Johannes Paul II. hatte offenbar Einfluss auf die Geburtenraten in italienischen Städten.

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Von wegen Latin Lover: Wenn der Papst in die eigene Stadt kommt und in der Messe den moralischen Zeigefinger erhebt, dann herrscht in vielen italienischen Schlafzimmern umgehend tote Hose. Dies ist zumindest das Fazit einer neuen Studie: Zwei Forscher der Queen's University in Belfast haben die Zahl der Abtreibungen und die Geburtenraten in 129 italienischen Städten ausgewertet, die zwischen 1979 und 2012 von den konservativen Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. besucht worden waren. Das Resultat: Je nach Stadt sind die Schwangerschaftsabbrüche nach dem Besuch des Pontifex um zehn bis 20 Prozent zurückgegangen.

Nach den Gesetzen der Logik müsste in den Städten, wo plötzlich weniger abgetrieben wird, im Gegenzug die Geburtenrate steigen. Das tat sie aber nicht. Das hat zunächst auch die Autoren der Studie verblüfft. Ihre Erklärung: Aus Angst vor einer unerwünschten Schwangerschaft üben sich die Italienerinnen und Italiener nach einem Papstbesuch in Enthaltsamkeit – oder sie setzen, "als kleineres Übel", wie es in der Studie heißt, vermehrt auf Empfängnisverhütung. "Aber angesichts des Umstands, dass die katholische Kirche nicht nur die Abtreibung, sondern auch die künstliche Verhütung verbietet, ist die sexuelle Abstinenz die plausiblere Erklärung", betonen die Autoren.

Inhalt der Messe auch entscheidend

Die Schlussfolgerung der Forscher: Wenn der Papst Abtreibung und Verhütung verdammt, dann entfaltet das im katholischen Italien durchaus noch eine Wirkung. Nach einem Besuch des Heiligen Vaters seien die Schuldgefühle bei einem Schwangerschaftsabbruch größer und belastender, heißt es in der Studie. Ihre Theorie sehen die beiden Autoren auch dadurch erhärtet, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in den Städten, in denen Karol Wojtyła oder Joseph Ratzinger in ihren Messen explizit den unbedingten Schutz des ungeborenen Lebens gefordert hatten, stärker zurückging als in jenen, wo sie über anderes predigten.

Die dämpfende Wirkung eines Papstbesuchs auf die Libido der Italiener ist freilich zeitlich begrenzt. In den 129 Städten nahm Zahl der Abtreibungen ab dem dritten Monat nach dem Besuch ab – um ab dem 14. Monat wieder den ursprünglichen Wert zu erreichen. Gehe man davon aus, dass eine unerwünschte Schwangerschaft nach zwei bis drei Monaten entdeckt und gegebenenfalls beendet wird, bedeute dies, dass der Liebestöter-Effekt unmittelbar nach dem Besuch des Papstes einsetze und ein knappes Jahr anhalte, haben die Forscher errechnet.

Einfluss von Franziskus noch unklar

Zu den Auswirkungen des aktuellen Papstes auf das italienische Sexualleben existieren bisher keine Studien. Papst Franziskus teilt zwar die Meinungen seiner beiden Vorgänger in Sachen Sexualmoral, aber er stellt sie nicht so sehr in den Vordergrund seines Pontifikats. "Moralische Gesetze sind keine Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft", heißt es in seinem päpstlichen Schreiben "Amoris laetitia" (Die Freude der Liebe). Italiens Geburtenrate ist jedoch auch unter Franziskus die niedrigste in der europäischen Union geblieben. Das wäre Stoff für eine weitere Forschungsarbeit. (Dominik Straub aus Rom, 16.1.2020)