Das Bühnenbild von "Die Bakchen" soll 350.000 Euro gekostet haben, beim Chor, dem zentralen Element in der Produktion von Ulrich Rasche, wird hingegen gespart.

Foto: Burgtheater/Andreas Pohlmann

Es war der erwartete Paukenschlag, mit dem der neue Burgtheater-Direktor Martin Kušej im Herbst 2019 in seine erste Amtszeit startete: Im Stück "Die Bakchen" von Euripides wird der ewige Kampf zwischen dem dionysischen Prinzip der schöpferischen Verschwendung und dem apollinischen Ideal der Mäßigung verhandelt – eine Urfrage des Theaters.

Unter der Regie von Ulrich Rasche, bekannt für sein pompöses "Maschinentheater", wurde der Stoff zu einem Bühnenspektakel inszeniert, wie es das Burgtheater in den budgetär sparsamen Jahren seit seiner Finanzkrise lange nicht mehr gesehen hatte. Das Bühnenbild, eine in alle Richtungen verschiebbare gigantische Hydraulikapparatur, sieht toll aus – und hat annähernd 350.000 Euro gekostet.

Auch bei den Solisten-Schauspielern lässt sich das Staatstheater, das jährlich mit 48 Millionen Euro subventioniert wird, nicht lumpen und stattet diese mit ansehnlichen Verträgen aus. Die Stars der Inszenierung sind aber weniger sie, sondern jene 15 sogenannten Choristen – Schauspieler und Schauspielschüler, die bei Rasches Regiearbeit stets als zentrales Element den Gutteil der Handlung vorantreiben.

Hochleistung zum Spartarif

In der dreistündigen Inszenierung agieren die Mitglieder des Chors keineswegs statisch. Wie alle Schauspieler im Stück sind auch sie auf Laufbändern in ständiger Bewegung, ihre Sprecheinsätze müssen exakt synchron ablaufen, die Textmenge ist groß und herausfordernd, physische wie psychische Hochleistung – und doch sind sie es, bei denen das Theater den Sparstift ansetzt.

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Zwar sagt das Haus den Choristen, sie seien die Besten, die Rasche je hatte, trotzdem haben mit Ende der Spielzeit allesamt ihre Verträge gekündigt, wollen entweder nachverhandeln oder überhaupt nicht mehr spielen. Was treibt sie auf die Barrikaden?

Dem STANDARD wurde ein anonymes Schreiben übermittelt, in dem ein Chormitglied die prekären Bedingungen, unter denen man arbeitet, schildert. Mehrere Choristen haben die Angaben auch mündlich bestätigt und einen Vertrag vorgezeigt.

Verdammt zum Zuverdienst

Als Gastschauspieler waren sie demnach nur während der zweimonatigen Probezeit durchgängig angestellt und haben währenddessen eine monatliche Pauschale von 2.250 Euro brutto bezogen. Danach aber griff eine Tagelöhnerregelung: 300 Euro Bruttogage gibt es pro Abendvorstellung. Das ist bei nur drei bis vier Vorstellungen im Monat kein Einkommen, von dem sich anständig leben ließe. Für die Choristen heißt das, dass sie dazuverdienen müssen.

Doch das – und hier liegt der Hauptvorwurf – werde vom Burgtheater massiv erschwert. Konkret müssen Gastspieler nämlich ihre "Priorität abgeben", sprich: dem Burgtheater die Entscheidungshoheit darüber abtreten, welche Zusatzengagements angenommen werden dürfen und welche nicht.

Außerdem werden die Tage, an denen gespielt wird, erst alle sechs Wochen vor den Vorstellungen bekanntgegeben. Das, so die Choristen, verunmögliche jede Langzeitplanung. Zudem sei man durch diese Form der Beschäftigung nicht lückenlos versichert.

Mit der kaufmännischen Leitung der Burg sind die Choristen deshalb seit Anbeginn der Spielzeit im Clinch. Auch vom Betriebsrat fühlen sich die Gäste im Stich gelassen. Einige wandten sich an die Interessenvertretung IG Freie Theater, die Probleme mit Gastverträgen auch von anderen, insbesondere großen Bühnen kennt.

Für den Vertrauensanwalt der IG, Wolfgang Renzl, ist der Vertrag "aus arbeitsrechtlicher Sicht problematisch", da kein durchgängiges Dienstverhältnis etabliert werde, "sondern ein Dienstverhältnis, das vom Burgtheater nach eigenem Willen für noch unbekannte Tage 'ein- und ausgeschaltet' werden kann. Bei Anwendung arbeitsrechtlicher Maßstäbe müsste ein Dienstvertrag entweder schon von Anfang an für bestimmte Tage vereinbart werden oder aber für die weiteren Tage ein Dienstverhältnis im Einvernehmen begründet werden." Ein Chormitglied, das sich an die Arbeiterkammer gewandt hatte, bekam mündlich eine ähnliche Einschätzung mitgeteilt.

Burgtheater sieht sich im Recht

Dennoch: Das Burgtheater dürfte sich zumindest nach Maßgabe des Theaterrechts auf sicherem Terrain bewegen. Vom STANDARD mit den Vorwürfen konfrontiert, antwortete der kaufmännische Direktor Robert Beutler detailliert. Zusammengefasst ist man überzeugt: Alle Regelungen seien mit dem Theatergesetz vereinbar, die Form der Beschäftigung in der Branche üblich und auch die Höhe der Bezüge "angemessen". Die Spielterminabklärung sei bei so vielen Beschäftigten tatsächlich schwierig, dennoch habe man aber für die Mehrheit der Choristen Zusatzengagements genehmigen können.

"Es gibt Stimmen, die uns im persönlichen Gespräch mitteilen, sie seien sehr zufrieden, und die sich wohl im zweiten Jahr eine Gehaltserhöhung erwarten, andere sind an einer durchgängigen Beschäftigung interessiert, um damit Ansprüche auf eine mögliche Arbeitslosenversicherung zu erwerben, andere sind enttäuscht, weil wir eine konkrete Terminanfrage leider nicht ermöglichen konnten", erklärt Beutler.

Kaum Präzedenzfälle

Dem Verein Art but fair, der sich gegen Prekarität im Kulturbetrieb engagiert, ist "das Ausreizen der vertraglichen Möglichkeiten zum Nachteil des künstlerischen Personals leider nur zu gut bekannt", wie es auf Anfrage heißt.

Warum sind solche Zustände bei den wirtschaftlichen Eigentümervertretern, also beim Bund, den Ländern oder den Städten weitgehend unbekannt? "Weil teilweise Interessenkollisionen bei der betrieblichen Vertretung vorliegen, sofern es überhaupt eine gibt, oder teilweise kollektivvertragliche Rahmenbedingungen erst gar keine ordentlichen Gerichte in erster Instanz zulassen, sondern ein Schlichtungsverfahren vorsehen. Die zweite Instanz halten die wenigsten durch, also gibt es hier kaum Urteile", so die Experten des Vereins. Hoffnung setzen sie in die neue grüne Kulturstaatssekretärin, die sich für Fair Pay starkmachen will.

Auf einen Rechtsstreit mit dem mächtigen Burgtheater wollen es die Choristen – allesamt jung und um ihre Zukunft in der Branche besorgt – nicht ankommen lassen.

Was bleibt, ist vorerst nicht mehr als ein Bild der Ermutigung: Oben am Dach des Burgtheaters thront als steinerner Schutzgott Apollon, der untadelige Strahlemann. Doch tief unten, im Bauch des Theaters, hat ihm der Chor des Dionysos wenigstens einmal die Zähne gezeigt. (Stefan Weiss, 16.1.2019)