.

Im Fall von Udo Lindenberg ist das keine ganze leichte Übung, gilt es doch, die vermeintlich authentische Figur, den Menschen hinter der Bühnenpersona herauszuarbeiten. Gibt es diesen Lindenberg hinter Lindenberg? Im Film gewinnt Bülows Darstellung gerade durch jugendliche Leichtfertigkeit, diese Art heitere Unverblümtheit, mit der er den jungen Schlagzeuger versieht, der sich von den miefig-kleinbürgerlichen Verhältnissen der BRD befreien will und von der großen, weiten Welt träumt. "Ich habe mich viel mit seinen Eigenarten, diesen Modes beschäftigt: warum er so redet, wie er redet; warum er so herumläuft; und woher das kommt", sagt Bülow. Lindenberg wollte nicht nur der beste Drummer der Welt werden – etwas, was seiner Musik stets das Rückgrat verliehen hat –, er habe auch gesanglichen und tänzerischen Vorbildern wie Bing Crosby oder Fred Astaire nachgeeifert: "Da kam einiges an Einflüssen und Vorbildern zusammen."

Als Kunstfigur leben

"Ich habe mich nicht als Fan angenähert, sondern als außenstehende Person", bekräftigt Bülow dann auch – das erklärt das schillernde Changieren seiner Figur, die sich trotz vieler Tiefschläge und gockelhafter Produzenten (Detlev Buck), die nicht so richtig an ihn glauben, immer wieder aufrafft und neue Ichs ausprobiert. Am wichtigsten war es für ihn, Lindenberg selbst zu treffen: "Ich glaube, dass er inzwischen als seine Kunstfigur lebt. Und das meine ich nicht spöttisch. Was er verkörpert, das träumte er tatsächlich zu sein. Sein Lebenslauf ist mit dem Rampenlicht verbunden."

Geboren ist Jan Bülow genau 50 Jahre nach Udo Lindenberg, er nennt sich selbst ein "Nachwendekind", das politische Engagement des Sängers, der auch in der DDR aufgetreten ist, gleicht für ihn schon einem Stück Geschichte. Die Erfahrung, in imposante 1970er-Dekors einer deutschen Großproduktion einzutauchen, vergleicht er mit der TV-Serie Westworld. Die Bemerkung spiegelt auch die Haltung eines Bühnendarstellers wider: Er betrachtet jedes Setting als Spielraum, an den man sich annähert. "Wer in den Siebzigern lebt, denkt ja auch nicht ständig: ‚Ich lebe in den Siebzigern, was für eine geniale, freie Zeit!‘"

Für Wien und das Burgtheater, "dieses Wahnsinnstheater", hat er sich übrigens ein ähnliches Rezept verschrieben – ankommen, anpassen. Die Reflexion kommt später. "Manchmal ist es ganz gut, nicht gleich alles zu verstehen und es mit einer gewissen Naivität anzugehen." (Dominik Kamalzadeh, 16.1.2020)