Seit Jahrhunderten versucht der Mensch, die Wucht der Wassermassen zu bändigen und für seine Zwecke zu nutzen. Hunderttausende Wasserkraftwerke aus Beton und Stahl ragen heute als Zeugen menschlicher Ingenieurskunst aus dem Wasser empor. Die künstlichen Wasserfälle decken rund ein Sechstel des globalen elektrischen Energiebedarfs. Stromgewinnung aus Wasserkraft ist in Staaten wie Norwegen (erzeugt 100 Prozent Energie auf diese Weise), Brasilien (80 Prozent) oder Österreich (56 Prozent) nicht mehr wegzudenken.

Die saubere Energie erfreut sich in Zeiten radikaler Klimaerhitzung großer Beliebtheit und beschert der Industrie einen regelrechten Boom. Die Liste im Bau befindlicher und geplanter Staudammprojekte wird von Jahr zu Jahr länger (siehe Projektbeispiele unten).

Das gesamte Tal wird in ein paar Jahren mit Wasser des Blauen Nils geflutet sein.

Dabei ist die Wasserkraft ob ihres extremen Einflusses auf Fauna, Flora und den natürlichen Wasserkreislauf alles andere als unumstritten. Mit mehr als 400.000 Quadratkilometern wurde weltweit bereits eine Fläche in der Größe Kaliforniens für Stauseen geflutet. Allein in China wurden in den vergangenen sieben Jahrzehnten 23 Millionen Menschen für Stauseeprojekte mehr oder wenig freiwillig umgesiedelt.

Prestigeprojekte mächtiger Männer

Oft verbarg sich hinter dem Bau eines gigantischen Wasserkraftwerks auch ein Prestigeprojekt narzisstischer und nationalistischer Männer. Es braucht nicht wahnsinnig viel Expertise über Wasserwirtschaft, um zu erkennen, dass es schlauere Alternativen zur großflächigen Stauung des Nils im niedriggelegenen und heißen Ägypten gibt – etwa flussaufwärts in Höhenlage der Nachbarländer. Präsident Gamal Abdel Nasser ließ den Assuanstaudamm trotzdem erbauen. Und so verdampfen jährlich zwischen zehn und 16 Kubikkilometer Süßwasser in der ägyptischen Hitze. Die gänzlich ungeeignete Geologie hinderte auch den irakischen Diktator Saddam Hussein nicht an der Erbauung der erodierenden Mosul-Talsperre im Irak.

Chinas Drei-Schluchten-Talsperre verfügt sogar über einen Schifflift.
New China TV

Der Beschluss zum Bau der Drei-Schluchten-Talsperre in China erzielte mit einer Zweidrittelmehrheit gar die schwächste Zustimmung aller jemals verabschiedeter Gesetze in China. Das Projekt – ein lang gehegter Traum des Großen Vorsitzenden Mao Zedong – wurde auch nach Bekanntwerden grober Baumängel fortgesetzt, die Lösung der Probleme "auf die Zeit nach der Inbetriebnahme verschoben", wie Premier Wen Jiabao später zugab. Und Tadschikistans autokratischer Langzeitpräsident Emomalij Rahmon begleitete die Bauarbeiten bis zur Teileröffnung der mit 335 Metern demnächst höchsten Talsperre der Welt gelegentlich sogar selbst im Bulldozer.

Fließende Grenzen

Zum Leidwesen vieler Machthaber scheren sich große Flüsse aber nicht um vom Menschen erfundene Grenzlinien. Sie durchqueren Staaten, die einander freundlich gewogen sind (oder eben auch nicht). Weil Süßwasser in Zeiten der Klimaerhitzung, steigender Bevölkerungszahlen und Lebensmittelnachfrage aber rarer wird, sprechen Kommentatoren gerne vom "blauen Gold", das nach Öl die nächste große Konfliktressource sein wird.

Bauarbeiten am Rogun-Damm.

Für die Wasserkraft kann dies bei genauerer Betrachtung eigentlich so nicht gelten. Lässt man das verdampfende Stauseewasser einmal außen vor, kommen große Teile des Wasservolumens auch bei stromabwärts gelegenen Staaten an, gibt Daanish Mustafa, Geopolitik-Professor vom King’s College London, im STANDARD-Gespräch zu bedenken. Die Wasserentnahme zur Bewässerung von Landwirtschaftsflächen habe aber tatsächlich großes Konfliktpotenzial. Wenn der politische Wille da ist, sei es an sich aber äußerst einfach sich bi- und multilateral auf Speicher- und Durchflussmengen von Kraftwerken zu einigen, sodass jeder immer genug Strom hat. Subtropische Staaten wie etwa Laos könnten so etwa ihre Trocken- und Regenperioden ausgleichen, um über das Jahr verteilt gleichbleibend Strom zu produzieren. Staaten müssen sich nicht wegen Wasser bekriegen.

"Was aber wenn all diese Regelmäßigkeiten, die wir seit Jahrhunderten studieren, aufgrund des Klimawandels nicht mehr gelten? Was wenn Kippeffekte eintreten und wir nicht mehr agieren, sondern nur noch auf die Umwelt reagieren können?", fragt Mustafa. Wenn weniger Wasser fließe, werde das Timing der Wasserwirtschaft automatisch wichtiger.

Die für 2022 geplante Fertigstellung der Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre stellt die Fluss-Anrainerstaaten etwa vor das Problem der Befüllung des 74 Milliarden Kubikmeter großen Stauseebeckens. Ließe Äthiopien theoretisch keinen Tropfen Wasser durch, würde es rund eineinhalb Jahre dauern, bis es gefüllt ist. Wie lange sich Addis Abeba tatsächlich Zeit nehmen wird, ist Gegenstand zäher Verhandlungen.

Lauernde Gefahr

Angesichts zahnloser internationaler Abkommen wie der UN-Gewässer-Konvention, die von lediglich 35 Staaten ratifiziert wurde und ohne jegliche Sanktionsmechanismen auskommt, müssen der Sudan und Ägypten auf ihr Verhandlungsgeschick pochen und das gegenseitige Vertrauen durch enge Kooperationen stärken. Erste Studien zeigen aber bereits, dass das zu 97 Prozent auf den Nil angewiesene Ägypten letzten Endes sogar mehr Wasser zur Verfügung haben könnte – weil weniger im Assuan-Staudamm verdampft.

Das komplexe Ökosystem des Nils ist akut gefährdet.
Terra Mater

Dampf, Wasser, Eis – die verschiedenen Aggregatszustände sorgen für eine weit größere Komplexität als etwa bei Öl oder anderen Rohstoffen. Die Diskussionen rund um Wasser werden zudem weit emotionaler geführt. Genau darum spielen Machtpolitiker auch gerne mit der Angst vor dem zugedrehten Wasserhahn. Der indische Infrastrukturminister Nitin Gadkarikin drohte während der jüngsten Kaschmir-Krise Pakistan offen damit, die großen Wasserzuflüsse umzuleiten. Wasserkraftwerke können also durchaus bedrohlich wirken. Nicht nur das Abdrehen des Wassers, auch das plötzliche Öffnen von Schleusen kann ganze Landstriche verwüsten. Dass viele der größten Staudämme in seismologisch aktiven Bergregionen liegen, trägt nicht unbedingt zur Beruhigung bei.

Es hat auch militärstrategische und nationalistische Folgen. Äthiopiens Staudamm 15 Kilometer vor der Grenze zum Sudan gefährdet so gut wie keine äthiopischen Menschenleben – auch dann nicht, wenn der Damm eines Tages Ziel einer Bombardierung werden sollte. Der Mosul-Staudamm am Tigris liegt ebenfalls nur wenige Kilometer von der Grenze zur Türkei entfernt, jedoch mit Flussrichtung Süden ins Landesinnere des Irak. Als der sogenannte Islamische Staat 2014 kurzzeitig die Kontrolle über das Megabauwerk übernahm, schrillten in Bagdad zu Recht jegliche Alarmglocken.

Weil Wasser keine Grenzen kennt, Machthaber die Nutzung des Wassers aber immer noch mit nationalen Denkmustern diskutieren, gibt es bei Wasserkraftwerken nicht nur deutliches Verbesserungspotenzial in Sachen Effizienz, sondern viele Gefahren für Umwelt und Mensch. (Fabian Sommavilla, 17.1.2020)

WELTWEITE KONFLIKTLINIEN

  • Äthiopiens Damm der Nationalen Wiedergeburt

Viele Namen wurden angedacht für das, was ab 2022 das größte Wasserkraftwerk Afrikas werden soll: Projekt X oder doch Millennium-Damm? Nicht weniger als der nationale Stolz sollte sich im Namen widerspiegeln, weshalb man die 175 Meter hohe Talsperre final auf den Namen Grand Ethiopian Renaissance Dam (Gerd) taufte. Der Blaue Nil, der 15 Kilometer vor der Grenze zum Sudan durch den Gerd aufgestaut wird, ist die Lebensader Ostafrikas.

Karte: Der Standard / Köck / Jecel / Leitner

60 Prozent des Wasservolumens des vereinigten Nil-Flusses stammen aus äthiopischer Quelle. Die irre Dimension des Staubeckens sorgt dafür, dass mehr als ein Jahresdurchflussvolumen aufgestaut werden kann, was immer wieder für Kritik sorgte. So errechneten US-Forscher ein dreimal besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis für einen kleineren Damm an selber Stelle, da der Gerd für die knapp dreimonatige Spitzendurchflussrate während der Regenzeit konstruiert wurde. Addis Abeba zog das Projekt trotzdem durch und nährte damit auch Ängste vor einer zu schnellen Befüllung des Damms. Sieben bis 14 Jahre werden derzeit kolportiert.

Trotz der offensichtlichen Vorteile für die flussabwärtsgelegenen Staaten (günstiger Strom, regulierte Wasserzufuhr für den Sudan, weniger verdampftes Wasser in Ägyptens Assuan-Stausee) fehlte es den Anrainerstaaten stets an Vertrauen und Kooperationswillen – obwohl Äthiopien stets betonte, kein Wasser zur Bewässerung abzuzweigen. Dass ägyptische Politiker – nicht wissend, dass sie gefilmt werden – Pläne zur Zerstörung des Projekts durch Söldnertruppen ventilierten, wirkte jedoch auch nicht gerade vertrauensfördernd. Wenngleich der äthiopische Staat tief in die Taschen (seiner Bürger) griff, braucht es mittlerweile chinesische Finanzspritzen, um eine baldige Fertigstellung des Projekts zu garantieren. Bis Äthiopien zum Powerhouse Afrikas wird, werden also noch einige Liter Wasser den Nil herunterrinnen und in Ägypten verdampfen. (faso)


  • Sturm im Wasserturm Asiens

Der Brahmaputra entspringt wie die meisten großen Flüsse Asiens im tibetischen Hochland, dem "Wasserturm" Asiens. Auf seinem Weg in den Golf von Bengalen fließt er durch einige der bevölkerungsreichsten Nationen der Welt: China, Indien und Bangladesch – sie alle brauchen sehr viel Wasser und immer mehr Strom.

Karte: Der Standard / Köck / Jecel / Leitner

Das flussaufwärts gelegene China sitzt dabei am längeren Ast und hat die Kontrolle über den Brahmaputra. Das Reich der Mitte nützt sein Wasserkraftpotenzial bereits relativ intensiv. Nun schielt China auch auf jene Flüsse Tibets, die bisher oft hydroelektrisch ungenutzt durch idyllische Berglandschaften flossen. Und China hat es eilig – das Land will seinen Energiehunger künftig mit weniger Kohle stillen.

Außerdem liebäugelt Peking mit einem Megaprojekt, das größenwahnsinnig klingen würde, wenn man nicht wüsste, wozu China fähig ist: Ein 1000 Kilometer langer Tunnel soll Wasser des Brahmaputra in die trockene Provinz Xinjiang bringen. Wasser, das dem indischen Bundesstaat Arunachal Pradesh fehlen würde. Indien ist von Chinas Plänen wenig überraschend nicht besonders angetan. Dass China immer noch Ansprüche auf das Gebiet stellt, trägt nicht gerade zum Spannungsabbau bei.

Schon jetzt verdächtigt Indien China, Wasser aus dem Brahmaputra abzuzweigen. Beweisen kann Delhi das allerdings nicht, denn der Datenaustausch zwischen den Ländern, etwa über Wasserpegel und -qualität, erfolgt unregelmäßig und strukturlos. Auch ein multilaterales Abkommen zwischen den Anrainerstaaten des Brahmaputras stockt seit Jahren, über eine Absichtserklärung ist ein bilateraler Vertrag nie hinausgekommen. Sollte China seine ambitionierten Projekte umsetzen, könnte der Wasserturm Asiens noch zum Pulverfass für die gesamte Region werden. (pp)


  • In Tadschikistan entsteht die höchste Staumauer der Welt

Baubeginn: 1976. Nächstes Ziel der Fertigstellung: 2028. Doch auch dieses Datum sollte mit Vorsicht genossen werden, immerhin wird bereits seit knapp einem halben Jahrhundert am Rogun-Staudamm in Tadschikistan gearbeitet – mit Aussetzern. Die wirtschaftliche Krise in der Sowjetunion und die schwierigen ersten Jahrzehnte als Nation sorgten dafür, dass Tadschikistan erst im Jahr 2016 die Arbeiten wieder aufnahm.

Karte: Der Standard / Köck / Jecel / Leitner

Angetrieben vom Wunsch des Langzeitmachthabers Emomalij Rahmon, sich ein (weiteres) Denkmal zu setzen, will der zentralasiatische Staat mit 335 Metern den Rekord für die höchste Staumauer der Welt brechen und damit die nationale Stromerzeugung gleich einmal verdoppeln. Während das Mehr an Energie vor allem den regelmäßigen Stromausfällen in den kalten Wintermonaten ein Ende setzen soll, soll auch sehr viel Strom an die Nachbarstaaten in der Region verkauft werden.

Lange war dies undenkbar. Als im März 2018 Usbekistans neugewählter Präsident Shavkat Mirziyoyev jedoch die kurze Reise in Richtung Süden antrat, um Tadschikistan einen historischen Besuch abzustatten, gab es Hoffnung auf eine engere Kooperation. 18 Jahre lang kam es zu keinem Zusammentreffen der verfeindeten Staaten. Neben historisch bedingten sowie zwischenmenschlichen Animositäten fürchtete das flussabwärtsgelegene Usbekistan stets auch um die Wasserversorgung seiner wichtigen Baumwollwirtschaft. Der 2016 verstorbene Ex-Präsident Islom Karimov drohte 2012 gar mit einem "Wasserkrieg". Nachfolger Mirziyoyev hingegen erklärte seine Absicht, "alle Möglichkeiten der Beteiligung Usbekistans am Bau von Wasserkraftwerken" ausschöpfen zu wollen. Dennoch können nicht alle Menschen dem politischen Tauwetter etwas abgewinnen. Human Rights Watch rechnet damit, dass bis zu 42.000 Menschen bis zur Vervollständigung des Staudammprojektes umgesiedelt werden müssen. (faso)


  • Unkalkulierbares Großprojekt in der Türkei

Nirgends ist Wasser knapper als im Nahen und Mittleren Osten: Durchschnittlich 550 Kubikmeter Süßwasser pro Jahr und Kopf stehen dort zur Verfügung – weniger als ein Zehntel des weltweiten Durchschnitts. Dazu kommt, dass die in der Region lebenserhaltenden Flüsse Euphrat und Tigris immer mehr Wasser verlieren. Zurückzuführen ist das laut Forschern vor allem auf das unkontrollierte Abpumpen von Grundwasser.

Karte: Der Standard / Köck / Jecel / Leitner

Aber auch Wasserkraftprojekte, vor allem jene der Türkei, graben den Gebieten flussabwärts das Wasser ab. Eines der größten Kraftwerke ist der kürzlich fertiggestellte Ilisu-Staudamm. Diskutiert wurde über ihn schon seit den 50er-Jahren. Er sollte den Tigris aufstauen, Arbeitsplätze in das unterentwickelte Südostanatolien und sauberen Strom für die gesamte Türkei bringen. Dass tausende Jahre alte Kulturdenkmäler dabei zerstört werden und zigtausende Menschen ihre Heimat verlieren, wurde hingenommen. Ende letzten Jahres zogen die letzten Umweltaktivisten ab – der Damm begann sich mit Wasser zu füllen. Wie so oft ist es nicht nur ein Energie- und Entwicklungsprojekt, sondern auch eine geopolitische Maßnahme.

Viele Jahre werden vergehen, bis sich der Stausee ausreichend mit Wasser gefüllt hat. Während dieser Zeit wird das Wasser in Syrien, vor allem aber im Irak fehlen. Es ist nicht das erste Kraftwerk, das die Türkei im Rahmen ihres Südanatolien-Projekts errichtet, aber das größte. Laut Angaben des Irak haben die türkischen Wasserkraftwerke den Wasserfluss bereits um 80 Prozent verringert.

Die UN schätzt, dass das Land jährlich 25.000 Hektar fruchtbares Land verliert, der Irak hat deshalb den Anbau von durstigen Pflanzen wie Reis verboten. Manche Forscher machen die Dürre – neben anderen Faktoren – sogar für den Syrien-Konflikt und das Erstarken des sogenannten Islamischen Staates mitverantwortlich. (pp)