Eine Ära geht zu Ende. Paul Bocuse verfügte im Michelin-Führer seit 1965 über die Höchstwertung. Daran änderte sich auch nichts, als der wohl bekannteste Koch vor zwei Jahren in seinem Gasthof in Collonges-au-Mont-d'Or nördlich von Lyon verstarb. Der geschäftstüchtige, mit zwei Frauen zusammenlebende "Monsieur Paul" hatte in seinem Restaurant, das seinen Namen trägt, vorgesorgt: Ein hochrangiges Team bereitet weiterhin seine berühmte Trüffelsuppe, seinen Seewolf im Teig oder das Bresse-Hühnchen Fasson Mère Fillioux.

Nach mehr als fünfzig Jahren ist nun Schluss mit dem Dreigestirn. Noch bevor der Guide Michelin in zehn Tagen seine Jahreswertung verkünden wird, sickerte am Freitag die Rückstufung der Unternehmung Bocuse durch. Die Aufregung im Land der Gastronomie ist groß; die Zeitung "Libération" meinte gar, die Neuigkeit sei "schlimmer als ein Erdbeben".

L'Auberge du Pont de Collonges verliert einen Michelin-Stern.
Foto: apa/afp/pachoud

Michelin verteidigt sich mit dem an sich banalen Hinweis, niemand sei "Besitzer" der ominösen Sterne; selbige würden nicht wegen des Namens, sondern wegen der Kochkünste verliehen. Der internationale Vorsteher des Führers, Gwendal Poullennec, hatte auf dem US-Sender CNN schon im Vorhinein erklärt, die französischen Köche seien "manchmal etwas exzessiv und empfindlich".

Anschuldigungen

Und so reagieren sie auch. Der noch geringste Vorwurf lautet, der berühmte Restaurantführer des gleichnamigen Reifenherstellers suche mit spektakulären Ankündigungen von sich reden zu machen. Spitzenkoch Marc Veyrat schimpft, die Michelin-Tester seien "inkompetente Amateure". Der 69-jährige Savoyer hatte den roten Führer eingeklagt, weil ihm dieser vor einem Jahr auch schon einen seiner drei Sterne aberkannt hatte. Das sei nur geschehen, weil er britischen Cheddarkäse verwendet habe, fand der Koch mit dem schwarzen Schlapphut als Markenzeichen. Die Richter fanden aber keinen Beweis, dass er durch die schlechtere Note einen Geschäftsverlust erlitten habe, und sprachen Michelin vor drei Wochen frei.

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Marc Vyrat schimpft die Tester "inkompetente Amateure".
Foto: Reuters/Gonzalo

Veyrat hat das Urteil bis heute nicht verdaut und erzählt, seine Frau verstecke sein Jagdgewehr aus Angst, dass er sich ein Leid antue. Das ist eine Anspielung auf das traurige Ende des früheren Spitzenkochs Bernard Loiseau, der sich im Jahre 2003 im Burgund wegen des Verlustes eines Michelin-Sternes erschossen hatte.

Druck auf Michelin

Vor drei Jahren hatte der Koch Sébastien Bras seinerseits erklärt, er habe genug vom permanenten Sternestress. Seine Bitte, nicht mehr im Michelin zu figurieren, wurde in der Ausgabe 2018 respektiert. Ein Jahr später verlieh ihm der Guide Michelin aber erneut zwei Sterne, ohne dass der Chef de cuisine aus dem ländlichen Gebiet Aveyron darum ersucht hätte.

Die Feinschmeckerzunft sieht darin einen Beleg dafür, dass der Guide Michelin wegen der Inflation von Gourmetführern und Internetranglisten selber unter Druck gerät. Unlängst verbündete er sich mit der Reservierungszentrale La Fourchette und der Internetplattform Tripadvisor. Die 14.000 Restaurants des einst exklusiven Führers in der ganzen Welt werden nun auf diesem amerikanischen Hotelbewerter einsehbar. Auch diesbezüglich ändert sich eine Ära. (Stefan Brändle, 17.1.2020)