Sozialminister Rudolf Anschober beim Besuch im Pflegeheim. Die Politik sucht zwischen Lehre und Matura nach Lösungen für mehr Personal.
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In Österreich fehlen Pflegekräfte, das Ausbildungssystem liefert nicht ausreichend Nachwuchs. Der Befund ist klar und nicht neu. Ebenso deutlich sind die Prognosen: In den nächsten zehn Jahren wird die Zahl der betreuten Personen um 37 Prozent auf rund 305.000 ansteigen, der Personalbedarf um 75.700 Personen auf 161.100.

Die neue Regierung ließ nun mit der Ankündigung eines Schulversuches aufhorchen. Ab Herbst soll es an fünf berufsbildenden höheren Schulen drei- und fünfjährige Pflegeausbildungen geben. Eine gute Idee findet das Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerks, seines Zeichens der größter Träger mobiler Pflege- und Betreuungsdienste in Österreich, "nur sollte sie beherzt umgesetzt werden".

Das Schweizer Modell

Anselm rät aber auch, eine Pflegelehre zu ermöglichen. Sie präsentierte am Donnerstag in Wien einen Faktencheck zum Schweizer Modell der Pflegelehre. Die duale Ausbildung wurde im Nachbarland 2004 aus der Not – es herrschte extremer Mangel an Pflegekräften – entwickelt. Heute ist die Ausbildung zur Fachfrau, zum Fachmann Gesundheit auf dem zweiten Platz im Ranking der beliebtesten Lehrberufe. Angeboten werden die zweijährige Grundausbildung AssistentIn Gesundheit und Soziales und die vierjährige Ausbildung Fachfrau/ Fachmann Gesundheit.

Anselm nennt die duale Ausbildung in der Schweiz "ein Erfolgsmodell". Urs Sieber, Geschäftsführer der OdASanté, des schweizerischen Branchenverbands für Bildung im Gesundheitswesen, hat den Lehrberuf mitentwickelt. Seine Bilanz: "Wir kommen dem Ziel, möglichst viele Fachkräfte in der Schweiz auszubilden, näher. 4500 neu ausgebildete Fachfrauen und Fachmänner Gesundheit werden 2020 auf den Arbeitsmarkt kommen."

Schon am Mittwoch startete die Ausschreibung für den von der Regierung anvisierten Schulversuch.
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Ausbildung heftig diskutiert

Die Einführung der Pflegelehre habe auch in der Schweiz heftige Diskussionen über die Zumutbarkeit für junge Menschen ausgelöst, sagt Sieber. Überforderung könne durch sorgfältige Begleitung der Auszubildenden und schrittweises Heranführen an belastende Aufgaben verhindert werden, sagt der Pflegeexperte. Freilich bedürfe es dazu auch der Weiterbildung von Ausbildungspersonal.

In Vorarlberg, wo der Pflegekräftemangel auch wegen der Abwanderung in die besser entlohnende Schweiz groß ist, sammelt man seit 2011 Erfahrungen mit jungen Menschen im Pflegebereich. Das vom Sozialunternehmen Aqua Mühle initiierte Modell einer dualen vierjährigen Ausbildung ist quasi eine Ersatzlösung für die Lehre.

Junge Menschen sind sozial kompetent

Die Kombination aus den bestehenden Ausbildungen Betriebsdienstleistungslehre und Pflegeassistenz, die bisher an 22 Einrichtungen (Sozialzentren und Krankenhäusern) angeboten wurde, ist eine Krücke. Nicola Lins, Leiterin der Lehrwerkstatt Aqua Mühle: "Schade ist, dass junge Menschen derzeit in die kaufmännisch orientierte Betriebsdienstleistungslehre gequetscht werden. Denn sie hätten die notwendigen sozialen Kompetenzen, möchten sich um Menschen kümmern, haben keine Berührungsängste und sind schon sehr früh sehr selbstständig."

Seit 2011 haben 84 Jugendliche die Ausbildung begonnen, 46 haben sie abgeschlossen. Aktuell sind 18 in Ausbildung. Wie es weitergeht, hängt von der Bundesregierung ab. Die Projektgruppe der Aqua Mühle hätte ein fertiges Konzept für die Pflegelehre nach Schweizer Vorbild. Die Hoffnung auf eine Realisierung der Pflegelehre sei relativ groß, sagt Geschäftsführer Florian Kresser. Sozialminister Rudolf Anschober zeige auf jeden Fall großes Interesse, seine Vorgängerin habe die Lehre ja rundweg abgelehnt. Kresser: "In Vorarlberg läge ein fertiges Modell. Wir wären startklar." (Jutta Berger, 16.01.2020)